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Globaler Datenzugriff US-Gericht entscheidet über unsere Privatsphäre

US-Ermittler wollen auf Daten aus aller Welt zugreifen - und hoffen nun auf grünes Licht vom Supreme Court. EU, Uno, Wirtschaftsverbände und sogar US-Politiker warnen vor düsteren Folgen.
US Supreme Court in Washington

US Supreme Court in Washington

Foto: ZACH GIBSON/ AFP

In diesem Sommer fällt in Washington, D.C. eine Entscheidung über die Zukunft des Internets - zumindest über jenes fast grenzenlose Internet, das derzeit existiert. E-Mails, Steuererklärungen, Dokumente, Fotos, Kontakte, abgerufene Webseiten - viele Millionen von Internetnutzern speichern praktisch die Dokumentation ihres gesamten Privatlebens in der Cloud. Der US Supreme Court könnte US-Ermittlern künftig Zugriff auf eben diese Daten erlauben - egal in welchem Land sie gespeichert sind, egal, welche Gesetze dort herrschen. Es genügt, wenn das Unternehmen, das die Daten verwaltet, in den USA tätig ist.

Der Fall wächst sich derzeit zu einem Politikum ersten Ranges aus. Die Vereinten Nationen, die EU-Kommission, die Regierungen Irlands und Großbritanniens und sogar konservative ehemalige US-Regierungsbeamte haben sich mit sogenannten Amicus-Briefen in den Fall eingeschaltet . Auch die deutschen Industrieverbände BDI und DIHK werden ein solches Schreiben, das in den USA Unbeteiligten die Stellungnahme in einem Rechtsstreit ermöglicht, in den nächsten Tagen nach Washington schicken.

Warnung vor "Balkanisierung des Internets"

Ins Rollen kam die Angelegenheit 2013. Das US-Justizministerium ermittelte in einem Fall von Drogenkriminalität und verlangte von Microsoft Zugriff auf das E-Mail-Konto eines Verdächtigen. Ein New Yorker Bezirksrichter hatte einen entsprechenden Durchsuchungsbefehl ausgestellt und sich dabei auf ein Gesetz von 1986 berufen. Das Problem: Der Server mit den Daten stand in Irland - und dort, erklärte Microsoft, sei ein New Yorker Durchsuchungsbeschluss nicht gültig. Den ersten Prozess verlor Microsoft, in der zweiten Instanz siegte das Unternehmen. Nun entscheidet der Supreme Court. Ein Urteil wird für Ende Juni erwartet. Wie es ausfallen wird, gilt als offen. Dass die US-Regierung aber auch mit der Terrorismusgefahr argumentiert, werten Beobachter als eher bedrohliches Zeichen.

In den Briefen an das Gericht warnen alle bis auf die Briten eindringlich davor, US-Ermittlern den Zugriff auf Daten im Ausland zu erlauben. Die EU-Kommission drängt darauf, dass die USA sich an internationales Recht und Gepflogenheiten halten. Wer Daten wolle, könne und müsse sie über bereits bestehende internationale Abkommen anfordern. Das besage auch die Datenschutz-Grundverordnung der EU, die ab dem 25. Mai in allen EU-Staaten gilt.

Irland betont in seinem Schreiben sogar, dass es durchaus bereit sei, den USA die Daten auf diesem Wege zur Verfügung zu stellen. Das Vorgehen des US-Justizministeriums aber wertet die irische Regierung als Angriff auf ihre Souveränität. Die Argumentation, Dublin müsse seine souveränen Rechte erst vor einem US-Gericht erklären, damit sie wirksam seien, lehne man strikt ab. Und sollte Irland nicht in einem US-Prozess intervenieren, heiße das keineswegs, dass es eine Verletzung seiner Souveränität hinnehme.

Die lauteste Warnung kommt ausgerechnet von ehemaligen Justiz-, Sicherheits- und Geheimdienstbeamten, darunter prominente Konservative wie der frühere US-Heimatschutzminister Michael Chertoff. Sollte das Justizministerium vor dem Supreme Court siegen, gäbe es ein juristisches Chaos, das die grenzüberschreitende Verbrechensbekämpfung und Geheimdienstzusammenarbeit gefährde. Zudem drohte eine "Balkanisierung des Internets", wenn Staaten es erzwingen würden, dass wichtige Daten nur noch innerhalb ihrer eigenen Grenzen gespeichert werden, um sie vor Zugriffen aus dem Ausland zu schützen.

"Das würde das Internet in seiner heutigen Form zerstören", meint der Grünen-Europaabgeordnete Jan-Philipp Albrecht. Zudem würden dann nicht nur US-Ermittler außerhalb ihrer Landesgrenzen aktiv werden, befürchtet Joseph Cannataci, Uno-Sonderberichterstatter für das Recht auf Privatsphäre. Sollte der Supreme Court es einem Land gestatten, einseitig Daten aus anderen Staaten abzugreifen, hätte das gravierende Folgen für die Rechte der Internetnutzer weltweit - insbesondere wenn "Staaten ohne Respekt vor Rechten" sich diese Praxis zu eigen machten.

