Das Chaos verdeckt Trumps Zielstrebigkeit

Für viele Trump-Wähler ist die Rechnung im ersten Jahr des Präsidenten aufgegangen. Aber nicht für alle. Das macht die Wahlen im Herbst spannend.

Peter Winkler, Washington
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Trump hat es verstanden, wichtige Wählergruppen gezielt zu bedienen. (Bild: Kevin Lamarque / Reuters)

Trump hat es verstanden, wichtige Wählergruppen gezielt zu bedienen. (Bild: Kevin Lamarque / Reuters)

Hunderttausende von Frauen sind am Tag nach der Amtseinsetzung des Präsidenten vor einem Jahr nach Washington geströmt. In einer der grössten Demonstrationen in der amerikanischen Hauptstadt machten sie klar, dass Donald Trump nicht ihr Präsident sein werde. Es roch nach Aufstand, wenn auch einem friedlichen. Nun, ein Jahr später, ist zwar wieder ein Aktionstag geplant. Doch nach zwölf Monaten Entrüstung ist eine gewisse Ermüdung unübersehbar.

Vom «Pussyhat» zur Wahlliste

Das stete Entsetzen über Trumps Worte, seine Gesten und seinen Charakter ist kräftezehrend. Zwar schafft Wut Energie, aber auch dieser Generator ist nicht unerschöpflich. Trotz dem Willen zum «Widerstand» seiner Gegner hat Trump sein erstes Jahr ohne ernste Störungen absolviert. Die Institutionen der Republik sind zwar einem ständigen Stresstest ausgesetzt, aber bisher haben sie gehalten. Viele, die ihn wählten, sehen keinen Grund zur Klage, im Gegenteil.

Für die anderen gäbe es aus dem vergangenen Jahr vor allem eine Lehre zu ziehen: Entrüstung ist gut, Einsatz ist besser. Es brauchte mehrere Anläufe, in denen übertriebene Erwartungen enttäuscht wurden. Doch dann schien ein Damm zu brechen, und zwar vornehmlich bei den Frauen. Sie liessen sich in Massen als Kandidatinnen aufstellen, trugen in Alabama den Demokraten Doug Jones in den amerikanischen Senat und sorgten in Virginia ebenso wie in Wisconsin für ungeahnte Erfolge.

Zehn Monate vor den Zwischenwahlen für den Kongress sind die Signale allerdings nicht eindeutig. Ja, es gibt einerseits Anzeichen für einen demokratischen Erdrutsch, und die Linke schöpft Hoffnung, im November, mit einer demokratischen Mehrheit im Repräsentantenhaus, werde der Albtraum mit Trump und einem republikanischen Kongress ein Ende finden. Anderseits hat die Parteizentrale der Republikaner mit 132 Millionen Dollar gerade ein Rekordergebnis an Spenden im letzten Jahr präsentiert. Die Wirtschaft läuft auf Hochtouren, täglich werden gute Nachrichten verbreitet, wie etwa jene, dass Apple wegen der republikanischen Steuerreform seine Profite aus dem Ausland repatriieren, 38 Milliarden Dollar Steuern bezahlen und 20 000 neue Stellen schaffen will. Warum sollten Amerikas Wählerinnen und Wähler also etwas ändern wollen? Schliesslich lautete 1992 die berühmt-berüchtigte Losung für Bill Clintons Sieg: «It's the economy, stupid!»

Auf die Kosten gekommen

Dazu kommt, dass es Trump verstanden hat, wichtige Wählergruppen gezielt zu bedienen. Auch sein Wahlsieg war ja das Resultat einer Koalition von verschiedenen Interessengruppen, und wer sich die Mühe macht, durch das ständig hochkochende Drama um die Person Trump hindurchzublicken, gelangt zu der Erkenntnis, dass kaum eine dieser Interessengruppen im vergangenen Jahr leer ausging.

