«Wir gieren nach Übervätern»

Warum ist der autoritäre Charakter wieder im Aufschwung? Der Psychoanalytiker und Schriftsteller Jürg Acklin sucht nach Antworten.

Peer Teuwsen
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Wer widerspricht, wird hinauskatapultiert: Präsident Trump am 15. Februar 2017 im Weissen Haus. (Bild:Andrew Harrer / Bloomberg)

Wer widerspricht, wird hinauskatapultiert: Präsident Trump am 15. Februar 2017 im Weissen Haus. (Bild:Andrew Harrer / Bloomberg)

Herr Acklin, die Trump-Spiele sind seit ein paar Wochen eröffnet. Wie bewerten Sie als Schriftsteller und erfahrener Psychoanalytiker, was Ihnen geboten wird?

Ich habe bis zuletzt gehofft, dass die Vernunft siegt. Aber ich denke, all die ökonomischen und politischen Erklärungsmuster, die wir hören, greifen zu kurz. Diese Wahl und andere jüngste Ereignisse sind für mich das Resultat einer viel tiefer gehenden Verunsicherung. Wir alle stehen ja nicht mehr wie noch Charlie Chaplin in «Modern Times» neben dem Förderband, sondern wir stehen schon längst darauf und treiben es an. Wir sind alle ausser Atem. Und das wird ausgenutzt von diesen Narzissten. Sie reden permanent eine Apokalypse herbei, die natürlich nur sie selbst in ihrer Grandiosität abwenden können.

Wenn wir so herumschauen, dann sehen wir, dass der Typus der Leaderpersönlichkeit offenbar wieder an Attraktivität gewinnt. Wie erklären Sie sich dies?

Das ist in der Tat unheimlich. Wir sind uralte, funktionierende Demokratien – und trotzdem steigt die Attraktivität der Rattenfänger. Manchmal kommen mir die heutigen Menschen vor wie Kinder, sie haben alle Spielsachen, aber es wird ihnen langweilig, und sie beginnen sie mutwillig zu zerstören. Das ist für einen alten Menschen wie mich, der hinter sich immer noch den Schatten des «Dritten Reiches» spürt, schon erstaunlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Menschen sich nach bloss zwei Generationen wieder verführen lassen. Aber es gibt offenbar wieder die Hoffnung, dass die Komplexität der Welt durch eine einzelne Person reduziert werden kann. Obwohl wir, und das finde ich das Allerverrückteste, schon im Voraus wissen, dass das nicht klappen kann. Die scheitern alle, aber leider immer mit grossem Getöse und zum Schaden aller. Narzissten wollen immer viel Lärm.

Ich würde sagen, der autoritäre Charakter sei zurück an den Schaltstellen der Macht – wenn er denn je weg war. Das sind Menschen, die sich durch ein ausgeprägtes Überlegenheitsgefühl, überzogenen Machtanspruch und das Unterwerfen Schwächerer auszeichnen und dadurch Intoleranz, Dogmatismus und Unfreiheit fördern. Stimmen Sie zu?

So definierte Erich Fromm den autoritären Charakter, so zeichnete ihn Heinrich Mann im «Untertanen». Aber ich denke, da hat sich etwas verändert. Wir haben es heute mit einem autoritären Pöbelcharakter zu tun, der kann ungebremst hervortreten, weil die Zivilisation verpöbelt. Das zeigt sich ja etwa in den sozialen Netzwerken. Die Schamlosigkeit ist wieder attraktiv. Man kann schamlos lügen, alle wissen es, und man wird trotzdem gewählt. Das ist gefährliche totale Macht.

Was ist Schamlosigkeit?

Man hat kein Gefühl mehr für Anstand. Scham ist etwas vom Wichtigsten für einen Menschen, es macht ihn erst zum Menschen. Nur ein Idiot hat keine Schamgefühle. Mir scheint aber, mittlerweile liessen auch diejenigen die Hosen herunter, von denen ich angenommen hatte, sie behielten sie an. Da ist eine Verpöbelung im Gang, so dass wir Gefahr laufen, unsere zivilisatorischen Errungenschaften, die von jeder Generation neu erkämpft werden müssen, relativ rasch zu zerstören. Ich meine, gewisse Kreise bezeichnen Parlamente neuerdings wieder als «Schwatzbuden».

