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Geschichte Intrige & Paranoia

„Also Staatsstreich“ – Wie Hitler Kanzler wurde

Januar 1933 ist die Politik in Deutschland festgefahren. Die beiden radikalen Parteien NSDAP und KPD blockieren eine demokratische Regierungsbildung. Eine Intrige öffnet Hitler den Weg an die Macht.
Leitender Redakteur Geschichte
Papen u.Hindenburg Wilhelmstr. / Foto Papen, Franz von, Politiker (Reichskanz- ler 1.6.-3.12.1932), 1879-1969. - Reichkanzler von Papen (mit Zylinder) und Reichspraesident Paul von Hinden- burg (mit Pickelhaube) beim Abschreiten einer Ehrenkompanie in der Wilhelm- strasse in Berlin. - Foto, 1932. | Papen u.Hindenburg Wilhelmstr. / Foto Papen, Franz von, Politiker (Reichskanz- ler 1.6.-3.12.1932), 1879-1969. - Reichkanzler von Papen (mit Zylinder) und Reichspraesident Paul von Hinden- burg (mit Pickelhaube) beim Abschreiten einer Ehrenkompanie in der Wilhelm- strasse in Berlin. - Foto, 1932. |
Reichskanzler Franz von Papen (in Zivil) und Reichspräsident Paul von Hindenburg (mit Pickelhaube) gehen eine Formation der Reichswehr ab. Will das Militär wenige Monate später geg...en die beiden putschen?
Quelle: picture-alliance / akg-images

Der 28. Januar 1933 ist ein kalter Wintersamstag. Doch die frostigen Temperaturen halten das schicke Berlin nicht davon ab, an diesem Abend kräftig zu feiern: Die feine Gesellschaft, die Schönen und Reichen vergnügen sich beim Berliner Presseball. Ausgelassen geht es zu in dieser Nacht in den Festsälen am Zoologischen Garten; es wird viel getanzt und noch mehr getrunken.

Führende Nationalsozialisten weilen nicht unter den Gästen, doch sie werden nicht vermisst, weil sie ohnehin nicht willkommen sind. Lebt doch in den Pressebällen Anfang der 1930er-Jahre noch das Lebensgefühl der „Goldenen Zwanziger“: Literaten und Liberalität, Tanzmusik und Travestie. Also das, was Hitler-Anhänger ebenso verabscheuen wie Kommunisten – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Einige Ballbesucher registrieren allerdings sehr wohl, dass Staatssekretär Otto Meissner, der Chef des Reichspräsidialamts und einer der einflussreichsten Strippenzieher der deutschen Politik, nicht erschienen ist. Pikiert vermeldet die „Vossische Zeitung“, Meissner habe sich „von seiner Gattin vertreten“ lassen. Das ist bemerkenswert, denn gewöhnlich nutzt der Spitzenbeamte, der dem Sozialdemokraten Friedrich Ebert ebenso gedient hat wie er nun dem erzkonservativen Paul von Hindenburg dient, jede Gelegenheit zur Kontaktpflege mit den hauptstädtischen Journalisten. Gerade mitten in einer handfesten Regierungskrise können informelle Gespräche wichtig sein.

Franz von Papen und Kurt von Schleicher Papen, Franz von Politiker (Reichskanzler 1.6.-3.12.1932) Werl (Westfalen) 29.10.1879 - Oberasberg bei Bruehl 2.5.1969. - Reichskanzler Franz von Papen mit Reichswehrminister General Kurt von Schleicher (1882-1934). - Foto, 1932. |
Von Weggefährten zu Todfeinden: Kurt von Schleicher, 1932/33 letzter Reichskanzler der Weimarer Republik (l.) und der Intrigant Franz von Papen, sein direkter Vorgänger
Quelle: picture-alliance / akg-images

Dagegen wundert sich kaum jemand, dass der am Samstagmittag zurückgetretene Reichskanzler Kurt von Schleicher nicht erschienen ist. Führende Reichswehrmilitärs werden ebenfalls nicht gesichtet. Ist ihnen einfach nicht nach Feiern zumute, oder braut sich etwas zusammen?

