Interview : „Im Silicon Valley ist niemand ausgeschlafen“
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Das ist die spannende Frage. Meiner Meinung nach können wir das nicht. Das ganze System muss sich immer schneller erneuern. Aus Risikokapital werden Start-ups, die wiederum der Treibstoff für das System sind. Für den Einzelnen heißt das, dass er nach ein paar Jahren Festanstellung versucht, seine eigene Geschäftsidee umzusetzen. Dann arbeitet er zwei Jahre lang wie ein Besessener, um das Ding zum Fliegen zu bringen. Weil es aber seine eigene Vision ist und er viele positive Vorbilder hat, brennt er für die Aufgabe. Das Problem ist nur, dass dieses System für Menschen eigentlich nicht geeignet ist.
Warum das?
Weil Menschen irgendwann mal Kinder kriegen und älter als 35 Jahre werden - dann wird das System problematisch. Ein Beispiel: Informatiker können dort Einstiegsgehälter von 85.000 Dollar erzielen, das klingt erst mal gut und ist mehr als in Deutschland. Aber rechnen Sie mal die Kosten dagegen. Wenn Sie eine Familie gründen wollen, brauchen Sie ein Haus. Aber die Immobilienpreise sind extrem, deutlich höher als etwa in München. Dazu kommen später Kosten für die Privatschule. Eine Informatikerin erzählte uns von 20.000 Dollar im Jahr je Kind. Um gut über die Runden zu kommen, brauche man ein Familieneinkommen von rund 150.000 Dollar - das ist auch im Valley eine Menge Geld. Kommt in dieser Planung etwas ins Wanken, ist das Risiko für überschuldete Haushalte sehr hoch, wie die Immobilienkrise 2008 gezeigt hat. Und die soziale Sicherung ist schwach.
Welche Wirkung hat die milliardenschwere Digitalwirtschaft im Valley auf die Old Economy? Ist auch dort alles schöner, größer, schneller?
Nein, im Gegenteil. Sobald Sie diesen engen Kern verlassen, befinden Sie sich in einem Land, das nicht den Entwicklungsstandard einer hochindustrialisierten Gesellschaft hat: umständlich, unprofessionell und fehleranfällig. Schauen Sie sich nur mal in den Hotels an, wie die Duschen montiert sind. Das würde Ihnen in Deutschland kein Handwerksmeister durchgehen lassen.
Hilft der Wohlstand den Ärmsten?
Es gibt zwei Gruppen: Die Dienstbotenklasse, die häufig aus „Hispanics“ besteht, bekommt für einfache Arbeit geringe Löhne und lebt häufig vom Trinkgeld. Ich würde das eine Almosen-Ökonomie nennen. Daneben habe ich eine große Zahl von Menschen gesehen, die auf der Straße leben unter aussichtslosen Bedingungen. Mein Eindruck ist, dass die tabuisiert werden. Von Spendengalas oder großzügigen Hilfen habe ich jedenfalls nichts gesehen.
Verlierer des Internetbooms : Die Obdachlosen des Silicon Valleys
Viele Ihrer Schilderungen hören sich an wie der Albtraum deutscher Gewerkschaften, und auch viele Unternehmer dürften diese Verhältnisse nicht für erstrebenswert halten. Ließe sich das System Silicon Valley überhaupt kopieren?
Ich glaube, dass dieses System nur dort funktioniert. Selbst in Asien, wo ähnliche Entwicklungszentren entstehen, sind die Abläufe andere. Wir müssen in Europa auch aufpassen, dass wir uns mit unserer kulturellen Intelligenz nicht in die altmodische Ecke stellen lassen.
Was meinen Sie damit?
Ich habe mit einer Amerikanerin gesprochen, 35 Jahre, zwei Kinder. Die hat genau überlegt, was sie von einem Arbeitgeber erwartet, und gelandet ist sie im Silicon Valley bei einem deutschen Softwareunternehmen, weil das am familienfreundlichsten und nachhaltigsten war. Eine Gesellschaft muss Sicherheit bieten, damit Menschen ihr Leben planen können. Dieses Wissen haben wir uns in einer langen geistesgeschichtlichen Tradition entwickelt und seit den 1950er Jahren verallgemeinert. Denn eine Ökonomie, die diese Sicherheit untergräbt, ruft irgendwann auch Gegenreaktionen hervor. Denken Sie an die Maschinenstürmer.
Lässt sich von den Erfolgsgeschichten aus dem Valley also nichts lernen?
Doch, eine ganze Menge. Vor allem über eines müssen wir nachdenken: Wie bekommen wir es hin, dass Menschen sich trauen, sich selbst größer zu denken? Dazu brauchen wir eine neue Form von Fehlerkultur und Fremdkapital, damit die Menschen sich nicht bis über beide Ohren verschulden, wenn ihr Projekt floppt. Vor allem brauchen wir aber Menschen, die nicht nur dazu erzogen werden, im Unternehmen zu funktionieren. Dieser Prozess braucht jedoch Zeit. Sie können nicht zu Ihrem Mitarbeiter sagen: „Jetzt sei mal risikofreudig!“, und im Unternehmen alles beim Alten lassen. Da geht es um ehrliche Beteiligung, ja sogar um Demokratie im Unternehmen.