Mittelmeerinsel:Warum das kleine Paphos zur Völkerverständigung beitragen könnte

Mittelmeerinsel: Küste vor Paphos auf Zypern

Küste vor Paphos auf Zypern

(Foto: AP)

Hier soll Aphrodite dem Meer entstiegen sein: Paphos auf Zypern könnte als Kulturhauptstadt Europas helfen, Griechen und Türken miteinander zu versöhnen.

Reportage von Christiane Schlötzer

Am ersten Tag schwammen alle im Meer, dort, wo ein schroffer Fels aus den Wellen ragt, wie ein gestrandetes Schiff. Für den zweiten Tag des Festes hatten die Pilger Blumen und Körner dabei, Opfergaben für Aphrodite, die Göttin der Liebe.

Am dritten gaben sie dem Priester eine Münze und bekamen dafür Salz, ein Fruchtbarkeitsritus. Am vierten Tag standen Sportwettkämpfe an, am fünften Theater und Poesie. Und was taten die Verehrer Aphrodites am sechsten Tag? In ihrem Tempel ohne Statuen, unter dem weiten, tiefblauen Himmel Zyperns?

"Niemand weiß es", sagt die Antiken-Erklärerin im Heiligtum der Aphrodite. Von Aphrodites Altar-Platz blieben nur grobe Klötze, so groß, als hätten Riesen hier Schutzwälle errichtet.

Herodot, der antike griechische Völkerkundler und Geschichtsschreiber, war da auskunftsfreudiger. Glaubt man ihm, dann musste jede im Land geborene Frau einmal im Leben sich "im Tempel der Aphrodite niedersetzen und mit einem fremden Mann verbinden".

Die Frauen sollen dort in langen schnurgeraden Reihen darauf gewartet haben, dass ein Mann seine Wahl trifft, ihnen einen Geldbetrag in den Schoß wirft, worauf sie mit ihm mitgehen mussten. Danach hat sich die Frau "der heiligen Pflicht gegen die Göttin entledigt", ist frei, und "man wird ihr nicht so viel bieten können, dass man sie noch einmal gewinnen könnte".

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Später malte Botticelli eine viel zu keusche Göttin.

(Foto: imago/United Archives)

Die Tempelprostitution kam angeblich aus Babylon nach Zypern, Aphrodite war ursprünglich eine orientalische Göttin, die Distanz zwischen Zypern und den Küsten Arabiens war schon in der Antike leicht zu überwinden. In der griechischen Mythologie wurde die zugereiste Göttin dann zur Tochter des Zeus, des obersten der zwölf Götter im Olymp.

Und zur Göttin, die aus dem Meer kam, eine antike Migrantin, "schaumgeboren" (aphros, griechisch: der Schaum). In Alt-Paphos (heute genannt Kouklia) war ihr größtes Heiligtum. Im Zentrum der Verehrung, als Kraftquelle: ein hüfthoher Vulkanstein, mit einer Oberfläche glatt wie Haut. Aphrodites Verehrer kamen aus der ganzen griechischen und später auch aus der römischen Welt - es waren ja auch so schöne Geschichten:

Paphos

Die Wahrheit hinter den Mythen sucht auf Zypern der Künstler Rinos Stefani.

(Foto: Christiane Schötzer)

Aphrodite war verheiratet mit Hephaistos, ihr Liebhaber aber war Aris. Hephaistos war so erbost, dass er ein Metallnetz konstruierte, so dünn, dass es keiner sehen und so stark, dass es keiner brechen konnte. Das Netz fiel über die Liebenden herab, sie waren gefangen. Hephaistos fragte dann die anderen Götter, was er mit den beiden anfangen sollte. Da sagte Hermes, einer der Götter: Und wenn die ganze Welt zuschaute, er würde sehr gern mit Aris tauschen.

So wird es erzählt. Die Pilger landeten einst wohl dort, wo heute der Hafen von Neu-Paphos ist, mit den Resten eines mittelalterlichen Kastells. Bis zum Heiligtum sind es gut 25 Kilometer, die geht man nicht an einem Tag. Deshalb lagerten sie nach einem Drittel der Strecke auf freiem Feld.