Es wird kräftig spekuliert an diesem Abend: „Es kann und soll nicht geleugnet werden, dass hier sehr viel darüber gesprochen wird, wer von den leitenden Männern der Wilhelmstraße heute zu Gast bei den Männern der Feder sein, wer mit wem in der großen Ehrenloge bei einem Glas Sekt vertraulich sprechen wird“, berichtet die „Berliner Morgenpost“ und fährt fort: „Denn daraus glauben die ganz Klugen, die Hellhörigen, die selbst in einer Ballnacht das Gras wachsen hören, Schlüsse auf das ziehen zu können, was sich in den nächsten Tagen in der Wilhelmstraße tun und begeben wird.“

Während die oberen Fünftausend der Reichshauptstadt am folgenden Sonntagmorgen ihren Rausch ausschlafen, ist das politische Berlin hellwach und höchst angespannt. Denn in den folgenden 48 Stunden müssen Entscheidungen fallen. Der bisherige Kanzler ist zurückgetreten und die nächste Reichstagssitzung, bei der es zur Kraftprobe kommen muss, für den kommenden Dienstag angesetzt.

Doch ein Weg aus der Regierungskrise zeichnet sich nicht ab: Kommunisten und Nationalsozialisten haben gemeinsam die Mehrheit im Parlament; einig sind sich die beiden radikalen Parteien nur darin, jeden neuen Kanzler zu blockieren. Für eine konstruktive Politik dagegen findet sich in der Volksvertretung keine ausreichende Unterstützung.

Deshalb sind an diesem Sonntag wieder einmal, wie schon seit dreieinhalb Wochen, Geheimverhandlungen angesetzt. Der Berliner NSDAP-Gauleiter Joseph Goebbels hat in den frühen Morgenstunden in sein Tagebuch geschrieben: „Heute wird Tau gezogen. Aber viel ist wohl nicht zu erreichen.“ Es geht um eine Regierungsbeteiligung seiner Partei. Schleichers Vorgänger, Ex-Kanzler Franz von Papen, versucht zeitgleich, ein Kabinett der „nationalen Rechten“ zu bilden. Doch dieser Flügel der Gesellschaft ist zersplittert und untereinander verfeindet.

Am selben Sonntagvormittag treffen sich im Reichswehrministerium am Landwehrkanal der gescheiterte Reichskanzler Kurt von Schleicher und Kurt von Hammerstein-Equord, als Chef der Heeresleitung der ranghöchste Soldat Deutschlands, sowie einige enge Vertraute. Auch sie diskutieren die Lage, auch sie denken über Wege aus der Krise nach. Was sie genau besprechen, ist unklar; es gibt widersprüchliche Berichte über den Verlauf der Unterredung.

Bruening und Puender bei Wahl 1932 / Foto Bruening, Heinrich Politiker (Zentrum; 1930-32 Reichs- kanzler); 1885-1970. - Staatssekretaer Hermann Puender (links) und Reichskanzler Heinrich Bruening beim 2. Gang zur Reichspraesidentenwahl am 10. April 1932. - Foto. |
"Der Reichspräsident verlor die Fassung": Heinrich Brüning (M.)
Quelle: picture-alliance / akg-images
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Der Zentrumspolitiker Heinrich Brüning, von 1930 bis 1932 selbst Reichskanzler, hört aus zweiter Hand, worum es bei dieser Besprechung gegangen sei. In seinen posthum erschienenen Memoiren ist zu lesen: „Schleicher erklärte, wohl in Erregung, er werde die Potsdamer Garnison in Bewegung setzen, um Oskar Hindenburg, Papen und Hugenberg zu verhaften. Er wolle nicht, dass die Reichswehr nach mühsamster Arbeit politisch verbraucht würde. Oberst von Bredow schwätzte diese Äußerungen Schleichers aus; sie kommen in entstellter Form zu Ohren des Reichspräsidenten. Dieser verlor, wie zu erwarten war, die Fassung und willigte ein, dass man mit Hitler verhandele und seine Bedingungen annehme.“

Auch der ehemalige Finanzstaatssekretär Hans Schäffer, nun Generaldirektor des liberalen Ullstein-Verlags, hört gegen Mittag des 29. Januar angeblich Ähnliches aus der Reichskanzlei: „Schleichers Staatssekretär ruft an und sagt mir, auch im Namen Schleichers, wir brauchen gar keine Bedenken haben. Die Reichswehr werde Hitler als Kanzler nicht anerkennen. Wenn Hitler Gewalt anwenden wollte, so sei auf das Reiterregiment in Potsdam, das in Bereitschaft liege, voller Verlass.“

Einige Stunden später erreichen Nachrichten über das Treffen im Reichswehrministerium die Führung der NSDAP: „Alvensleben kommt mit tollen Mären. Hindenburg werde heute ein Papen-Minderheitskabinett einsetzen. Reichswehr lasse sich das nicht gefallen“, notiert Joseph Goebbels in der Nacht zum 30. Januar 1933 in seinem Tagebuch.

