Ordenspriester Franz Helm: „Schwarz-Blau will uns aus der Flüchtlingshilfe hinausdrängen“

Mitte Juni wurde begonnen, das Flüchtlingsheim in der Ordensniederlassung St. Gabriel bei Mödling aufzulösen. Über 15.000 Menschen haben via Onlinepetition gegen die Schließung protestiert. mosaik hat bei Franz Helm, Ordensmitglied der Steyler Missionare und selber Bewohner von St. Gabriel, nachgefragt.

mosaik: Was ist der aktuelle Stand rund um das Caritas-Flüchtlingsheim in St. Gabriel? 

Franz Helm: Im Juni gab es eine Übergabe der von uns gesammelten Unterschriften an Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, bei der auch ein Mitglied unserer Gemeinschaft anwesend war. Wir Steyler Missionare haben betont, wie wichtig für uns die Solidarität mit geflüchteten Menschen ist. Und dass wir das Flüchtlingsheim als wesentliche Einrichtung am Standort St. Gabriel sehen.

Die Landeshauptfrau hat zugesichert, dass der Vertrag mit der Caritas erfüllt wird und das Flüchtlingsheim bleibt. Eine ebensolche Zusicherung gab es vom Büro von Landesrat Waldhäusl (FPÖ), der im Land Niederösterreich für den Bereich Integration zuständig ist. Das Caritas-Flüchtlingsheim in St. Gabriel ist ja spezialisiert auf die Betreuung von traumatisierten und (psychisch) kranken Personen. Darunter sind sogenannte „Härtefälle“ – Menschen, die besonders auf Betreuung angewiesen sind. Es gab die Zusicherung der Behörde, dass sie bleiben können. Leider ist die Entwicklung so, dass mehr als zwei Drittel der Schutzsuchenden schon in andere Heime verlegt wurden. Das kann ich nicht verstehen.

Unter den Verlegten sind Personen, die aufgrund ihres Krankheitsbildes sich selbst und andere gefährden können, wenn sie nicht regelmäßig ihre Medikamente nehmen. Drei von ihnen sind laut einem Zeitungsbericht zumindest vorübergehend verschwunden. Es ist unverantwortlich, wie hier mit kranken Menschen umgegangen wird und es ist unverantwortlich, wie hier mit der Sicherheit dieser Personen und der Bevölkerung gespielt wird. Und das, obwohl das zentrale Argument von FPÖ-Landesrat Waldhäusl immer die fehlende Sicherheit war.

Insgesamt bekomme ich den Eindruck, dass die Caritas sowie andere kirchliche Akteure und auch NGOs aus dem Flüchtlingsbereich hinausgedrängt werden sollen. Die Betreuung dafür wird vermehrt direkt in staatliche und private Hände gegeben, um lästige Zwischenrufe durch christlich und humanistisch eingestellte Menschen zu verhindern. Das Vorgehen der politisch Verantwortlichen ist von Härte und Rücksichtslosigkeit geprägt, um Flüchtlinge abzuschrecken und solidarische Menschen zu entmutigen.

Vor Ort habt ihr mit einigem Gegenwind zu kämpfen. So macht etwa auch die ÖVP Stimmung gegen die Unterkunft. Wie erklärst du dir das?

Im Flüchtlingsheim hat es im Mai einen Mord gegeben. Es war der erste und einzige derartige Fall in 26 Jahren, bei Tausenden Flüchtlingen, die in St. Gabriel Aufnahme und Betreuung fanden. Auch nach diesem Vorfall fühlten wir 40 Ordensleute, die Tür an Tür mit den Flüchtlingen leben, uns nicht bedroht. Gleiches sagen Eltern von Kindern, die auf unserem Klostergelände unweit des Flüchtlingsheimes eine Schule besuchen. Ebenso wie Leute, die auf unserem Gelände einen Betrieb haben.

Um die Rede von der „Unsicherheitslage“ zu untermauern, wurde von zahlreichen Polizeieinsätzen gesprochen, die stattgefunden hätten. Diese vermehrten Einsätze haben aber schon 2016 stattgefunden, als zwischenzeitlich zusätzliche Hunderte Flüchtlinge bei uns in einer Notunterkunft Aufnahme fanden. Damals waren sehr viele Flüchtlinge in Österreich obdachlos und lebten auf der Straße. Aber auch aus dieser Zeit ist mir kein schwerer Zwischenfall bekannt.

Boulevardmedien wie „Heute“ verbreiten einseitig Meldungen, die Asylwerber und Flüchtlinge insgesamt als ein Sicherheitsrisiko darstellen. Das Schlimme ist, dass das über diese Medien erzeugte Bild die Menschen stärker beeinflusst als die Faktenlage.

Ich erwarte mir von der Politik, dass sie unberechtigte Ängste nicht schürt, sondern ihnen entgegentritt. Aber anscheinend ist das Interesse nicht, Realpolitik zu machen, die den Menschen – und besonders den Schwächsten in der Gesellschaft – dient. Man will aus tragischen Vorfällen Kapital schlagen und auf Kosten von traumatisierten und kranken Menschen Stimmen optimieren. Das finde ich verwerflich.

