Der Kampf um die Aufteilung des Landes hat begonnen – Seite 1

Bald nach Donald Trumps Amtsantritt begannen die Spekulationen darüber, wie ernst er seine Wahlkampf-Drohgebärden gegen den Iran gemeint hat. Offenbar sehr ernst, wie inzwischen klar ist. Völlig unklar ist jedoch, wo und wie sich die USA dem Iran entgegenstellen wollen. Martialische Rhetorik und fehlende Strategie aber ergeben eine gefährliche Mischung. Vor allem in Syrien. 


Luftangriffe auf syrische Truppen und Hisbollah-Kämpfer, der Abschuss eines syrischen Kampfbombers sowie zweier iranischer Drohnen – in den vergangenen Wochen haben sich die Konfrontationen des US-Militärs mit Assad-loyalen Truppen gehäuft. Manche interpretieren das als offenen Machtkampf zwischen Washington und Moskau, Assads wichtigstem Beschützer in der Region.

Das ist es (noch) nicht. Washington geht es vielmehr um Teheran und dessen Plan, einen Landkorridor vom Iran über den Irak durch Syrien bis ans Mittelmeer zu kontrollieren. Diesen Korridor wollen die USA verhindern. Wie genau, weiß anscheinend auch in Washington noch niemand. Nach knapp einem halben Jahr Trump-Administration ist schwer auszumachen, welches Ressort wo welche Außenpolitik betreibt – und welches Gewicht die Trump'schen Twitter-Eruptionen haben. Im Fall Syriens und des Iraks ist derzeit jedenfalls das Pentagon federführend. Aber auch da gibt es miteinander konkurrierende Fraktionen. 

Eine der militärischen Optionen, die sowohl der Iran als auch Assad fürchten, könnte so aussehen: die von den USA unterstützen kurdischen Einheiten, die sogenannten Demokratischen Kräfte Syriens (DKS), stoßen nach der Vertreibung des IS aus Rakka weiter nach Süden vor. Von dort kommen ihnen von den USA und Jordanien unterstützte syrisch-arabische Rebellen entgegen. Die werden derzeit von den USA, Großbritannien und Jordanien auf einer Militärbasis in Al-Tanf ausgebildet. Al-Tanf liegt auf syrischem Territorium an der strategisch wichtigen Schnittstelle dreier Landesgrenzen: der des Iraks, Syriens und Jordaniens. Genau in dieser Gegend kam es in den vergangenen Wochen zu den meisten der genannten militärischen Konfrontationen, unter anderem weil Pro-Assad-Milizen und iranische Revolutionsgardisten in einem Konvoi Kurs auf Al-Tanf genommen hatten. Dass sich fast zur gleichen Zeit der iranische Chefstratege Qassem Suleimani, Kommandant der "Al Quds"-Eliteeinheit der Revolutionsgarden, nicht weit von Al-Tanf fotografieren ließ, war kein Zufall. Teherans Botschaft an Washington: "Das hier ist unser Gebiet, und vor euch haben wir keine Angst."

Der Krieg in Syrien befindet sich inzwischen in seiner dritten Phase, wobei die Übergänge fließend sind. Der bewaffnete Aufstand gegen das Assad-Regime ist gescheitert, auch wenn an einigen Fronten nach wie vor gekämpft wird. Die multi-nationale Jagd auf den IS ist noch im Gang, während der überregionale Kampf um die geostrategische Aufteilung Syriens begonnen hat. Und die spielt sich momentan vor allem im Osten des Landes entlang des Euphrat-Tals und der syrischen Grenze zum Irak und zu Jordanien ab. 
Ost-Syrien und West-Irak sind nicht nur die Schlüsselregionen für den iranischen Zugriff auf einen Mittelmeerhafen und auf die ungehinderte Versorgung der schiitischen Hisbollah im Libanon gegen den Erzfeind Israel. Hierdurch verlaufen auch zwei Pipelines für Erdöl und wichtige Autostraßen. Hier befinden sich Wasserkraftwerke und einige der fruchtbarsten Gebiete, die einst weitgehend die landwirtschaftliche Selbstversorgung Syriens garantierten.  

