Kommentar

Die nächste Schuldenkrise bahnt sich an: Es ist fünf vor zwölf in Afrika

Ein Jahrzehnt nach dem letzten grossen Schuldenerlass drohen in Afrika wieder Staatsbankrotte. Das hat mit schlechter Regierungsführung und dem Fluch der Rohstoffe zu tun, aber auch mit der kopflosen Profitgier westlicher Investoren.

Fabian Urech
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Nigerias Präsident Buhari überreicht dem Parlament im November das Staatsbudget. (Reuters)

Nigerias Präsident Buhari überreicht dem Parlament im November das Staatsbudget. (Reuters)

Als Nigerias Präsident Muhammadu Buhari dem Parlament vor einigen Wochen ein Rekordbudget für 2018 vorstellte, war ihm der Applaus gewiss. Im Blitzlichtgewitter der Kameras überreichte er den Abgeordneten symbolisch eine Art Geschenkbox in den Landesfarben, die die Ausgabenposten enthielt. Seine Regierung werde nach der jüngsten Rezession alles tun, um Nigeria zurück zur Prosperität zu führen, sagte Buhari in seiner Rede. Er sprach von neuen Strassen, Spitälern, Kraftwerken und Jobs.

Was Buhari während des freudvollen Zeremoniells indes vermied, war ein Hinweis auf jenen Budgetposten, der im Vergleich zum Vorjahr am stärksten – nämlich um über 20 Prozent – angestiegen war: der Schuldendienst. Rund ein Viertel der Regierungsausgaben Nigerias fliessen im laufenden Jahr direkt an Gläubiger. Fünf Milliarden Dollar muss das Land für Zinszahlungen aufwenden, doppelt so viel wie 2015 – und dreissig Mal mehr, als etwa dem nigerianischen Gesundheitsministerium zufliesst. Weil die Regierung das erhebliche Budgetdefizit (14,5 Prozent) auch in diesem Jahr mit neuen Krediten stopft, wird sich dieser Missstand weiter zuspitzen. Bereits 2019 dürfte der grösste Erdölexporteur Afrikas mehr Geld für die Deckung der Schuldzinsen aufwenden, als das Land mit dem Verkauf ebendieses Rohstoffes einnimmt.

Bereits sechs Länder überschuldet

So dramatisch diese Entwicklung anmutet, eine Ausnahme ist Nigeria in Afrika nicht. Auf dem Kontinent bahnt sich eine neue Schuldenkrise an. In über der Hälfte der 49 Länder südlich der Sahara ist die staatliche Verschuldung in den letzten Jahren rapide gestiegen. Dieses Jahr beträgt sie im Schnitt erstmals über 50 Prozent des BIP. Das ist im europäischen Vergleich zwar nicht alarmierend, der Vergleich hinkt jedoch. In Afrika sind die Zinslasten deutlich grösser; in nur fünf Jahren hat sich deren Anteil an den Staatsausgaben auf durchschnittlich 12,5 Prozent verdoppelt. In einigen Ländern liegt der entsprechende Wert aber wesentlich höher – so hoch, dass mancherorts der Staatsbankrott droht.

Staatliche Verschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP), in Prozent

Bereits heute sind laut dem Internationalen Währungsfonds (IMF) sechs afrikanische Länder (u. a. Moçambique und Simbabwe) überschuldet, doppelt so viele wie im Vorjahr. In mindestens zehn weiteren Staaten Afrikas besteht diesbezüglich ein hohes Risiko. Betroffen sind auch die ökonomischen Schwergewichte: Die Rating-Agenturen haben die Kreditwürdigkeit von Nigeria, Südafrika, Angola und Äthiopien jüngst jeweils auf Ramschniveau heruntergestuft.

Die Folgen der zunehmenden Schuldenlast sind in einigen Ländern bereits deutlich spürbar. Was in Zinszahlungen fliesst, muss andernorts früher oder später eingespart werden. Dringend nötige Investitionen im Bereich der Infrastruktur, Bildung, Gesundheit oder Wirtschaftsförderung bleiben auf der Strecke. Dabei ist unbestritten, dass solche weiterhin bitter nötig wären: Noch immer leben zwei Drittel der Bewohner des Kontinents ohne Stromanschluss, über 300 Millionen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser.

