Für viele Trump-Wähler ist die Rechnung im ersten Jahr des Präsidenten aufgegangen. Aber nicht für alle. Das macht die Wahlen im Herbst spannend.
Hunderttausende von Frauen sind am Tag nach der Amtseinsetzung des Präsidenten vor einem Jahr nach Washington geströmt. In einer der grössten Demonstrationen in der amerikanischen Hauptstadt machten sie klar, dass Donald Trump nicht ihr Präsident sein werde. Es roch nach Aufstand, wenn auch einem friedlichen. Nun, ein Jahr später, ist zwar wieder ein Aktionstag geplant. Doch nach zwölf Monaten Entrüstung ist eine gewisse Ermüdung unübersehbar.
Das stete Entsetzen über Trumps Worte, seine Gesten und seinen Charakter ist kräftezehrend. Zwar schafft Wut Energie, aber auch dieser Generator ist nicht unerschöpflich. Trotz dem Willen zum «Widerstand» seiner Gegner hat Trump sein erstes Jahr ohne ernste Störungen absolviert. Die Institutionen der Republik sind zwar einem ständigen Stresstest ausgesetzt, aber bisher haben sie gehalten. Viele, die ihn wählten, sehen keinen Grund zur Klage, im Gegenteil.
Für die anderen gäbe es aus dem vergangenen Jahr vor allem eine Lehre zu ziehen: Entrüstung ist gut, Einsatz ist besser. Es brauchte mehrere Anläufe, in denen übertriebene Erwartungen enttäuscht wurden. Doch dann schien ein Damm zu brechen, und zwar vornehmlich bei den Frauen. Sie liessen sich in Massen als Kandidatinnen aufstellen, trugen in Alabama den Demokraten Doug Jones in den amerikanischen Senat und sorgten in Virginia ebenso wie in Wisconsin für ungeahnte Erfolge.
Zehn Monate vor den Zwischenwahlen für den Kongress sind die Signale allerdings nicht eindeutig. Ja, es gibt einerseits Anzeichen für einen demokratischen Erdrutsch, und die Linke schöpft Hoffnung, im November, mit einer demokratischen Mehrheit im Repräsentantenhaus, werde der Albtraum mit Trump und einem republikanischen Kongress ein Ende finden. Anderseits hat die Parteizentrale der Republikaner mit 132 Millionen Dollar gerade ein Rekordergebnis an Spenden im letzten Jahr präsentiert. Die Wirtschaft läuft auf Hochtouren, täglich werden gute Nachrichten verbreitet, wie etwa jene, dass Apple wegen der republikanischen Steuerreform seine Profite aus dem Ausland repatriieren, 38 Milliarden Dollar Steuern bezahlen und 20 000 neue Stellen schaffen will. Warum sollten Amerikas Wählerinnen und Wähler also etwas ändern wollen? Schliesslich lautete 1992 die berühmt-berüchtigte Losung für Bill Clintons Sieg: «It's the economy, stupid!»
Dazu kommt, dass es Trump verstanden hat, wichtige Wählergruppen gezielt zu bedienen. Auch sein Wahlsieg war ja das Resultat einer Koalition von verschiedenen Interessengruppen, und wer sich die Mühe macht, durch das ständig hochkochende Drama um die Person Trump hindurchzublicken, gelangt zu der Erkenntnis, dass kaum eine dieser Interessengruppen im vergangenen Jahr leer ausging.
Der Wirtschaftsflügel hatte mit der Steuerreform, welche die Unternehmen erheblich entlastet, und einer Deregulierung an breiter Front zweifellos nichts zu klagen. Die Radikal-Konservativen, sowohl die säkular als auch die evangelikal ausgerichteten, können sich über die tiefgreifende Umgestaltung des Justizsystems freuen. Die Ernennung von unzähligen konservativen Richtern wird vermutlich noch Jahrzehnte nachhallen. Das für viele Konservative gesellschaftspolitische Horrorszenario mit dem stetigen gesellschaftspolitischen Umbau nach den Plänen der Linken und Progressiven, wie etwa Abtreibung oder Schwulenehe, dürfte damit gestoppt oder sogar zurückgerollt werden.