Was ist an Schamlosigkeit attraktiv?

Wir kennen das doch an uns. Wofür wurde denn die Fasnacht erfunden? Es gibt eine Ursuppe in uns, die immer wie ein Geysir in die Höhe schnellen will. Diese müssen wir immer wieder bändigen. Aber ich habe Hoffnung, dass uns dies gelingen wird. Das Lichtlein der Vernunft wird wieder eine Laterne werden.

«Der Linksliberale kennt die Psychoanalyse theoretisch, der Rechte wendet sie an. Weil er den Menschen besser kennt.»

Wenn ich mir die Trump-Spiele anschaue, kommt mir ein Zitat aus «Masse und Macht» von Elias Canetti in den Sinn: «Erfolg hört nur auf Applaus. Für alles andere ist er taub.»

Genau. Und deshalb ist ja die Rolle der Medien so zwiespältig. Die blasen einen Trump jeden Tag noch mehr zum Dämon auf. Und er lebt davon sehr gut. Solche Leute müsste man sehr nüchtern betrachten. Wenn man denen die Aufmerksamkeit entzieht, nimmt man ihnen das Benzin. Aber ihr Faszinationsgrad ist enorm. Sie gehen direkt ans Herz, arbeiten mit Emotionen. Der Linksliberale kennt die Psychoanalyse theoretisch, der Rechte wendet sie an. Weil er den Menschen besser kennt. Solche Leute sind überhaupt nicht empathisch, aber sie haben eine absolute Instinktsicherheit für Menschen, Bewegungen und ihren eigenen Vorteil. Darin sind sie wahre Künstler.

Ist Politik also zu einer Soap-Opera geworden?

So ist es. Leider spielt sie in der Realität.

Die Mächtigen sind vornehmlich alte Männer wie Sie. Warum lieben wir alte Männer?

Das weiss ich auch nicht. Wenn die alten Männer ja noch etwas wie Weisheit und Erfahrung hätten, wären sie ja Vaterfiguren. Aber diese Männer sind alt gewordene ewig Pubertierende. Man will diese Leaderfiguren unbedingt behalten, also verschliesst man vor ihren Fehlern und Monstrositäten geflissentlich die Augen.

Warum?

Dostojewski hat gesagt, die wahren Helden seien nicht diejenigen, die auf dem Schlachtfeld stürben, sondern jene, die den Alltag einigermassen anständig bewältigten. Damit haben die meisten Menschen schon genug zu tun. Gehören sie aber dann noch einer Bewegung, einer Partei an, ist man etwas Besonderes, man bekommt einen Auftrag, man nimmt teil an der Grandiosität der Leaderfigur. Ich denke, Väter sind etwas Gutes. Sie halten Differenzen aus, sie fördern sie sogar. Aber wir haben keine richtigen Väter mehr, darum gieren wir nach Übervätern.

«Man wird ja schon bald seinen Kanarienvogel heiraten dürfen.»

Warum?

Wir haben heute eine derartige Tendenz, alles gleichzumachen. Man kann heute sogar das Geschlecht wählen, es ist nicht mehr biologisch festgelegt. Man wird ja schon bald seinen Kanarienvogel heiraten dürfen. Das Inzesttabu wird diskutiert. Man kann alles wählen, alles ist möglich. Dieser Kulturrelativismus ist schrecklich geworden. Die Wahrheit ist aber, dass wir immer noch arme, bedürftige Wesen sind, die existenziell schlottern. Wir sterben immer noch.

Obwohl Google mit seiner Firma Calico auch das noch verhindern will.

Sehen Sie! Das ist reine Hybris. Es ist nicht mehr der Mensch das Mass aller Dinge, sondern der Algorithmus. Das überfordert uns total.