Das muss sehr eindrucksvoll gewesen sein, denn der antike Rastplatz heißt bis heute Geroskipou (Heiliger Garten), und ist eine Hotelstadt. Aphrodite wartet hier auf dem Zimmer, an der Wand über dem Bett, eine Hand schamhaft vor der Brust - wie sich der Renaissance-Maler Sandro Botticelli eine Göttin vorstellte. Dazu liegt als Versuchung auf dem Nachttisch eine Naschpackung Loukoumia, eine zyprische Spezialität nach anatolischem Rezept, sehr süß, Aphrodite auf dem Etikett.

Michalis Pavlides, grau meliertes Haar, knapper Schnäuzer, blauer Trainingsanzug, ist der Bürgermeister der Gemeinde Geroskipou. Es ist Sonntagvormittag, er ist auf dem Weg an den Strand, zu einer freiwilligen Müllsammelaktion. Pavlides liebt seinen Job - und den Aphrodite-Mythos, aber er zerlegt ihn auch: "Die Prostitution war kein religiöser Ritus, die Menschen hier waren so arm, deshalb gaben die Frauen sich den Pilgern hin, sie brauchten das Geld."

An der Kraft des Kults änderte dies offenbar wenig. Der was so attraktiv, dass die Römer, als sie in der Spätantike Christen wurden, auf Zypern Mühe hatten, Aphrodite, die sie selbst Venus nannten, verschwinden zu lassen.

Leichter war es, die Fruchtbarkeitsgöttin zu assimilieren, sie in die neue Frömmigkeit zu integrieren. "Steine aus den Tempeln hat man in Kirchen verbaut", sagt Pavlides. Auf dem zentralen Platz von Geroskipou steht die sorgfältig restaurierte Agia Paraskevi, eine byzantinische Basilika. In ihren Außenmauern sind Teile antiker Kapitelle gut zu erkennen.

Paphos und die umliegenden Orte haben sich herausgeputzt, denn Paphos ist in diesem Jahr Europäische Kulturhauptstadt, "Mythen & Religion" ist einer der Programmpunkte überschrieben. Dabei interessieren auch Kontinuitäten über Jahrtausende hinweg, sie fallen auf Zypern besonders auf.

Ein Säulenstumpf, an dem Paulus angeblich gelitten hat

Ein paar Schritte von der Kirche Agia Paraskevi entfernt hat der Bischof von Paphos jüngst ein Byzantinisches Museum eröffnet, mit reichem Bilderschatz. Eine Ikone zeigt Maria auf Goldgrund, wie es üblich ist - nur gibt sie dem Kind auf ihrem Schoß die nackte Brust. Maria als Fruchtbarkeitsidol, wie einst Aphrodite.

Ein Bauer stieß 1962 beim Pflügen auf seinem Feld bei Paphos auf viele kleine bunte Steinchen. Die Archäologen nahmen ihm sofort Pflug und Acker ab und gruben ganze antike Zimmerfluchten aus. Die großartigen römischen Bodenmosaiken verraten auch, wie schwer der Abschied von der alten Religion einst fiel: Da sitzt Dionysos als Knabe - mit Heiligenschein! - auf dem Schoß des Hermes. Wie Maria mit dem Kind. Auch Apollons Kopf umgibt ein auffälliger Leuchtkranz.

Mittelmeerinsel: SZ-Karte

SZ-Karte

Die Mosaiken, glaubt man, entstanden wenige Jahre nach der Mailänder Toleranzerklärung, mit der 313 das Christentum im Römischen Reich anderen Religionen gleichgestellt wurde, erst 380 wurde es Staatsreligion. Zypern zu missionieren hatte sich bereits der Apostel Paulus vorgenommen, er soll um das Jahr 50 in Paphos gewesen sein, wo man ihn an eine Säule band und auspeitschte.

