Islamisten geben nach

Monatelang hatte Premierminister Benkirane versucht, eine Regierung zu bilden. Gelungen ist es ihm nicht. Sein Nachfolger handelte schneller. Aber er machte eine grosse Konzession.

Ulrich Schmid
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(Bild: Reuters)

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Ein halbes Jahr nach der Wahl hat Marokko endlich wieder eine funktionstüchtige Regierung. Premierminister Saad-Eddine al-Othmani, den König Mohammed VI. im März mit der Regierungsbildung betraut hatte, ist es gelungen, ein breit abgestütztes Kabinett zusammenzustellen, das aus moderaten Islamisten, Liberalen und Linkspolitikern besteht. König Mohammed beförderte die Regierung am Mittwoch offiziell ins Amt. Othmani ist damit in kürzester Zeit gelungen, was der frühere Premier Benkirane in fünf Monaten nicht geschafft hatte.

Hartnäckiger Benkirane

Abdelilah Benkirane (Bild: AP)

Abdelilah Benkirane (Bild: AP)

Angeführt wird die Koalition vom Wahlsieger des letzten Herbstes, vom moderat islamistischen Parti de la Justice et du Développement (PJD). Othmani ist der zweite Mann in der Gerechtigkeitspartei hinter Benkirane. Mit dem PJD zusammenarbeiten werden der liberal-konservative Rassemblement National des Indépendants, die ebenfalls marktwirtschaftlich orientierte Union Constitutionelle, die Royalisten des Mouvement populaire sowie die Union Socialiste des Forces Populaires und der Parti du progrès et du socialisme. Zusammen kommen diese Parteien auf 240 Sitze in der 395-köpfigen Abgeordnetenkammer, was fürs erste eine solide Regierungsbasis abgeben sollte. Zahlreiche Minister bleiben auf ihren Posten, unter ihnen auch solche des Rassemblement, der stets auf der Forderung beharrt hatte, die Union Socialiste ins Kabinett mit einzubeziehen. Benkirane hatte sich diesem Anliegen hartnäckig widersetzt. Sein Nachfolger Othmani hat den Widerstand nun aufgegeben.

Die neue Koalition umfasst sechs Parteien.(Bild: Reuters)

Die neue Koalition umfasst sechs Parteien.(Bild: Reuters)

Die neue Koalition steht vor immensen Aufgaben. Marokko ist, ähnlich wie Tunesien, in der arabischen Welt zwar ein vergleichsweise stabiles Land. Doch Armut, Arbeitslosigkeit und Perspektivelosigkeit zerren an den Fasern der Gesellschaft, und die Kluft zwischen traditionalistischen Islamisten und modernistischen Royalisten ist nicht kleiner geworden seit 2011, als der PJD im Zuge der Arabellion an die Macht kam. Zuvor hatte der bis dahin mit fast absoluter Macht regierende König einige seiner Vorrechte geopfert – ein notwendiges Opfer wohl, um sich an der Macht zu halten. Die Gerechtigkeitspartei war die erste islamistische Gruppe, die in Marokko Wahlen gewann und eine Regierung führte; sie löste damit sowohl unter säkularen Bürgern als auch im Westen einigen Argwohn aus. Doch Benkirane, der einst einen Auftritt Elton Johns zu verhindern versuchte, da dieser «Homosexualität propagiere», fuhr einen betont pragmatischen Kurs, legte sich rasch mit radikalen Islamisten an und beruhigte dadurch viele seiner Kritiker.

Erfolg für die Royalisten

Dass der neue Premier Othmani den Kurs Benkiranes so schnell änderte und die Union Socialiste ins Kabinett aufnahm, kann als Indiz für die anhaltende Einflusskraft des Königshauses gewertet werden. Die Union hat in den letzten Jahren einen bemerkenswerten Identitätswandel durchgemacht. Unter König Hassan war sie noch eine der wichtigsten Oppositionsparteien. Heute gilt sie als Gruppierung, die dem Königshaus nahesteht. Aziz Akhannouch, der Chef des Rassemblement des Indépendants, wollte die Union Socialiste in die Regierung bugsieren, um mit ihrer Hilfe die Gerechtigkeitspartei zu schwächen und seine Position zu stärken. Othmani steht dem Königshaus wesentlich näher als Benkirane, was ihm die Erfüllung von Akhannouchs Wunsch erleichterte.

Im Parti de la Justice et du Développement allerdings gibt es viele, die den Schritt als ein Einknicken vor modernistischen, liberalen und royalistischen Kräften empfinden und als ein Zeichen dafür, dass die Parteispitze sich zunehmend von der Basis löst. Man definiert sich als islamistische Partei, man hat die Wahlen gewonnen: Nun sieht man sich düpiert. Othmani hat eine Regierung für das Land gebildet. In seiner Partei aber könnte er schon bald ein Legitimationsproblem haben.