Wie kann der geneigte Bürger dem narzisstischen Charakter widerstehen?

Wenn man eine einigermassen autonome Persönlichkeit ist, die die eigenen Widersprüche annehmen kann und weiss, dass man ebenfalls narzisstische, autoritäre oder böse Züge hat, dann ist man der Bosheit des anderen gewachsen. Wenn man allerdings meint, man müsse immer ein guter Mensch und immer empört sein, dann hat man keine Chance. Solche Menschen brauchen in ihrer Unsicherheit Überfiguren – und geraten schnell in diesen Sog der Macht. Dass aber auch gestandene Konservative diesem verfallen, ist mir schon ein Rätsel. Der Schriftsteller Alfred Andersch hat allerdings einmal erzählt, er sei als junger Linker während des «Dritten Reichs» am Strassenrand gestanden, als Hitler in seinem Mercedes vorbeigefahren sei. Da habe es ihm fast den Arm hochgerissen.

Was kann man also tun, dass es einem nicht den Arm hochreisst?

Nie in den Stechschritt verfallen. Ich hatte einen autoritären Vater, um einmal persönlich zu werden. Aber er hat den Widerspruch erlaubt, er war gewissermassen ein Diktator und sein eigener Attentäter. Die primären Erziehungspersonen prägen uns ein Leben lang.

Ist Trump schlecht erzogen?

Das weiss ich nicht. Aber er benimmt sich wie ein trotziges, jähzorniges Kind. Er duldet keinen Widerspruch. Alles, was ausserhalb seiner engen Vorstellungswelt geschieht, ist für ihn eine Bedrohung. So einer ist im Grund eine schwache Persönlichkeit. Ich kenne solche Menschen. Die sind im Umgang verführerisch. Solange du ihrer Meinung bist, also ein Komplize, ist es gemütlich und anregend. Wenn du aber widersprichst, wirst du sofort aus dem System katapultiert. Und zwar rücksichtslos.

Das ist krank.

Ja, aber es ist immer eine Frage der Skalierung. Rede ich mit diesen Menschen und frage sie nach ihrer Absicht, dann stosse ich immer wieder auf – nichts. Sie haben keine wirkliche Gestaltungskraft. Ich fürchte, schliesslich und endlich steckt dahinter nur ein riesiger Zerstörungswille. Der aber hat leider eine Energie wie Eros.

Gibt's da Medikamente dagegen?

Ja, aber ich bin kein Mediziner. Das ist das Gefährliche der heutigen extremen Rechten. 1968 war die Linke auf der Seite des Triebes, jetzt ist sie schmallippig, konservativ bis zum Gehtnichtmehr, will nur noch verhindern. Und die Rechte sagt: «Macht doch nicht so ein Affentheater! Seid, wie ihr seid!» Das scheint attraktiv. Nur, ich verstehe das vielleicht, wirklich nachvollziehen kann ich es nicht, es ist doch viel spannender, ein widersprüchlicher Mensch zu sein. Das sagte ja schon C. F. Meyer in «Huttens letzte Tage»: «Ich bin kein ausgeklügelt Buch, / Ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch.»

Was ein autoritärer Charakter so alles anrichten kann, zeigt Thomas Mann in seiner Erzählung «Tobias Mindernickel». Am Schluss hat er seinen geliebten Hund totgeschlagen. Einfach weil er es kann: «Er hatte das Gesicht auf Esaus Körper gelegt und weinte bitterlich.»

Mindernickel trauert nicht über den Hund, sondern nur über sich selbst. Das ist fürchterliches Selbstmitleid. Und solche Leute setzen die Abrissbirne gegen die Demokratie ein und weinen dann über ihren Untergang.

Jürg Acklin wurde 1945 in Küsnacht geboren. Er ist als Psychoanalytiker und Schriftsteller tätig. Sein letzter Roman «Vertrauen ist gut» ist 2009 bei Nagel & Kimche erschienen.