Du bist als Mitinitiator der Romaria-Wallfahrt schon sehr lange in der Solidaritätsarbeit mit Flüchtlingen aktiv. Wie hat sich deiner Beobachtung nach die Stimmung gegenüber Geflüchteten in den letzten Jahren verändert?

Leider hat sich die Stimmung vor allem seit 2017 stark verschlechtert. Fehlende Unterstützung für so viele Ehrenamtliche und Institutionen, die sich für schutzsuchende Menschen einsetzen und einseitige Berichterstattung der Medien haben meiner Ansicht nach dazu geführt. Ich weiß von so vielen wunderbaren Beispielen von gelungener Integration – sie zählen nicht. Was zählt sind „bad news“, mit denen Geschäft und Politik gemacht werden.

Wir Steyler Missionare sind eine weltweite Ordensgemeinschaft, die in über 80 Ländern vor allem im globalen Süden tätig ist. Dort leisten wir seit vielen Jahrzehnten wirksame Hilfe zur Selbsthilfe. Was Politiker immer wieder versprechen und dann nicht umsetzen, das leben wir: Hilfe vor Ort. Ich würde mir wünschen, dass man endlich von Stimmungsmache hin zu echten Problemlösungen findet. Hilfsaktionen im Mittelmeer zu verbieten und zu kriminalisieren, Lager in Nordafrika zu schaffen und Menschen die Möglichkeit zu nehmen, in der EU Asylanträge zu stellen, ist keine Problemlösung, sondern Zynismus und Unmenschlichkeit. Es macht mich sehr betroffen, dass so eine Politik anscheinend mittlerweile mehrheitsfähig ist.

Der Papst hat anlässlich des Weltflüchtlingstages zu mehr Menschlichkeit und vor allem Solidarität gegenüber denjenigen aufgerufen, „die dazu gezwungen sind, ihre eigenen Länder zu verlassen.“ Die Politik unserer Regierung scheint das nicht sehr zu beeindrucken. Eher im Gegenteil, wenn man sich die vielen Abschiebungen nach Afghanistan ansieht. Wie siehst du das?

Für mich sind die Abschiebungen nach Afghanistan unmenschlich. Weil die abgeschobenen Menschen dort keine Sicherheit haben, ja um ihr Leben fürchten müssen. Abschiebungen von integrationswilligen bzw. bereits integrierten Menschen scheinen derzeit Vorrang zu haben.

Man will anscheinend bewusst den sozialen Konflikt schüren und das Negativbild der „Ausländer“ noch verstärken, um eine „Law and Order“ Politik, eine Aufrüstung der Polizei und eine Abschottung der Grenzen zu rechtfertigen. Ich mache mir große Sorgen um unser Land. Es wird in meinen Augen zunehmend unmenschlich, unsolidarisch und xenophob. Für mich als Christen hat jeder Mensch die gleiche Würde und das gleiche Recht auf ein gutes Leben, denn in jedem Menschen sehe ich ein Ebenbild Gottes.

Auch jenseits seines Engagements für Flüchtlinge, findet Franziskus deutliche Worte, wenn es etwa um seine Kritik an der herrschenden Wirtschaftsordnung geht, die im Sinne einiger Weniger funktioniert. So meint er etwa: „Der Kapitalismus kennt Philanthropie, aber keine Gemeinschaft“.

Wenn der Eigennutz und die Gewinnmaximierung um jeden Preis das Credo des Wirtschaftens sind, dann kommen dabei die Menschen und die Natur unter die Räder. Wir brauchen unbedingt gesetzliche Rahmenbedingungen, die menschliche Grundrechte und die Natur schützen.

Gerade der Klimawandel und die Migrationsströme aus Gegenden, wo Massenarmut ist, führen uns diese Notwendigkeit drastisch vor Augen. Leider scheint derzeit eine globale Wirtschaftspolitik vorzuherrschen, wo diese Notwendigkeit geleugnet wird.

Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung, die in die Katastrophe führt. Davor warnt Papst Franziskus. Es braucht soziale Gerechtigkeit, die ein gutes Leben für jeden, ja für alle Menschen anstrebt. Almosen für die, die im ungeregelten unfairen Wettbewerb auf der Strecke bleiben, sind keine Lösung.

Aktuelle Gesetzesänderungen, wie der 12-Stunden-Tag, dienen ja genau dazu den Menschen noch weiter in den Dienst der Wirtschaft zu stellen, statt umgekehrt. Wie kommen wir da wieder raus? Welche Rolle könnte Kirche dabei spielen?

Die Kirchen, inkl. die Bischofskonferenz der Katholischen Kirche, haben sich Gott sei Dank sehr klar zu Wort gemeldet und eindeutig gegen diese Gesetzesänderungen Stellung bezogen. Besonders aktiv ist die Katholische Aktion, z.B. die Katholische Frauenbewegung.

Es braucht den breiten Protest, den Schulterschluss aller demokratischen und sozialen Kräfte im Land. Und es braucht Bewusstseinsbildung – wie sie z.B. durch die Initiative „Christlich geht anders“ geschieht. Und es braucht das Gebet – damit harte Herzen wieder empfindsam werden für das Leid anderer.

Interview: Rainer Hackauf und Sandra Stern.

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