Der Berliner NS-Gauleiter sitzt gerade mit Hitler und Reichstagspräsident Göring zusammen, um die Lage zu beraten, als unangemeldet der zwielichtige Ex-Offizier und Mittelsmann Werner von Alvensleben erscheint. Er verlangt, den „Führer“ zu sprechen. Goebbels blockt ab, verspricht aber, seine Mitteilung weiterzugeben.

Denn was Schleichers vermeintlicher Vertrauter zu berichten hat, ist politischer Sprengstoff: Der Reichspräsident gelte in der Reichswehrführung als „blind und untauglich“, sein intriganter Sohn Oskar solle schon am folgenden Morgen verhaftet werden. Die wichtigsten Generäle hätten vor, den 84-jährigen Hindenburg auf sein Landgut in Neudeck zu „verfrachten“. Nüchtern folgert Goebbels: „Also Staatsstreich. Drohung, Ernst, Kinderei?“

In jedem Fall Grund genug für die NSDAP-Führung, hektische Aktivitäten zu entwickeln – scheint doch Alvenslebens Mitteilung andere Nachrichten zu bestätigen, die in Berlin umlaufen. Göring bricht umgehend auf, um Papen und Staatssekretär Meissner zu informieren. Papen zeigt sich entsetzt und verspricht, den Reichspräsidenten zu unterrichten; Meissner dagegen, von Papen telefonisch gewarnt, gibt sich souverän und wiegelt ab. Trotzdem erhält Berlins SA-Führer Wolf Graf Helldorf von Hitler den Befehl, „Gegenmaßnahmen“ vorzubereiten, damit auf eine Besetzung der Wilhelmstraße durch die Reichswehr reagiert werden kann. Goebbels vermerkt: „Also abwarten. Bis nachts fünf Uhr sitzen wir. Es passiert nichts.“

Adolf Hitler and Dr.Joseph Goebbels as they appeared at one of the 50 rallys held as part of the Nazi Election Campagin. November 1933. Courtesy: CSU Archives/Everett Collection | Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
„Bis nachts fünf Uhr sitzen wir": Joseph Goebbels (M., mit Hitler und Hess)
Quelle: picture alliance / Everett Colle

Ganz ruhig verläuft die letzte Nacht der Weimarer Republik trotzdem nicht. Am späten Abend bekommt Papen Hindenburgs Einverständnis, Hitler die Reichskanzlerschaft anzubieten – nachdem der Ex-Kanzler dem Reichspräsidenten von der Besprechung im Wehrministerium berichtet hat – aus zweiter Hand. Gegen zwei Uhr morgens wird Staatssekretär Otto Meissner geweckt und erneut vor einem bevorstehenden Putsch gewarnt.

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Nur ein paar Stunden später wird Deutschlands Weg in die Katastrophe besiegelt. Um 11.30 Uhr verlassen die Minister des Kabinetts Hitler-Papen vereidigt das Amtszimmer des Reichspräsidenten. Goebbels jubiliert: „Es ist so weit. Wir sitzen in der Wilhelmstraße. Hitler ist Reichskanzler. Wie im Märchen!“

Die Profiteure des Gerüchts über den angeblichen Putsch der Potsdamer Garnison sind klar: Hitler und Papen. Aber haben die beiden und ihre engsten Vertrauten in jener Nacht geglaubt, dass ein Staatsstreich bevorstehe? Gegen besonders große Sorgen spricht, dass offenbar niemand schlicht in der Potsdamer Garnison anruft und nachfragt. So wäre in Erfahrung zu bringen gewesen, dass weder das 9. Infanterie- noch das 4. Kavallerieregiment in Alarmbereitschaft versetzt ist.

