Zum Inhalt springen

Ökonom Straubhaar zur Globalisierung "Der klassische Güterhandel ist ein Auslaufmodell"

Lange haben Ökonomen die Globalisierung gefeiert. Jetzt kommen ihnen Zweifel. Die Digitalisierung sei in ihren positiven Szenarien gar nicht berücksichtigt gewesen, sagt Wirtschaftswissenschaftler Thomas Straubhaar.
Hafen von Jakarta: "Das Versprechen, dass die Globalisierung zum Vorteil aller ist, haben die Industrieländer nicht einlösen können"

Hafen von Jakarta: "Das Versprechen, dass die Globalisierung zum Vorteil aller ist, haben die Industrieländer nicht einlösen können"

Foto: DARREN WHITESIDE/ REUTERS

Der Hamburger Ökonom Thomas Straubhaar, 58, hat sich eine einjährige Auszeit genommen und die Welt bereist. Er war in den USA, Brasilien, Mexiko und hat dort viel gesehen. Jetzt ist der Schweizer, bis 2014 Präsident des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, ernüchtert: Anders als früher glaubt er nicht mehr daran, dass die Globalisierung jedem zugute kommt. Und er hat Zweifel, ob angesichts unsichtbarer Datenströme das Handelsmodell der Ökonomen mit physischen Importen und Exporten überhaupt noch zeitgemäß ist.

SPIEGEL: Der Welthandel wächst kaum noch, die Globalisierung verliert an Dynamik. Wie lange wird diese Schwäche anhalten?

Straubhaar: Der starke Schwung wird wohl auf Dauer wegbleiben. Das liegt nicht an der Konjunktur, sondern an strukturellen Problemen. Als der Kalte Krieg zu Ende ging, war die Wirkung von Milliarden Arbeitern und Konsumenten, die in die Weltwirtschaft eintraten, noch gewaltig. Jetzt lässt der positive Effekt deutlich nach. Und viele Menschen sind enttäuscht über die Folgen der Globalisierung.

SPIEGEL: Verliert die Globalisierung ihren Zauber?

Straubhaar: In den Schwellenländern herrscht mittlerweile große Skepsis gegenüber dem Prinzip offener Märkte. Wir waren überzeugt - auch ich -, dass die Globalisierung helfen würde, die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen. Jetzt stellt sich heraus, dass die Ungleichheit vielerorts nicht abgenommen hat. Das Versprechen, dass die Globalisierung zum Vorteil aller ist, haben die Industrieländer nicht einlösen können.

Zur Person
Foto:

dapd

Thomas Straubhaar ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg. Er war zudem Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI). Sein Fachgebiet sind die internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Der Schweizer lebt seit 1992 in Deutschland.

SPIEGEL: Aber es gibt doch Millionen Menschen, die profitiert haben und in die Mittelschicht aufgestiegen sind?

Straubhaar: Das ist richtig. Ich bin nach wie vor überzeugt von der positiven Kraft der Globalisierung. Ich sage sogar, dass es noch nie so vielen Menschen so gut gegangen ist wie heute. Aber es stimmt nicht, dass Aufholprozesse automatisch und auf breiter Front für alle stattgefunden haben. Ich habe 2015 einige Länder bereist, darunter Mexiko, ein Land, das noch relativ gut dasteht, aber selbst oder gerade dort herrscht eine enorme Ungleichheit. Ein Teil der Wirtschaft ist hochentwickelt und weltmarktorientiert. Aber es gibt eben auch die Masse der einfachen Arbeiter, die den Mindestlohn von rund 70 Pesos am Tag verdienen, das sind keine vier Euro.

SPIEGEL: Sind denn dafür die Industrieländer verantwortlich zu machen?

Straubhaar: Nicht unbedingt. Wenn Staaten scheitern, liegt das in erster Linie in der Verantwortung der jeweiligen Regierungen. Dem Westen ist allerdings vorzuwerfen, dass er zu viel versprochen hat. Er hat mitunter sogar alte Eliten gestärkt, die sich gegen Modernisierung und Öffnung gewendet haben, etwa in Saudi-Arabien, aber es gilt eben auch für Brasilien oder Argentinien. Jetzt wird dort auch als Folge gesunkener Energie- und Rohstoffpreise das Geld knapper, und die sozialen Probleme treten mit Wucht auf. Solche Länder stehen vor den Trümmern der Politik der vergangenen Jahrzehnte.

SPIEGEL: Wird sich die Welt jetzt deglobalisieren?

Straubhaar: Nein, die weltweite Nachfrage wird schon deshalb steigen, weil die Erdbevölkerung noch viele Jahre weiter wächst und weil es immensen Aufholbedarf gibt. Die Frage ist nur, was in Zukunft global gehandelt werden wird.

SPIEGEL: Wie meinen Sie das?

Straubhaar: Die Globalisierung, wie wir sie früher gefeiert haben, mit Containern, Schiffen und Häfen, wird immer weniger relevant. Es kann ökonomisch nicht nachhaltig sein, Standardgüter zentral herzustellen und sie um die halbe Welt zu transportieren. Künftig wird wieder mehr vor Ort produziert, näher am Kunden. Wenn ich sehe, wozu 3D-Drucker fähig sind, wird sich da einiges tun.

SPIEGEL: Dann werden unsichtbare Datensätze transportiert statt physischer Güter?

Straubhaar: Ja, genau! Wir erleben eine Zeitenwende. Die Globalisierung bekommt mit der Digitalisierung ein neues Gesicht. Der klassische Güterhandel mit standardisierten Massenprodukten ist ein Auslaufmodell. Das Thema behandele ich immer weniger in meinen Vorlesungen. Ich präsentiere meinen Studenten keine Handelsstatistik mehr, die Zahlen haben ihre analytische Aussagekraft verloren.

SPIEGEL: Weil in der Außenhandelstheorie nicht Datenströme gemessen werden, sondern Importe und Exporte?

Straubhaar: Dieser Ansatz ist völlig überholt. Wie kann man in Zeiten, da Maschinen per Software-Update aus der Ferne gewartet werden, überhaupt noch zwischen Inland und Ausland trennen? Wir haben uns jahrelang die falschen Zahlen angeschaut, die Digitalisierung ist in unseren alten Modellen noch gar nicht eingeflossen. Die Wissenschaft ist gefordert, ein besseres Modell zu entwickeln, eines, das das heutige Gesicht der Globalisierung und der Digitalisierung abzubilden vermag. Was wir brauchen, ist eine neue Theorie.

Lesen Sie im neuen SPIEGEL dazu: "Die Erde schrumpft: Der internationale Handel wächst nur noch schleppend - war's das mit der Globalisierung?"