Aus Polen ist eine zerstrittene, geteilte Gesellschaft geworden. Die politischen Risse sind zwischen Freunden, sogar in Familien zu sehen. Es sieht so aus, als lebten zwei Gruppen – die Linksliberalen und die Rechten – in unterschiedlichen Welten. Diese Welten werden betoniert durch die entsprechende mediale Berichterstattung und die jeweils eigene Informationsblase, in der beide Lager leben.

Dominika Bychawska-Siniarska ist Juristin und Menschenrechtlerin und lebt in Polen. Sie arbeitet für die Helsinki Foundation for Human Rights. Für ihren Einsatz für die Meinungsfreiheit in Polen wurde sie mit einem Preis geehrt. © privat

Die Rechte konzentriert sich auf das Internet, wo Kanäle wie podziemna TV ("Untergrund TV") oder das Nachrichtenportal Niezależna ("Die Unabhängige") regelmäßig über die antipolnische Verschwörung der intellektuellen und politischen Eliten des Landes berichten. Die Liberalen hingegen nutzen die Berichterstattung der Tageszeitung Gazeta Wyborcza und des privaten Fernsehsenders TVN, die der Nation penibel das Fürchten vor der neuen Regierung lehren und jeden noch so kleinen Fehltritt auseinandernehmen. Auf beiden Seiten herrschen und wiederholen dieselben Experten ihre Meinungen. Diese zwei Welten berühren sich nur selten, die jeweils andere Seite kommt nur sporadisch zu Wort.

Die beiden Lager können sich nicht mehr verständigen. Sie sehen und hören zwei extreme Versionen desselben Landes. In dem Versuch, eine politische Diskussion zu führen, prallen verschiedenste Argumente aufeinander: Auf der einen Seite internationale Verpflichtungen und Pflichten im Rahmen der EU und des Europarates; auf der anderen (innenpolitischen) Seite hingegen Persönliches wie Diskussionen bezüglich eventueller Kollaborationen mit der ehemaligen kommunistischen Regierung oder mit "ausländischen Interessegruppen" dieser oder anderer Personen, die der PiS kritisch gegenüberstehen. Die Liberalen, frustriert von der Respektlosigkeit gegenüber staatlichen Rechtsgrundlagen und internationalen Gesprächsstandards, beenden die inhaltsleere Diskussion.

Jede Seite hat ihren Kanal

Die Konservativen hingegen betonen stur, dass eben diese Grundlagen gegen den Staat gerichtet seien und die "wahren Polen" diskriminierten, wobei sie der Gegenseite mangelnde Geschichtskenntnis vorwerfen. Die einen sagen, es sei gut, dass Deutschland die polnische Regierung zurechtweist und treten für demokratische Werte ein.

Die anderen wiederum nehmen dies als weiteren Beweis für den Versuch, das bisherige Wirtschaftssystem aufrechtzuerhalten, das durch ausländisches Kapital geschaffen wurde und Polen und seine Einwohner ausnutzt. Die Ersteren bemerken beschämt, dass die EU ein Verfahren zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in Polen eingeleitet hat; die Letzteren empören sich und sprechen vom Versuch, sich in innenpolitische Angelegenheiten einzumischen. Und so gehen die einen wie die anderen nach Hause und schalten ihre jeweiligen Nachrichtenkanäle ein, die sie in der Richtigkeit ihrer Behauptungen bekräftigen.

Polen - Die Spaltung war noch nie so tief Die polnische Regierung verabschiedet ein Gesetz nach dem anderen, eine Protestbewegung organisiert Demo um Demo. Polen erlebt die stärkste Umwälzung seit 1989.


Polen ist mit seinem Mangel an Solidarität und der Festigung von Gegensätzen nicht allein. Aber in Polen ziehen heute leider die regierenden Politiker auf außergewöhnliche Weise ihren Nutzen aus diesen Gegensätzen. Es ist ihnen gelungen, das Gefühl von Unrecht des Teils der Gesellschaft auszunutzen, der von den Veränderungen nach der Transformation von 1989 nicht profitiert hat und der sich als Opfer des jetzigen Systems empfindet. Mithilfe dieser Menschen haben die PiS-Politiker die Wahl gewonnen. Ihnen liegt nichts am Aufbau gesellschaftlicher Solidarität: Das bringt keine Wählerstimmen. 

Mit der Opposition wird nicht geredet

Vielmehr versprechen sie Vergeltung, Ausgleich des Unrechts und Bloßstellung der Verräter der Nation. Die Gegensätze werden durch ostentative Geringschätzung der anderen Seite verstärkt, etwa durch die legislative Hast. Mit dem gegenwärtigen Rechtssystem inkongruente Gesetzesvorlagen werden innerhalb eines Tages verabschiedet; nächtliche Aktionen lassen Debatten keinen Raum und machen es unmöglich, Expertenwissen einzuholen. Mit der Opposition wird nicht gesprochen, man gibt Nichtregierungsorganisationen keine Möglichkeit zum Dialog.

Dabei müsste die regierende Partei all dies gar nicht tun – sie hat in beiden Parlamentskammern die Mehrheit und "ihren" Präsidenten, doch ihren Wählern trichtert sie weiterhin ein, dass alle, die Kritik an ihr üben, ihren bisherigen Einfluss und ihr Kapital behalten wollen.

Die Gegensätze werden sichtbar, wenn die Verfassungsrichter, die zuvor gewählt wurden, demonstrativ nicht vereidigt werden – obwohl der Vorsitzende des Verfassungsgerichtes sich um einen Konsens bemühte und begann, mit den von der aktuellen Regierung gewählten Richtern zusammenzuarbeiten. Auch der umfassende Personalaustausch in der öffentlichen Verwaltung oder in leitenden Positionen der öffentlich-rechtlichen Medien kommt einem Dialog nicht zugute. Wenn hohe Posten in der Verwaltung oder in den Medien nicht mehr durch Wettbewerb vergeben werden, mindert das die Transparenz und beeinflusst die Debatte negativ.

Ich weiß nicht, ob die Festigung der Gegensätze durch die aktuelle Regierung zum Bürgerkrieg führen wird, wie Lech Wałęsa es vorhergesagt hat. Ich weiß allerdings, dass wir Solidarität, Verständnis und Toleranz brauchen, und keine Vergeltung, keine Vertiefung der bestehenden Gräben zwischen den Lagern. Hier müssen nicht nur die Politiker, sondern auch die diese Gegensätze verstärkenden Medien eine große Rolle spielen.

 Übersetzt aus dem Polnischen von Anna Labentz