Am 20. Januar 2017 tritt Donald John Trump als 45. Präsident der Vereinigten Staaten an. Im Wahlkampf galt der am 8. November 2016 gewählte Trump anfangs als Aussenseiter, der praktisch nicht wählbar ist und sogar Parteifreunde mit seinen Entgleisungen abgestossen hat. Ein Blick zurück. (Bild: Patrick Semansky / Keystone)
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In seiner kämpferischen Rede weist er die politischen Eliten Washingtons zurecht und skizziert ein desaströses Bild der Lage im Land. Über die Zahl der Zuschauer kursierten verschiedene Zahlen. Laut einer Analyse der «New York Times» war die Zuschauermenge auf der National Mall nur ein Drittel so gross wie diejenige bei Obama im Jahr 2009. (Bild: Keystone)
Die Feierlichkeiten für die Inauguration in Washington sind pompös, die Sicherheitsvorkehrungen enorm. Im Bild: das neue Präsidentenpaar beim Eröffnungstanz. Trump ist immer für Faxen und Spässe zu haben, während die neue First Lady Melania in die Kameras lächelt. (Bild: Jonathan Ernst / Reuters)
21. Januar, Washington: Bereits einen Tag nach dem Amtsantritt von Trump gehen beim «Women's March» Hunderttausende auf die Strasse, um für Frauen- und Menschenrechte zu demonstrieren. (Bild: Ronda Churchill / AP)
Aber nicht nur in den USA wird protestiert. Die von einer einzigen Frau in Hawaii über Facebook initiierte Kundgebung geht als grösste Demonstration mit Schwestermärschen in aller Welt in die Geschichte der USA ein. (Bild: Ian Langsdon / EPA)
Trumps älteste Tochter Ivanka spielt eine wichtige Rolle in der Regierung Trump – vor allem als Botschafterin der Gleichberechtigung von Frauen. Im Ausland agiert sie als Botschafterin ihres Vaters, wie etwa bei dieser Veranstaltung in Berlin mit der Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde (Mitte), und der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel (rechts), im April 2017.
10. Mai 2017. James Comey, der von Trumps Vorgänger Obama ernannte Direktor der Bundespolizei (FBI), wird Anfang Mai von Trump auf die Strasse gestellt. Aufnahme von Mai 2017. Mit Comey hat Trump einen Mann entlassen, der dem Weissen Haus gefährlich hätte werden können. (Bild: Carolyn Kaster / AP)
Mai 2017: Auf seiner Reise durch den Nahen Osten – im Bild bei seinem Abflug am Flughafen von Saudiarabien – betreibt US-Präsident Donald Trump seine gewohnte Politik. Markige Worte gegen Terroristen prägen die Treffen mit König Salman in Riad und weiteren Machthabern. Handfester sind Trumps Handelsabschlüsse über 380 Milliarden Dollar. (Bild: Jonathan Ernst / Reuters)
Bei seinem ersten Staatsbesuch trifft sich Donald Trump mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Zudem besucht er am 22. Mai 2017 als erster amtierender US-Präsident die Klagemauer in Jerusalem. Bei einem als privat deklarierten Besuch begibt sich Trump ohne führende israelische Vertreter in die Altstadt Jerusalems. (Bild: Jonathan Ernst / Reuters)
1. Juni 2017: Donald Trump teilt im Rosengarten des Weissen Hauses mit, dass die USA das Pariser Klimaabkommen kündigen würden. Trump ist der Meinung, die Bedeutung des Klimawandels werde überschätzt und dessen Ursachen seien nicht bewiesen. (Bild: Kevin Lamarque / Reuters)
13. Juni 2017: Am Tag zuvor haben sich Trump und Emmanuel Macron bei der gemeinsamen Pressekonferenz im Elysée-Palast bereits kräftig die Hände geschüttelt. (Bild: Carolyn Kaster / AP)
14. Juni 2017: Gleich einen doppelten Händedruck gibt es bei der Begrüssung von Macron und seiner Frau vor der Parade auf den Champs-Elysées. Mit Trumps Besuch soll die transatlantische Freundschaft gestärkt werden. (Bild: Christophe Archambault / AP)
