Strategien der Digitalkonzerne : Gebt die Algorithmen frei!
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Die Geheimhaltung des Google-Algorithmus ist längst kein Garant mehr dafür, dass das System nicht unterlaufen wird. Bild: AP
Facebook oder Google zeichnen sich nicht durch Transparenz aus. Doch die Digitalkonzerne dürfen die Steuerung von Informationen im Internet nicht länger als Geschäftsgeheimnis regeln.
Warum die Algorithmen des Netzwerkkonzerns Facebook bestimmte Beiträge im Nachrichtenüberblick (Newsfeed) bevorzugen, wie Googles Vervollständigungsmechanismus Suchanfragen lenkt, warum etwa bei der Eingabe des Namens „Merkel“ gleich „muss weg“ angezeigt wird, das bleibt nach wie vor das Geheimnis der Digitalkonzerne. Sie lenken den Verkehr, und keiner weiß, wohin und warum.
Das die Algorithmen ein Geschäftsgeheimnis bleiben müssten, begründet Google mit dem Schutz der Meinungsfreiheit nach dem First Amendment der amerikanischen Verfassung: Der Algorithmus ist Meinungsfreiheit, und in diese darf der Staat nicht eingreifen. Der Konzern meint überdies, dass die Offenlegung seines Suchalgorithmus eine Einladung an Spammer wäre und zu einem Informationskollaps führen würde: Suchmaschinenoptimierer könnten Werbung an erster Stelle plazieren, Krypto-Anarchisten Google-Dummys kreieren. Der Nutzer würde nichts mehr finden. Doch stimmt das? Würde ein transparenter Algorithmus die Informationsarchitektur der Digitalmoderne zum Einsturz bringen?
„Nichts würde zusammenbrechen“
Der italienische Mathematiker und Computerwissenschaftler Massimo Marchiori bezweifelt dies. Der Professor, der an der Universität Padua lehrt, untersucht den Google-Algorithmus seit zwanzig Jahren. Im Gespräch sagt er: „Nichts würde zusammenbrechen.“ Die Behauptung, dass man den Algorithmus geheim halten müsse, um zu verhindern, dass Suchmaschinenoptimierer in die Top Ten der Ergebnislisten gelangten, stimme nicht. Es gebe Techniken, die eine Plazierung in den oberen Rängen erschwerten, selbst wenn Spezialisten Zugang zu den Algorithmen hätten.
„Es ist eine Situation, die vergleichbar ist mit der in der Computersicherheit“, sagt Marchiori. „Dort gibt es Leute, die in andere Maschinen eindringen wollen, Viren kreieren, Botschaften entschlüsseln. Die ursprüngliche Gegenmaßnahme hieße ,Security by Obscurity: Wir halten alles im Dunkeln, damit Hacker es schwer haben, die Systeme anzugreifen.“ Das habe aber nicht sonderlich gut funktioniert, und heute gelte das Gegenteil: Die meisten Sicherheitssysteme seien transparent, „und deshalb haben wir bessere Sicherheitssysteme, denen wir trauen können“. Wenn wir beispielsweise einen Computer konfigurierten oder eine verschlüsselte Nachricht verschickten, wüssten wir, dass es keine Hintertüren gibt, und dass die Entwickler dieser Systeme uns nicht ausspionieren.
Die Geheimhaltung des Google-Algorithmus ist längst kein Garant mehr dafür, dass das System nicht unterlaufen wird. Hacker machen sich seit Jahren einen Spaß daraus, den Google-Algorithmus auszutricksen und Fake-Restaurants oben in das Ranking zu plazieren. Professionelle Suchmaschinenbetreiber gaukeln dem Page-Rank-Algorithmus Bedeutung vor, indem sie viele Seiten ohne sinnvollen Inhalt mit Links zur eigenen Seite ins Netz stellen.
„Wenn Google und andere Suchmaschinenbetreiber Transparenzvorschriften unterliegen würden, müssten sie ihre Algorithmen verbessern, um der Transparenz Rechnung zu tragen – etwas, das sie noch vermeiden können“, sagt Marchiori. „Der Nutzen wäre offenkundig: Man könnte Suchmaschinentreffern vertrauen. Ein wichtiger Punkt vor dem Hintergrund, dass Google zurzeit so etwas wie das Uber der Medien ist, das über die Informationen herrscht.“
Informationen, so der Mathematiker, seien die „Nahrung der modernen Zeit“, und als solches sollten Bürger ein Recht haben, diese sicher und nicht verunreinigt zu konsumieren. „Wir hätten zwar keinen Zugang zu den teils geheimen Zutaten, doch Behörden würden diese im Auftrag der Bürger prüfen. Es sollte eine Behörde geben, die die Software checkt und prüft, ob sie sicher oder infiziert ist. Das würde die Möglichkeit für beliehene Personen einschließen, im Auftrag des öffentlichen Rechts den Code und die Suchmaschinenalgorithmen zu überprüfen.“
Die Wahrung des Betriebsgeheimnisses stünde Überprüfbarkeit und Rechenschaftspflicht nicht im Weg. Google könnte immer noch ein Patent auf seine Algorithmen anmelden.