8-1933-1-30-A1-10 (181534) Machtergreifung/ Hitler u. sein Kabinett Berufung Hitlers zum Reichskanzler, 30. Januar 1933. - Das 'Kabinett der Nationalen Konzen- tration', (v.l.n.r.): Seldte, Gereke, Schwerin v. Krosigk, Frick, v. Blomberg, Hugenberg; sitzend: Göring, Hitler und v. Papen.- Foto. E: Hitler and his cabinet / 30/1/1933 t Hitler becomes Reich Chancellor, 30 January 1933. -The 'Cabinet of National Concentration' (l to r): Seldte, Gereke, Schwerin von Krosigk, Frick, von Blomberg, Hugenberg, sitting: Göring, Hitler and von Papen. - Photo. F: Prise de pouvoir / Hitler et son cabinet Hitler chancelier, le 30 janvier 1933. - Le 'Cabinet de concentration natio- nale', debout (de g. à d.): Seldte, Gereke, Schwerin von Krosigk, Frick, von Blomberg et Hugenberg; assis: Goering, Hitler et von Papen. - Photo. |
Das Kabinett Hitler-Papen ist vereidigt
Quelle: picture alliance / akg-images

nach dem 30. Januar 1933 lässt der neue Reichskanzler Adolf Hitler den vermeintlichen Drahtzieher des vermeintlichen Coups, Kurt von Hammerstein-Equord, im Amt. Erst Ende des Jahres nimmt er seinen Abschied. Für besonders „unzuverlässig“ oder gar gefährlich können ihn also weder Hitler noch Hindenburg gehalten haben.

Andererseits kann das Gerücht nur aufkommen, weil viele Menschen im Umkreis der Reichswehrführung und der Regierung sich ein gewaltsames Eingreifen des Heeres gegen einen Reichskanzler Hitler und sogar gegen Reichspräsident Hindenburg zumindest vorstellen können.

Eine Rolle spielt dabei natürlich, dass die in Potsdam liegenden Regimenter als besonders elitär gelten; unter anderem, weil ihr Offizierskorps sich nahezu ausschließlich aus Adligen rekrutierte. Wer, wenn nicht diese selbstbewussten Verbände, würde einen Schlag gegen Hitlers und Röhms proletarische Bürgerkriegsmiliz SA unternehmen können?

Der Reichspräsident Paui von Hindenburg wohnt den Herbstmanövern der Reichswehr bei. V.l.n.r.: General von Brauchitsch, Reichspräsident von Hindenburg und Generalmajor von Hammerstein. Darkehmen, Ostpreussen. Deutschland, heute Russland. Photographie. 12. September 1933. |
Verbittet sich jedes „Politisieren“: Paul von Hindenburg mit General Kurt von Hammerstein-Equord (r.)
Quelle: picture-alliance / IMAGNO/Austri

Ein weiterer Grund ist der offene Ungehorsam Hammerstein-Equords gegenüber Hindenburg am 26. Januar 1933. Der Chef der Heeresleitung nutzt den Routinetermin eines untergebenen Generals, um ebenfalls beim Reichspräsidenten zu erscheinen und Hindenburg aufzufordern, Schleicher im Amt zu belassen und keinesfalls Hitler zu ernennen.

Für einen preußisch-deutschen Offizier ist das eine ungeheure Auflehnung gegen seinen obersten Vorgesetzten – und so versteht Hindenburg den Vorstoß auch: Er lässt Hammerstein abblitzen, verbittet sich jedes „Politisieren“ seiner Generäle und demütigt ihn bewusst. Die Abfuhr im Präsidentenbüro sickert rasch durch.

Der angebliche Putsch der Potsdamer Garnison gegen Hindenburg und Hitler ist ein Gerücht im engeren Sinne des Wortes: Es wird von niemandem bewusst gestreut, sondern wächst in einer verworrenen Lage aus verschiedenen, an sich unverdächtigen Ereignissen, unbegründeten Vermutungen und Andeutungen. Eine Mischung aus Paranoia, Verfolgungswahn, Wunschdenken und Intrigen verschafft der vermeintlichen Information Aufmerksamkeit. Ohne das Geraune über Schleichers vermeintlichen Staatsstreich am 29. Januar 1933 hätte der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg Hitler sicher nicht zum Reichskanzler ernannt.

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Dieser Artikel wurde erstmals im Juni 2017 veröffentlicht.

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