12. August 2017: Im Städtchen Charlottesville ist eine Demonstration ultrarechter Gruppen nach Zusammenstössen mit Gegendemonstranten eskaliert, ein Auto rast in eine Gruppe von Gegendemonstranten. Drei Personen sterben, 35 weitere werden verletzt. Mit seiner unverbindlichen Reaktion – Trump verurteilte das Geschehen in Charlottesville, nicht aber die Neonazis – zog sich der Präsident selbst von republikanischen Politikern scharfe Kritik zu. (Bild: Ryan M. Kelly / The Daily Progress via AP)
18. August 2017: US-Präsident Donald Trump baut sein Team in raschen Schritten um. Dabei trifft es auch engste Weggefährten wie den Strategiechef Steve Bannon, der nach knapp sieben Monaten im Amt gehen muss. Nach seinen kritischen Äusserungen im Enthüllungsbuch «Fire and Fury» muss Bannon im Januar 2018 auch Breitbart News verlassen. Archivaufnahme vom 28. Januar. (Bild: Alex Brandon / AP)
August 2017: Ende Sommer weht dem Präsidenten kräftiger Wind entgegen: Der Hurrikan «Harvey» sorgte in Texas für grosse Verwüstungen. Donald Trump bemüht sich darum, nicht die Fehler seines Vorgängers George W. Bush zu wiederholen. Er legt sich ins Zeug, Stärke und Führungskraft angesichts der Naturkatastrophe zu demonstrieren und reiste gleich nach Texas. (Bild: Evan Vucci / AP)
September 2017: Mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 300 Kilometern pro Stunde fegte der Hurrikan «Irma» über die Karibik und Florida. Am 14. September besucht der amerikanische Präsident Donald Trump mit First Lady Melania Trump die vom Hurrikan «Irma» verwüsteten Gebiete in Florida. (Bild: Evan Vucci / AP)
13. Oktober 2017: In einer Rede gab Donald Trump bekannt, vorerst zwar am Atomdeal festzuhalten, er drohte aber damit, den Deal ganz aufzukündigen und Iran mit neuen Sanktionen zu belegen. Teheran bezeichnete die Aussage als «haltlose Vorwürfe». Die Schlagzeile auf der Tageszeitung lautet: «Crazy Trump and logical JCPOA» (Atomabkommen mit Iran). (Bild: Abedin Taherkenareh / EPA)
Oktober 2017: Trotz finanziellen und politischen Hürden hält Trump am Vorhaben fest, zwischen den USA und Mexiko eine Mauer zu bauen. Acht Prototypen hat er in Planung gegeben, die an die neun Meter hohen Modelle sind unmittelbar vor der mexikanischen Grenze ausgestellt. (Bild: Gregory Bull / AP)
6. Dezember 2017: Es ist ein historischer Schritt: Trump hat seinen Entschluss bekanntgemacht, entgegen internationalen Gepflogenheiten Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen. Die Verlegung der amerikanischen Botschaft von Tel Aviv dorthin kann aber noch Jahre dauern. Bild: Trump hält seinen unterzeichneten kontroversen Entschluss hoch – assistiert von Vizepräsident Mike Pence. (Bild: Evan Vucci / AP)
Nach Trumps Entscheid haben weltweit Muslime die Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt kritisiert. Im Gazastreifen beteiligten sich Zehntausende Palästinenser an den Protesten. US-Flaggen und Bilder von Trump werden verbrannt, vier Palästinenser wurden bei Zusammenstössen erschossen. (Bild: Mohammed Saber / EPA)
20. Dezember 2017: Nach wochenlangen Verhandlungen hat US-Präsident Donald Trump die vom Kongress verabschiedete Steuerreform unterzeichnet und das umstrittene Gesetzeswerk damit in Kraft gesetzt. (Bild: Manuel Balce Ceneta / AP)
Es ist das erste grosse Gesetzesvorhaben, das Trump in seiner Präsidentschaft gelungen ist. Entsprechend zufrieden zeigt sich der Präsident. V. l. n. r.: Mitch McConnell, Donald Trump und der oberste Republikaner im Kongress, Sprecher Paul Ryan, folgen einer Ansprache von Vizepräsident Mike Pence, 20. Dezember 2017. (Bild: Manuel Balce Ceneta / AP) Zum Artikel