Der Säulenstumpf wird noch gerne vorgezeigt, auch wenn die Apostelgeschichte hier vage bleibt. Mythen leben eben lang. Der italienische Zypern-Reisende Tommaso Porcacchi hörte im 16. Jahrhundert noch diese Geschichte: Der Apostel und seine Begleiter hätten gesehen, wie nackte Männer und Frauen der Liebesgöttin opferten. Ihre christlichen Gebete hätten dann den Tempel zum Einsturz gebracht.

Hephaistos wurde gefragt, ob er sich von Aphrodite scheiden lassen wolle. Warum sollte ich das tun, sagte er, wenn doch alle Götter meine Frau begehren? So schickte er Aphrodite nur nach Zypern, und ihr war länger nicht erlaubt, nach Griechenland zurückzukehren. Aber sie fand dort bald einen neuen Liebhaber: Adonis.

Die Stelle, wo sich Adonis und Aphrodite im Meer vergnügt haben sollen, ist bis heute bei Zypernreisenden beliebt, das Bad dort soll jung und schön machen. Loutrá tis Afroditis, das Bad der Aphrodite, liegt an der Küste der wild zerklüfteten Halbinsel Akamas, der äußersten Westspitze Zyperns. Die waldreiche Bergregion, eine knappe Autostunde vom Hafen von Paphos entfernt, ist Zuflucht seltener Vögel und bedrohter Schildkröten, ein Naturparadies, auf das Tourismusentwickler gierige Blicke werfen.

Dass Paphos nun Kulturhauptstadt ist, soll auch Akamas helfen. Ökologen propagieren einen sanften Tourismus und erinnern an die prekäre Geschichte der Region. Neun traditionelle Dörfer gibt es hier noch, drei davon sind verlassen, die alten Steinhäuser Ruinen. In ihnen lebten bis zur Teilung der Insel türkische Zyprer.

Was passieren kann, wenn man auf Zypern den Falschen liebt

Die Insel der Liebesgöttin hat 1974 einen blutigen Scheidungskrieg erlebt. Nach einem griechischen Putsch landeten türkische Truppen - und blieben. Bis heute konnten Insel-Griechen und Insel-Türken nicht wieder zueinanderfinden.

Der Süden Zyperns ist seit 2004 Mitglied der EU, die Republik Nordzypern wird nur von der Türkei als Staat anerkannt. Durch die geteilte Hauptstadt Nikosia verläuft eine Demarkationslinie mit Stacheldraht und Passkontrollen.

Paphos

Der Künstler Panicos Chrysanthou.

(Foto: Christiane Schötzer)

Was passieren kann, wenn man auf Zypern den Falschen liebt, haben Hasan Moustafa, ein Muslim, und Hambou, eine orthodoxe Christin, erfahren. Ihre Geschichte ist kein Märchen. Begraben sind die beiden in Androlikou, einem der verlassenen Dörfer nahe Akamas, nebeneinander, in zwei Gräbern.

Das von Hambou trägt ein Kreuz, als einziges auf dem Friedhof. Hasan und Hambou hatten sich in den späten 1950er-Jahren kennengelernt, Ehen zwischen Christen und Muslimen waren damals sogar per Gesetz untersagt. Hambou musste, um heiraten zu können, formell Muslimin werden. Zeitweise brauchte das Paar Polizeischutz.

Nach der Teilung der Insel blieben die beiden in ihrem Dorf allein. Ohne Strom, ohne fließendes Wasser. Sie lebten von Schaf- und Ziegenzucht, mit vier Kindern. Hambou starb 2007, Hasan 2014. Ihre Gräber sind durch einen Zaun vom Rest des Friedhofs getrennt, der Priester wollte den muslimischen Teil nicht betreten.

Der Filmregisseur Panicos Chrysanthou hat über die Geschichte von Hambou und Hasan einen berührenden Spielfilm gedreht: "Akamas" heißt er, wie die Halbinsel, auf der er spielt. Es war der erste Film, der es aus Zypern auf das Festival von Venedig schaffte, vor elf Jahren. In seiner Heimat wurde der Regisseur als "Verräter" beschimpft, sein Werk als "türkische Propaganda" verhöhnt. Filmfördermittel wurden zurückgezogen, Chrysanthou war finanziell ruiniert. "Ich habe schon überlegt, einen Hungerstreik zu machen", sagt er.

