Amazon:Die Allmachtsphantasien des Jeff Bezos

Jeff Bezos

Amazon-Chef Jeff Bezos denkt in großen Kategorien: Jetzt will er mit seinem Onlinehändler auch in die analoge Welt vordringen.

(Foto: AP)
  • Amazon wird immer mächtiger: Mit der Übernahme der Supermarktkette Wholefoods dringt das Unternehmen in einen weiteren Lebensbereich der Konsumenten vor.
  • Gründer Jeff Bezos wird sich mit dem Wachstum sehr wahrscheinlich nicht auf die USA beschränken. Denn alles, was der Konzern plant, plant er für die ganze Welt.

Von Jürgen Schmieder und Kathrin Werner

Vielleicht wird sich John Mackeys Einschätzung in die Liste der größten Fehlprognosen der Geschichte einreihen, gleich hinter die von Thomas Watson, der 1943 sagte: "Ich denke, dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer gibt." Denn Mackey hat Amazon nicht ernst genommen. Lebensmittel könne der Onlinehändler einfach nicht, sagte der Gründer der Supermarktkette Whole Foods vor zwei Jahren, Amazon sei keine Konkurrenz. Lebensmittel, urteilte er, würden Amazons "Waterloo". Jetzt hat Amazon verkündet, Whole Foods zu kaufen - für fast 14 Milliarden Dollar. Mackey bekommt einen neuen Chef: Jeff Bezos, den Gründer und Vorstandsvorsitzenden von Amazon. Waterloo sähe anders aus.

Auf den ersten Blick ist es ein ungewöhnlicher Zukauf: Rund 450 Bio-Supermärkte aus Stein und Mörtel für ein Unternehmen, das mit Einkäufen im Internet den analogen Geschäften eigentlich den Garaus machen will. Doch er ist sinnvoll, weil Amazon mit Whole Foods quasi 450 Lieferzentren dort bekommt, wo die Menschen wohnen. Und er ist ein riesiger Schritt zur Erfüllung von Bezos' großer Vision: Es soll nichts geben, das es bei Amazon nicht gibt. Vor 23 Jahren begann Bezos seine Arbeit daran - zu einer Zeit, als im deutschen Fernsehen Werbefilme liefen, dass es im Baumarkt Obi alles gäbe, nur günstiger. Genau das wollte Bezos im Internet verwirklichen; Bücher waren nur eines von 20 möglichen Produkten auf seiner Liste für The Everything Store - das Alles-Geschäft.

Die Listen mit Produkten, die es bei Amazon nicht gibt, sind mittlerweile erstaunlich kurz: Benzin etwa ist nicht lieferbar, oder Hundewelpen. Und mit jedem neuen Produkt, das Amazon anbietet, verschwinden die alten Verkäufer: erst Buchläden, dann die Klamottengeschäfte. Die Zeitschrift New Yorker spekuliert schon, dass wir in ein paar Jahrzehnten den Kindern erklären müssen, wie das früher war, als wir "einkaufen gefahren" sind.

In den USA liegt Amazons Marktanteil im Internethandel bei 43 Prozent. Und obwohl Roboter durch Amazons Warenhäuser flitzen, wächst die Zahl der Mitarbeiter rasant. Ende März arbeiteten 351 000 Menschen für Amazon, 43 Prozent mehr als im Vorjahr. Es soll so weitergehen. Bezos hat im Januar versprochen, bis Mitte 2018 weitere 100 000 Jobs zu schaffen.

Amazon ist jedoch nicht mehr nur ein Alles-Geschäft, das den Menschen irgendwelche Waren verkaufen will, es ist ein Alles-Unternehmen, das sich auch als Dienstleister für andere Firmen versteht und dabei die beiden Bezos-Grundsätze ("Der Kunde ist König" und "Die langfristige Strategie ist wichtiger als kurzfristiger Erfolg") konsequent umsetzt. Da gibt es etwa die Amazon Web Services (AWS), die Bezos im Jahr 2006 gegründet hat. In diesem Jahr dürfte der Cloud-Computing-Anbieter etwa 17 Milliarden Dollar umsetzen. Netflix, Amazons bedeutsamster Konkurrent auf dem Streamingmarkt, benutzt AWS-Technik genauso wie die Nasa und die CIA. Es ist nahezu unmöglich, sich in der digitalen Welt zu bewegen, ohne irgendwie mit Amazon oder Gründer Bezos zu tun zu haben - und nun zunehmend auch im analogen Leben.