Voll auf die Kosten gekommen sind auch jene, die Trump aus Motiven wählten, die im weitesten Sinn mit Ressentiments umschrieben werden können. Weisse Frauen und Männer, vor allem aus ländlichen Gebieten und heruntergekommenen Industrie-Ruinenlandschaften (Rust Belt), wollten den Eliten einen Denkzettel verpassen, weil sie sich, nicht zu Unrecht, vernachlässigt und verspottet fühlten. Während Minderheiten aller Provenienz und aller Couleur die ungeteilte Aufmerksamkeit des demokratischen Parteiapparats erhielten, überliess man sie, am Rand des Wegs in eine leuchtende Zukunft, der Perspektivenlosigkeit, der Sucht, der Krankheit und dem frühen Tod. Wer sich dagegen wehrte, dem wurde das Gebot der politischen Korrektheit um die Ohren gehauen. Das hat sich grundlegend geändert. Trump hat zwar den rüden und verletzenden Ton im Umgang mit Mitbürgerinnen und Mitbürgern nicht erfunden. Aber er hat die Hemmschwelle enorm gesenkt und es auch ermöglicht, dass sich chauvinistische und rassistische Eiferer wieder selbstsicherer aus ihren Löchern wagen.
Bleiben jene, die vor Trump noch für Demokraten wie Clinton und Obama gestimmt hatten. Es waren sie, die Arbeiter und Angestellten, die in diesem tief gespaltenen Land mit zwei fast gleich starken Lagern in Wisconsin, Michigan und Pennsylvania dafür sorgten, dass Trump im Wahlmännergremium jene Stimmen erhielt, die er für den Sieg benötigte. Nun, der Denkzettel ist verpasst, die Auswirkungen von Trumps Politik für sie sind aber noch nicht absehbar. Jetzt folgt der harte Alltag. Wie wird sich der Kostenschub bei der Krankenversicherung auswirken, der nach den Interventionen Trumps fast unausweichlich ist? Und wie geht das einher mit der Tatsache, dass sie besonders von der Opiat-Epidemie betroffen sind? Werden sie im Herbst durch allfällige Steuererleichterungen doch noch mit ihrer Wahl versöhnt?
Die Aufmerksamkeit wird sich im Herbst auf ein Wählersegment richten, das mit der Bilanz des ersten Trump-Jahrs am meisten Mühe haben dürfte. Es sind die gemässigt Konservativen und Unabhängigen, viele von ihnen Frauen in den wohlhabenderen Vorstädten, denen es vor allem darum ging, der unbeliebten Hillary Clinton den Weg zur Präsidentschaft zu versperren. Sie haben die Verfechterin einer umfassenden Rolle des Staats in sämtlichen Lebensbereichen erfolgreich verhindert. Als Preis dafür müssen sie mit einem Präsidenten leben, der oft nur schwer zu ertragen und gelegentlich nicht einmal jugendfrei ist. Sie leiden unter dem unbeherrschten Auftritt des Präsidenten und seiner Verachtung für Andersfarbige, Andersdenkende und selbstbewusste Frauen. Es waren sie, die in Alabama und Virginia eine Schlüsselrolle spielten, und sie dürften auch im Herbst die Wahl entscheiden. Insofern hätte Trumps Auftreten doch Konsequenzen.
Eine Prognose ist schwierig. Die Demokraten schöpfen laut neuesten Umfragen des Pew Research Center neue Hoffnung. Ob diese wieder enttäuscht wird, hängt davon ab, ob der Wille zum Engagement für ein besseres Amerika, der sich vor einem Jahr in den rosaroten «Pussyhats» manifestierte, dieses Mal auch Konservative umfasst, die der Stillosigkeit des Präsidenten überdrüssig sind.