Steigende Staatsschuldenquote in Subsahara-Afrika

Durchschnittliche Staatsverschuldung in Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP)

Für viele dürfte dieser erschreckende Ausblick überraschend kommen: Haben die Volkswirtschaften südlich der Sahara nicht zuletzt rekordhohe Wachstumsraten aufgewiesen? War nicht unlängst noch die Rede von Afrika als «erwachendem Riese» und als «Löwe auf dem Sprung»? Und waren es nicht ebendiese Staaten, die vor kurzem von einem weitreichenden Schuldenerlass profitierten?

Tatsächlich liegt die letzte Schuldenkrise in Afrika nur eine Generation zurück. Nach einem Jahrzehnt der wirtschaftlichen Stagnation sassen viele Staaten Afrikas bereits Anfang der neunziger Jahre auf einem gewaltigen Schuldenberg. Rund ein Viertel des Staatsetats floss damals durchschnittlich in Zinszahlungen, allenthalben war vom «verlorenen Jahrzehnt» die Rede. 1996 beschloss die G-7 einen weitreichenden Schuldenerlass, weitere Entschuldungsmassnahmen folgten 1999 und 2005. Afrika profitierte von dem Erlass in besonderem Masse. 85 Prozent der gestrichenen Kredit- und Zinsforderungen entfielen auf den Kontinent.

Und nun, wenig mehr als eine Dekade später, droht eine Art Déjà-vu. Wie konnte es so weit kommen? Die Geschichte hat, wie jede Schuldenkrise, zwei Seiten: jene der Schuldner und jene der Gläubiger.

Goldgräberstimmung hier und dort

Für die afrikanischen Staaten war der letzte Schuldenerlass eine grosse Erleichterung. Zugleich eröffnete er vielen Regierungen erstmals den Zugang zum internationalen Kapitalmarkt. Während Kredite zuvor fast ausschliesslich von anderen Staaten, der Weltbank oder dem IMF ausgegeben worden waren und an teilweise rigorose Bedingungen geknüpft waren, drängten sich nun auch Privatinvestoren als Kreditgeber auf. Zwar waren deren Zinsen oft höher, dafür konnten die Regierungen die Gelder nach freiem Ermessen ausgeben.

Das war verlockend – und wurde bald rege genutzt: Angefangen mit Ghana im Jahr 2007, nahmen bis heute sechzehn afrikanische Staaten internationale Kredite in Form von Staatsanleihen auf. Dies allein spülte 35 Milliarden Dollar in ihre Staatskassen. Gerade für die rohstoffreichen Länder war eine derartige Mittelbeschaffung relativ einfach. Die hohen Rohstoffpreise sorgten für üppige Einnahmen, die Zinszahlungen erschienen vergleichsweise mager, die Rückzahlung der Kredite schien eine Formalität. Zwar war bald klar, dass die Gelder nicht immer sinnvoll investiert wurden. In Zeiten des Booms glaubte man das aber verkraften zu können.

Als 2014 die Rohstoffpreise fielen, kam die Bonanza zu einem jähen Ende. Ölexportstaaten wie Angola, Ghana oder Nigeria litten besonders stark. Die Preisbaisse führte dort teilweise innert weniger Monate zu einer Halbierung der Staatseinnahmen; umso stärker machte sich nun die Last der Schuldzinsen bemerkbar. Und der Ausblick bleibt düster: Die Kredite, die während des Booms aufgenommen wurden, müssen in den kommenden Jahren zurückgezahlt werden. Nicht wenige bezeichnen die afrikanischen Staatsanleihen inzwischen als tickende Zeitbombe.

Wie aber ist zu erklären, dass Privatinvestoren plötzlich bereit waren, afrikanischen Regierungen trotz historischen Warnzeichen beträchtliche Geldsummen zu leihen?