"Die Welt ist so leicht entflammbar geworden"

Der Regisseur lebt nicht weit von Akamas entfernt, sehr abgelegen und äußerst bescheiden. Jüngst ist es ihm wieder gelungen, einen Spielfilm zu drehen: "The Story of the Green Line", die Geschichte der Demarkationslinie Zyperns. Wieder geht es um Liebe und wie sie an Grenzen stößt, fernab aller Mythen. Nun aber sind die Kinos voll, Hunderte wollen auf Facebook Chrysanthous Freunde sein. "Das gibt mir Mut", sagt er. Dass Versöhnung irgendwann doch möglich wird.

Zyperns Lage im östlichen Mittelmeer - das Klima schon orientalisch, mehr Beirut als Berlin - lockte über Jahrtausende hinweg immer neue Eroberer an, die Insel hatte viele fremde Herren. Hier wuchs Zucker, und es gab in der Erde so viel Kupfer, dass man die Insel gleich danach benannte (lateinisch: Cuprum, griechisch: Kypros).

In der Karawanserei

Paphos hat sich (gemeinsam mit dem dänischen Aarhus) als Europas Kulturhauptstadt 2017 gegen mehrere Mitbewerber durchgesetzt. Die Stadt nutzt dies, um Verborgenes wiederzuentdecken: eine osmanische Karawanserei etwa, genannt Ibrahims Han. Restauriert ist der prächtige Bau im Stadtzentrum nun ein Ort für Kunst und Begegnung - bitter nötig auf einer Insel, auf der Nachbarn einst zu Feinden wurden. 1974 wurde Zypern geteilt und blieb es bis heute. Ein riesiger runder Tisch, gezimmert aus Balken verlassener Häuser, dient in der Karawanserei als Symbol der Wiedervereinigung. Junge Künstler haben viel Fantasie entwickelt, sie sehen das Kulturjahr als Chance, in einem eher konservativen Umfeld Aufbrüche zu wagen (www.pafos2017.eu). Die Komponistin Christina Athinodorou, 35, aus Paphos hat in Berlin und Wien gastiert und jetzt für das Festival mehrere Werke moderner Musik geschaffen. Sie sagt: "Sonst muss ich für meine Arbeit reisen, meine Musik auch mit meiner Heimatstadt zu teilen, ist sehr schön." Christiane Schlötzer

Die letzten Kolonialisten, die Briten, verabschiedeten sich erst 1960, und das nicht ganz. London behielt zwei große Militärbasen, bis zum Jahr 2000 machten britische Soldaten auch noch Schießübungen in den Wäldern von Akamas, auf lebensgroße Holzfiguren mit Tarnfleckbemalung.

Rinos Stefani, Künstler aus Paphos, hat 1991 eine solche Zielscheibe bei einem Waldspaziergang gefunden, er hat eine Installation daraus gemacht. Sie ist jetzt im Paphos-Kulturjahr wiederauferstanden. Stefani hat die durchschossene Figur vervielfältigt und in Akamas verteilt, wo sie nun jeder suchen und finden kann. "Die Welt ist so leicht entflammbar geworden", sagt Stefani, jeder könne zum "Target", zum Ziel, werden. Der Künstler sieht in seiner Aktion auch eine Art "Exorzismus", gegen den "Fluch der menschlichen Selbstzerstörung". Auch Stefani mag Mythen.

Aphrodite war glücklich mit Adonis in Zypern. Als Aris, ihr Ex-Liebhaber, das hörte, war er wütend. Er lauerte Adonis bei der Jagd auf und tötete ihn. Da weinte Aphrodite, und aus ihren Tränen entstanden die weißen Anemonen und aus dem Blut von Adonis der rote Mohn. Nun gibt es auf Zypern nicht so viele Anemonen. Aber vielleicht weinte Aphrodite ja auch nicht so viel.

An Pfingsten werden sich Kinder in Inseldörfern wieder mit Wasserpistolen beschießen. Erwachsene schütten sich Eimer mit heiligem Wasser über den Kopf. Soll alles an Aphrodites Geburt erinnern.

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