Bezos, inzwischen der drittreichste Mensch der Welt, war nicht nur einer der ersten Investoren in Google. Er erkannte vor ein paar Jahren auch den Trend zum Teilen und beteiligte sich am Fahrdienstvermittler Uber und am Unterkunft-Marktplatz Airbnb. Er ist an den Nachrichtenseiten von Business Insider und an der Tageszeitung Washington Post beteiligt. Amazon baut inzwischen sogar Buchläden und produziert eigene Fernsehserien. Amazon Maritime bringt Waren per Schiff von China in die USA. Und mit seiner Weltraum-Firma Blue Origin investiert er in die ferne Zukunft: sie baut recycelbare Raketen.

Das Rezept für den Erfolg: Automatisierung und ein langer Atem

Das lateinische Motto auf dem Firmenlogo, "Gradatim Ferociter", lässt sich mit "Schritt für Schritt und doch unbeirrt voran" übersetzen - Bezos' Motto fürs Leben. Der Tech-Strategieforscher Ben Thomp-son, der den Blog Stratechery betreibt, formuliert das so: "Amazon will einen Anteil an jedem Bereich der Volkswirtschaft." Kern der Strategie ist Amazon Prime, der Abo-Service des Unternehmens, für den laut Schätzungen in den USA 80 Millionen Haushalte eine Jahresgebühr von 99 Dollar bezahlen, damit Lieferungen kostenlos sind.

Wer Prime-Kunde ist, hat sich so daran gewöhnt, bei Amazon zu bestellen, dass er oft Preise überhaupt nicht mehr vergleicht. Sich bei anderen Onlineläden anzumelden, wäre unpraktisch. Und schließlich lohnt sich die Jahresgebühr gefühlt eher, wenn man öfter bei Amazon bestellt. Prime ist eine Festung - und mit Lebensmitteln wird sie noch größer. Man muss sie quasi kaum mehr verlassen. Lebensmittel sind allein in den USA ein 800 Milliarden Dollar schwerer Markt - Bezos würde nie zulassen, dass sie sein Waterloo werden.

Dass Amazon damit bislang nicht sehr erfolgreich war, liegt zum einen daran, dass die meisten Menschen anders als bei vielen anderen Produkten noch darauf beharren, ihre Salatköpfe selbst in Augenschein zu nehmen, bevor sie einen kaufen. Zum anderen liegt es daran, dass Amazons Rezept für effizientes Liefern nicht wirkt: Es ist kein Massengeschäft, in dem es darum geht, Waren in riesigen Lagern vorzuhalten und dann möglichst kostengünstig zum Kunden zu bringen. Ein Steak muss anders behandelt werden als ein Salatkopf und anders als Eiscreme. Doch wer beobachtet hat, wie der Onlinehandel nach und nach fast jedes Produkt an sich gerissen hat, glaubt nicht mehr, dass er sich aufhalten lässt. Eine Studie des Marktforschers Nielsen prognostiziert eine Verfünffachung binnen zehn Jahren.

Die Festung wächst

Und obwohl sich Amazons Pläne bislang auf die USA beschränken, dürfte es dabei nicht bleiben - alles, was der Konzern plant, plant er für die Welt. Für die Konsumenten bedeutet der Zukauf zunächst vermutlich billigere Preise, Amazon ist dafür bekannt, die Kosten zu drücken - durch bessere Planung, größere Automatisierung und die Bereitschaft, für günstige Preise auch mal schlechtere Margen oder sogar Verluste hinzunehmen. Whole Foods hingegen ist für hohe Preise bekannt, der Spitzname lautet "Whole Paycheck", weil man leicht ein ganzes Monatsgehalt ausgeben kann. Außerdem leben mehr als 23 Millionen Amerikaner, darunter 6,5 Millionen Kinder, in Gegenden, in denen der nächste Supermarkt mehr als eine Meile entfernt ist - man nennt sie Lebensmittelwüsten. Frisches Gemüse ist für Amerikas Arme oft kaum zu bekommen. Amazons Liefer-Effizienz hingegen erreicht ganz Amerika.

Doch neben all der möglichen Vorteile bedeutet Amazons Vorstoß in das Supermarktgeschäft auch, dass andere Optionen verschwinden und die Festung Amazon wächst. Amazon wird mächtiger, die Konkurrenz verschwindet - langfristig können manche auf der Welt vielleicht ohne Amazon kaum noch etwas zu essen kaufen. Bezos sagte einmal: "Wir nehmen es in Kauf, lange Zeit missverstanden zu werden." Inzwischen jedoch missversteht kaum noch jemand ihn oder die Ziele seiner Firma: Das Leben soll ohne Amazon kaum noch möglich sein. Das hat nun auch Whole-Foods-Gründer Mackey gemerkt.

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