Eine faktische Aufteilung des Landes in unabwendbar

Noch ist schwer einzuschätzen, ob US-Streitkräfte und von ihnen unterstützte Milizen tatsächlich entschlossen sind, iranische Revolutionsgardisten und ihre Proxy-Truppen aus dem syrisch-irakischen Grenzgebiet zu verdrängen.

Hoffentlich nicht, argumentiert Julian Barnes-Dicey, Nahost-Experte beim European Council on Foreign Relations. Die Eskalation einer weiteren geostrategischen Rivalität sei das Letzte, was Syrien derzeit brauche. Barnes-Dicey ist nicht gegen ein verstärktes amerikanisches Engagement. Das aber sollte besser dazu genutzt werden, die restlichen Gebiete der Opposition im Norden und im Süden des Landes zu schützen und Ressourcen für eine Stabilisierung Rakkas bereitzustellen, wenn der IS erst einmal aus der Stadt vertrieben ist.

Dass eine faktische Aufteilung des Landes unabwendbar ist, wissen inzwischen alle beteiligten Kriegsparteien. Der russische Plan der Deeskalationszonen, vorgelegt Anfang Mai 2017, trägt diesem Umstand Rechnung. Amerikanische Hilfe und Kontrolle des Luftraums könnte diese Gebiete, die von Assad-Truppen nach wie vor attackiert werden, zu echten Schutzzonen für die Zivilbevölkerung machen. Angeblich hat Moskau angedeutet, dass es den USA zumindest die Kontrolle über die südlichen Deeskalationszone zugestehen würde.

Der IS behält seine Kapazität als Terror- und Guerillagruppe

Iran würde in diesem Szenario seinen Landkorridor bekommen, die syrischen Kurden ihre autonomen Gebiete im Nordosten. Das Regime behielte die syrische Küste, sowie die Kontrolle über die Großstädte Aleppo, Hama, Homs, Damaskus und fast das gesamte Gebiet dazwischen. Die Hisbollah hat sich – gewissermaßen als Belohnung für ihre Hilfe für das Assad-Regime – bereits einen syrischen Landstreifen an der Grenze zum Libanon herausgeschnitten. Was aus der oppositionellen Provinz Idlib mit ihren Hunderttausenden Binnenflüchtlingen wird, bliebe unklar. Der größte Teil der Provinz ist als Deeskalationszone deklariert, doch haben sich hier Al-Kaida-nahe Fraktionen festgesetzt, die laut russischem Plan nach wie vor bombardiert werden dürfen.

Ein Soldat in Rakka © Delil Souleiman/​AFP/​Getty Images

Und der IS? Der wird in den kommenden Wochen vermutlich Rakka verlieren, hat sich aber jetzt schon mit seinen wichtigsten Kadern und Waffenvorräten in die Provinz Deir Ezzour zurückgezogen. Dort belagern ihre Kämpfer immer noch die vom Regime kontrollierte gleichnamige Provinzhauptstadt, die derzeit aus der Luft versorgt wird. Dort können die Dschihadisten im Hinterland allerdings auch auf Rückhalt bei einigen Stämmen dies und jenseits der syrisch-irakischen Grenze rechnen.

Der Verlust Rakka werde für den IS symbolisch sein, schreibt der Syrien-Experte des Institute for the Study of War, Christopher Kozak. "Entscheidend ist er nicht." Ebenso wenig der Verlust Mossuls. Dort haben IS-Kommandos gerade die historische Al-Nuri-Moschee in die Luft gesprengt, in der ihr Führer Abu Bakr al Bagdadi im Juni 2014 das sogenannte Kalifat ausgerufen hatte. Niemand sollte das als Eingeständnis einer Niederlage interpretieren – eher schon als Politik der verbrannten Erde. Der IS behält seine Kapazität als Terror- und Guerillagruppe. Ob und wie schnell er sich wieder ausbreiten kann, hängt maßgeblich davon ab, ob sich die Dschihadisten erneut als Beschützer der unterdrückten Sunniten gerieren können. Anders gesagt: Es hängt maßgeblich davon ab, welche Ausmaße und Formen der schiitisch-iranische Expansionskurs in der Region annimmt. Und wie gut die verbliebenen Gebiete der syrischen Opposition vor dem Assad-Regime geschützt werden können.