Am 20. Januar 2017 tritt Donald John Trump als 45. Präsident der Vereinigten Staaten an. Im Wahlkampf galt der am 8. November 2016 gewählte Trump anfangs als Aussenseiter, der praktisch nicht wählbar ist und sogar Parteifreunde mit seinen Entgleisungen abgestossen hat. Ein Blick zurück. (Bild: Patrick Semansky / Keystone)

Der Wirtschaftsflügel hatte mit der Steuerreform, welche die Unternehmen erheblich entlastet, und einer Deregulierung an breiter Front zweifellos nichts zu klagen. Die Radikal-Konservativen, sowohl die säkular als auch die evangelikal ausgerichteten, können sich über die tiefgreifende Umgestaltung des Justizsystems freuen. Die Ernennung von unzähligen konservativen Richtern wird vermutlich noch Jahrzehnte nachhallen. Das für viele Konservative gesellschaftspolitische Horrorszenario mit dem stetigen gesellschaftspolitischen Umbau nach den Plänen der Linken und Progressiven, wie etwa Abtreibung oder Schwulenehe, dürfte damit gestoppt oder sogar zurückgerollt werden.

Voll auf die Kosten gekommen sind auch jene, die Trump aus Motiven wählten, die im weitesten Sinn mit Ressentiments umschrieben werden können. Weisse Frauen und Männer, vor allem aus ländlichen Gebieten und heruntergekommenen Industrie-Ruinenlandschaften (Rust Belt), wollten den Eliten einen Denkzettel verpassen, weil sie sich, nicht zu Unrecht, vernachlässigt und verspottet fühlten. Während Minderheiten aller Provenienz und aller Couleur die ungeteilte Aufmerksamkeit des demokratischen Parteiapparats erhielten, überliess man sie, am Rand des Wegs in eine leuchtende Zukunft, der Perspektivenlosigkeit, der Sucht, der Krankheit und dem frühen Tod. Wer sich dagegen wehrte, dem wurde das Gebot der politischen Korrektheit um die Ohren gehauen. Das hat sich grundlegend geändert. Trump hat zwar den rüden und verletzenden Ton im Umgang mit Mitbürgerinnen und Mitbürgern nicht erfunden. Aber er hat die Hemmschwelle enorm gesenkt und es auch ermöglicht, dass sich chauvinistische und rassistische Eiferer wieder selbstsicherer aus ihren Löchern wagen.

Bleiben jene, die vor Trump noch für Demokraten wie Clinton und Obama gestimmt hatten. Es waren sie, die Arbeiter und Angestellten, die in diesem tief gespaltenen Land mit zwei fast gleich starken Lagern in Wisconsin, Michigan und Pennsylvania dafür sorgten, dass Trump im Wahlmännergremium jene Stimmen erhielt, die er für den Sieg benötigte. Nun, der Denkzettel ist verpasst, die Auswirkungen von Trumps Politik für sie sind aber noch nicht absehbar. Jetzt folgt der harte Alltag. Wie wird sich der Kostenschub bei der Krankenversicherung auswirken, der nach den Interventionen Trumps fast unausweichlich ist? Und wie geht das einher mit der Tatsache, dass sie besonders von der Opiat-Epidemie betroffen sind? Werden sie im Herbst durch allfällige Steuererleichterungen doch noch mit ihrer Wahl versöhnt?

Was werden die Frauen tun?

Die Aufmerksamkeit wird sich im Herbst auf ein Wählersegment richten, das mit der Bilanz des ersten Trump-Jahrs am meisten Mühe haben dürfte. Es sind die gemässigt Konservativen und Unabhängigen, viele von ihnen Frauen in den wohlhabenderen Vorstädten, denen es vor allem darum ging, der unbeliebten Hillary Clinton den Weg zur Präsidentschaft zu versperren. Sie haben die Verfechterin einer umfassenden Rolle des Staats in sämtlichen Lebensbereichen erfolgreich verhindert. Als Preis dafür müssen sie mit einem Präsidenten leben, der oft nur schwer zu ertragen und gelegentlich nicht einmal jugendfrei ist. Sie leiden unter dem unbeherrschten Auftritt des Präsidenten und seiner Verachtung für Andersfarbige, Andersdenkende und selbstbewusste Frauen. Es waren sie, die in Alabama und Virginia eine Schlüsselrolle spielten, und sie dürften auch im Herbst die Wahl entscheiden. Insofern hätte Trumps Auftreten doch Konsequenzen.

Eine Prognose ist schwierig. Die Demokraten schöpfen laut neuesten Umfragen des Pew Research Center neue Hoffnung. Ob diese wieder enttäuscht wird, hängt davon ab, ob der Wille zum Engagement für ein besseres Amerika, der sich vor einem Jahr in den rosaroten «Pussyhats» manifestierte, dieses Mal auch Konservative umfasst, die der Stillosigkeit des Präsidenten überdrüssig sind.