Nach der Finanzkrise 2007/08 zeigte sich rasch, dass hohe Investitionsgewinne im Tiefzins-Umfeld der Industrieländer und auf den abkühlenden asiatischen Märkten schwieriger wurden. Um die Marge zu halten, suchten viele Investoren nach Alternativen, zumal durch die Interventionen westlicher Zentralbanken viel «heisses Geld» im Umlauf war. Afrikanische Staatsanleihen wurden rasch zum Verkaufsschlager. Die wirtschaftliche und politische Stabilität dieser Länder schien dabei kaum eine Rolle zu spielen. Ganz egal, ob Sambia, Moçambique oder Ghana nach Milliardenkrediten fragte – die Investoren waren zur Stelle. «Einige waren so begierig, Kredite zu vergeben, dass sie die Risiken kaum beachteten», sagt die IMF-Chefin Lagarde.

Zumindest ein Teil dieser Investitionen schien angetrieben von einem plötzlichen Afrika-Optimismus, den viele Kenner des Kontinents als naiv empfanden. Nach der Jahrtausendwende hatten die ansehnlichen Wachstumsraten vieler afrikanischer Volkswirtschaften dazu geführt, dass Afrika in den Augen vieler nicht mehr der «Katastrophenkontinent» war, sondern – sehr plötzlich und in derselben abstrusen Pauschalität – zu einem Ort der grossen Versprechen (und Gewinne) wurde.

Obwohl die Krise längst von weitem sichtbar ist, hat sich an dieser Paarung von kopfloser Profitgier und naivem Optimismus bis heute wenig geändert. Zwar ging die Zahl der placierten Staatsanleihen zuletzt leicht zurück, der Investitionshunger aber hat nicht abgenommen. Erst im November sammelte Nigeria im Rahmen seiner bisher grössten Anleihe drei Milliarden Dollar; laut der Regierung waren Angebote in Gesamthöhe von 11 Milliarden eingegangen.

Entschlossenes Handeln ist gefragt

Nur die grössten Optimisten sind der Meinung, das aufziehende Gewitter werde nur etwas Regen bringen. Doch gibt es Möglichkeiten, den Sturm noch abzuwenden? Kurzfristig werden die betroffenen Staaten kaum darum herumkommen, ihren Finanzhaushalt in Ordnung zu bringen. Sollten die Rohstoffpreise nicht bald rapide ansteigen, wird das kaum ohne schmerzhafte Einsparungen zu machen sein. Noch ist es nicht zu spät, das Schreckensszenario eines neuerlichen «verlorenen Jahrzehnts» abzuwenden. Das setzt jedoch entschlossenes Handeln voraus.

Im Kern gelöst werden kann das Problem indes nur langfristig. Dazu bedarf es einerseits eines vernünftigen Investitionsregimes, in dem Risiken angemessen einkalkuliert und die möglichen Kollateralschäden eines Investments berücksichtigt werden. Ein Appell an die freiwillige Mässigung der Investoren wird dabei kaum ausreichen. Ideen wie die Einführung verpflichtender Regeln zur verantwortungsvollen Kreditvergabe oder die Schaffung eines internationalen Insolvenzverfahrens für Staaten sind deshalb sorgfältig zu prüfen.

Vorderhand sind es aber die afrikanischen Staaten selbst, die den Teufelskreis der Verschuldung durchbrechen müssen. Der heutige Notstand legt schonungslos offen, dass viele Regierungen es erneut verpasst haben, die zeitweise üppig fliessenden Gelder so zu investieren, dass Land, Leute und letztlich die Staatskasse davon profitieren. Weiterhin hängen viele afrikanische Volkswirtschaften in hohem Mass von Rohstoffexporten ab. Vielerorts blieben Investitionen in die verarbeitende Industrie, den Dienstleistungssektor und die Bildung gering. Viel zu oft wurden die Fehler, die bereits zur letzten Schuldenkrise geführt hatten, wiederholt. Es ist höchste Zeit, die betroffenen Regierungen dafür zur Verantwortung zu ziehen.

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