"Die Chinesen würden von Unternehmen, die in China sitzen oder dort tätig sind, dann auch Daten verlangen - auch von amerikanischen", meint Grünen-Politiker Albrecht. Vorstellbar wäre auch, dass türkische Ermittler bei der Google-Filiale in Istanbul vorstellig werden und die E-Mails in Deutschland lebender angeblicher Staatsfeinde verlangen - oder dass russische Strafverfolger bei Microsoft in Moskau ähnliches tun.

Wirtschaftsverbände sehen in diesem Fall "weitreichende Konsequenzen für Millionen von Firmen". Ein gerichtlicher Sieg des US-Justizministeriums "würde praktisch jeden grenzüberschreitenden Datenverkehr betreffen", heißt es im Entwurf des Briefs, den der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) zusammen mit irischen, polnischen und französischen Verbänden an den Supreme Court schicken wollen. Unternehmen stünden vor einem Dilemma: Sie müssten entweder gegen das Recht an ihren Standorten verstoßen oder US-Behörden missachten.

"Die EU-Behörden müssen ab Mai die Datenschutz-Grundverordnung durchsetzen", sagt Albrecht. "Auch der Europäische Gerichtshof kennt keine Gnade, was die Umsetzung von EU-Recht gerade in diesem Bereich betrifft." Firmen wie Microsoft bliebe dann wohl nur noch die Abspaltung jener Unternehmensteile, die in der EU Dienste anbieten - oder der Rückzug aus Europa.

Großbritannien stellt sich gegen EU-Linie

Eine geschlossene Front gegen den Vorstoß des US-Justizministeriums bietet die EU aber nicht. Zwar hat sich die EU-Kommission "im Namen der Europäischen Union" an den Supreme Court gewandt. Doch das hat das Noch-EU-Mitglied Großbritannien nicht daran gehindert, einen eigenen Brief nach Washington zu schicken - und darin gegen die Linie der EU zu opponieren.

In welchem Land Daten gespeichert sind, "sollte nicht darüber entscheiden, ob eine Nation Zugang zu diesen Kommunikationsdaten bekommt", heißt es in dem Brief. Der Versuch des US-Ministeriums, Daten einer in den USA tätigen Firma zu erhalten, sei auch kein Fall von "extraterritorialer Rechtsprechung". Damit macht sich London die Argumentation der US-Regierung vollständig zu eigen.

"Die Briten suchen dermaßen verzweifelt nach Freunden, dass sie sich aufführen wie die Lobbyisten Washingtons", sagt ein Kommissionsmitarbeiter. Der Brief der britischen Regierung verrät noch ein pikantes Detail: London und Washington arbeiten demnach an bilateralen Abkommen, "um den gegenseitigen Zugang zu Kommunikationsdaten zu erleichtern" - ein Sieg Microsofts wäre dem hinderlich.

EU wittert Verrat Londons

In der EU-Kommission wittert man einen Verrat der britischen Regierung: Statt ihren Verpflichtungen gegenüber der EU nachzukommen, arbeite sie für die Zeit nach dem Brexit, heißt es. Über den Deal mit den USA wollten sich die Briten auch in Zukunft Zugang zur Kommunikation der EU-Bürger sichern. Und da wäre es natürlich praktisch, wenn US-Ermittler auf Daten von Europäern zugreifen könnten.

Doch auch die EU steckt in einer Zwickmühle: Ihre Behörden erhalten ebenfalls gern Daten aus den Beständen von Google, Microsoft und anderen großen Anbietern von Cloud-Diensten. Und alle sitzen in den USA. Die EU, sagt ein Kommissionsbeamter, habe in dieser Hinsicht mehr zu verlieren als die Amerikaner.

Es gibt allerdings auch jene, die sich ein Ende dieser Denkweise wünschen. "Wir sind größer als die USA", sagt die niederländische Liberale Sophia in 't Veld, "aber wir verhalten uns wie politische Zwerge." Die EU habe die Tendenz, Rechte von US-Bürgern über die von Europäern zu stellen. "Wie sollen EU-Bürger der EU vertrauen", sagt in 't Veld, "wenn wir nicht einmal unsere eigenen Gesetze verteidigen?"


Zusammengefasst: Das US-Justizministerium verlangt von Microsoft die Herausgabe von E-Mails, die auf einem Server in Irland gespeichert sind. Demnächst entscheidet der US Supreme Court. Sollte er dem Justizministerium Recht geben, befürchten Kritiker dramatische Folgen für Internetnutzer in aller Welt, weil dann nicht nur Behörden in den USA, sondern auch in Ländern wie China den Zugriff auf weltweite Daten von Unternehmen fordern könnten, die auf ihrem Staatsgebiet aktiv sind.

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