Abduljalil kam vor zwei Jahren als Flüchtling nach Österreich.
Abduljalil kam vor zwei Jahren als Flüchtling nach Österreich.
Hinter jedem Menschen steht eine persönliche Geschichte, ein ganz persönliches Schicksal. Und dieses sieht man den Allerwenigsten auf den ersten Blick an. Auch bei Abduljalil ist das so. Der 20-Jährige blickt selbstbewusst und offensichtlich glücklich in unsere Kamera. Doch wenn man genauer nachfragt, erzählt er offen über sein Leben, das ihn als Flüchtling nach Österreich geführt hat.
Der SONNTAG - die Zeitung der Erzdiözese Wien
Ich stehe auf der Todesliste der Taliban“, erklärt Abduljalil während unseres Interviews quasi beiläufig. Der 20-Jährige bedient freundlich und zuvorkommend die Kunden in einer McDonalds-Filiale im 1. Wiener Bezirk, hat hier seit ein paar Monaten eine Lehrlingsstelle zum Gastronomiefachmann. Niemand, der hier einen Burger bei ihm bestellt, ahnt von seinem bewegten Schicksal.
Abduljalil kam vor zwei Jahren als Flüchtling von Afghanistan nach Österreich, zuerst nach Salzburg und dann nach Wien.
Wir fragen ihn nach dem Grund für seine Flucht: „Wir haben Schreckliches durchgemacht. Ich stamme aus einer Akademikerfamilie, mein älterer Bruder war Lehrer an einer Schule. Doch er wurde von den Taliban getötet, weil er unter anderem Englisch unterrichtete. Kurz darauf verschleppten sie auch meinen zweiten Bruder, der für eine amerikanische Firma in Afghanistan gearbeitet hat.
Seit zweieinhalb Jahren haben wir kein Lebenszeichen mehr von ihm. Dann bekam auch ich Todesdrohungen, deshalb bin ich geflohen und habe meine Mutter und meine kleine Schwester zurückgelassen“, sagt Abduljalil nachdenklich.
Doch gleich danach betont er, dass er nicht anhand dieses Schicksals beurteilt werden möchte: „Ich bin ein ehrgeiziger Mensch, ich möchte etwas leisten und möchte meine beiden Brüder ehren, indem ich weitermache, jedem korrekt begegne und niemals aufgebe.“
Und in der Tat: Für seine 20 Jahre wirkt der junge Mann sehr erwachsen und verantwortungsbewusst. Über seine Ziele und Träume verrät er: „Ich habe in Afghanistan die Matura gemacht und träume davon, irgendwann Journalismus oder Politikwissenschaft zu studieren.
Jetzt geht es aber erst einmal darum, auf eigenen Beinen zu stehen. Deswegen bin ich sehr dankbar dafür, dass ich eine Lehre bei McDonalds habe, die mir einen Neustart ermöglicht und mich finanziell unabhängig macht.
Ich verdiene als Lehrling zwar nicht viel, aber ich bin sehr sparsam und kann Miete und alle Rechnungen bezahlen. Dadurch brauche ich keinen Cent vom Staat. Das macht mich sehr glücklich und stolz.“
Obwohl das Asylverfahren von Abduljalil derzeit noch nicht abgeschlossen ist, hat er eine österreichische Arbeitserlaubnis erhalten – die Basis für seine Lehrstelle in der Gastronomie.
Unterstützt wurde er bei diesem Prozess vom Verein „Kirche und Arbeitswelt – Hands On“ aus Wien.
Dieser Verein hilft Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 23 Jahren dabei, eine Lehrstelle und einen Arbeitsplatz zu finden. Egal ob österreichische Jugendliche, oder Jugendliche mit Migrations- und Fluchthintergrund.
Abduljalil ist einer von derzeit 13 Jugendlichen, die von „Hands On“ betreut werden. „Ich hätte das alleine niemals geschafft“, sagt der 20-Jährige dankbar. „Bei ‚Hands On´ gibt es Mentoren, die sich in der Berufswelt auskennen und die uns Tipps geben und uns unterstützen“, erklärt er.
Das Ganze funktioniert nach einem sogenannten Mentoring-Prinzip. Personen aus der mittleren und oberen Management-Ebene fungieren bei „Hands On“ als sogenannte Mentoren. Dabei nehmen sie sich jede Woche ehrenamtlich eineinhalb Stunden Zeit, um arbeitssuchende Jugendliche zu beraten und sie bei der Arbeitssuche zu unterstützen.
Das Ganze mit einer bisher sehr positiven Bilanz: Von den 13 Jugendlichen konnten drei in Schulungen untergebracht werden, drei weitere haben eine Lehrstelle in einem Möbelhaus bekommen und zwei absolvieren Lehrstellen in der Gastronomie und im EDV-Bereich. Auch bei den anderen betreuten Jugendlichen zeichnen sich Erfolge ab.
Abduljalil hat während seiner beiden Jahre in Österreich schon sehr gut Deutsch gelernt. Bei unserem Interview beantwortet er alle Fragen souverän, verständlich, fehlerfrei: „Als ich nach Österreich gekommen bin, habe ich in Salzburg gleich von Anfang an als ehrenamtlicher Übersetzer in einer Flüchtlingsunterkunft gearbeitet.
Dann bin ich nach Wien gekommen und lebte in einer Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Auch hier habe ich als Übersetzer geholfen und habe auch sonst jede freie Minute Deutsch gelernt. Ich habe mittlerweile schon das B2-Niveau erreicht.“
Ein Umstand, der auch Abduljalils Chef und Leiter der McDonalds-Filiale beeindruckt: „Er spricht fließend Deutsch und man merkt einfach, dass er unglaublich fleißig und anständig ist. Deswegen möchte ich ihn weiterbringen und bin mir sicher, dass er aufgrund seines Einsatzes die Lehre mit Auszeichnung schaffen wird“.
Trotz dieses Lobes ist Abduljalils Zukunft ungewiss. Sein Asylverfahren ist noch lange nicht abgeschlossen und erst die kommenden Monate werden zeigen, ob er in Österreich bleiben darf.
„Egal wie es ausgeht – ich bin den Österreichern unglaublich dankbar dafür, dass ich hier sein darf und nicht mehr um mein Leben fürchten muss“, sagt Abduljalil.
Am Ende möchten wir von ihm noch wissen, was sein größter Wunsch für die Zukunft ist.
Seine Antwort: „Dass es irgendwann in meinem Land wieder sicher ist. Dann kann ich zurückkehren, denn kein Sohn lässt freiwillig seine Mutter alleine. Ich habe aber zumindest Kontakt zu ihr.
Ich spare hart, damit ich mir alle drei Monate eine Handy-Wertkarte um 10 Euro leisten kann. Damit kann ich dann immer etwa zwei Minuten lang mit meiner Mama telefonieren. Das sind für mich unglaublich schöne Momente, auf die ich zielstrebig hinarbeite.“
Michael Gaßmann, Initiator „Hands On“ (l.) mit Abduljalil (r.)
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