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Fluchtursachen "Was in Afrika läuft, ist europäische Innenpolitik"

Wie hält man Menschen von der Flucht ab? Der Migrationsexperte Christian Jakob über den Zusammenhang zwischen Entwicklungshilfe und Abschottung - und darüber, wie koloniale Denkmuster die Flüchtlingsdebatte bestimmen.
Flüchtlinge warten an der libyschen Küste im Oktober 2017

Flüchtlinge warten an der libyschen Küste im Oktober 2017

Foto: HANI AMARA/ REUTERS
Foto: Ch. Links Verlag

Christian Jakob, Jahrgang 1979, ist Soziologe und Journalist - seit 2005 arbeitet er bei der taz und ist spezialisiert auf Migration und Entwicklung. Sein aktuelles Buch "Diktatoren als Türsteher Europas" ist im Christoph-Links-Verlag erschienen.

SPIEGEL ONLINE: Herr Jakob, die Balkanroute ist geschlossen, der Familiennachzug ausgesetzt - die Willkommenskultur vom Sommer 2015 ist offensichtlich beendet. Überrascht Sie das?

Jakob: Nein. Wenn man sich anschaut, wie viele Geflüchtete 2015 nach Deutschland gekommen sind, war zu erwarten, dass es einen Rollback geben würde. Vieles von dem, was damals erkämpft wurde, ist zwar noch da, die zivilgesellschaftliche Unterstützerszene existiert noch. Inzwischen haben wir allerdings ein Mehr-Klassen-Asylrecht. Es werden nicht alle, die kommen, gleichbehandelt, es wird stark selektiert. Wer in der Rechtehierarchie oben steht, hat heute Zugang zu Angeboten und Unterstützungsleistungen, die es vor 2015 noch nicht gab - dem, der unten steht, werden Weiterbildungen oder ein Einstieg in den Arbeitsmarkt dafür stark erschwert.

SPIEGEL ONLINE: Besonders Asylsuchende aus Afrika haben wenig Chancen zu bleiben. Die EU kooperiert mit Ländern wie Niger, Sudan und auch Libyen, um zu verhindern, dass Menschen von dort nach Europa kommen. Wie funktioniert so eine Vereinbarung in der Praxis?

Jakob: Der Hauptpunkt sind die Rücknahmevereinbarungen. Die Botschaften der jeweiligen Länder sollen schneller Reisepapiere ausstellen und damit Abschiebungen erleichtern. Darüber hinaus sind die Kooperationen von Land zu Land unterschiedlich. In Niger beispielsweise ist die Militärpräsenz auf den Flüchtlingsrouten in Richtung Libyen verstärkt worden. An den Wasserquellen steht heute das Militär und verhindert die Weiterreise. Der Weg durch die Wüste ist gefährlicher und teurer geworden. Außerdem hat die EU durchgesetzt, dass die Gesetze gegen Schlepperei verschärft werden. In Libyen wiederum hat sich die EU mit genau den Akteuren eingelassen, die schlimmste Menschenrechtsverletzungen gegen Migranten begehen. Selbst das Auswärtige Amt sprach von "KZ-ähnlichen Zuständen" in den dortigen Lagern.

SPIEGEL ONLINE: Das Wohl Afrikas "liegt im deutschen Interesse", hat Angela Merkel im Oktober 2016 verkündet. Wie ist dieser Satz gemeint?

Jakob: Die Bekämpfung der Fluchtursachen ist in vielen Punkten schlicht erweiterte Entwicklungshilfe. Es wird ganz offen gesagt, dass wir diese Hilfe leisten, um zu verhindern, dass Menschen aus Afrika nach Europa migrieren. Als Angela Merkel im vorigen Jahr nach Niger gereist ist, hat sie der Regierung eine Summe von 27 Millionen Euro angeboten - zehn für Militär- und Grenzertüchtigung und 17 Millionen für Arbeitsfördermaßnahmen. Mahamadou Issoufou, der Präsident Nigers, hatte damals eine Milliarde Euro gefordert, da haben noch alle gelacht. Mittlerweile ist die bewilligte Summe ein dreistelliger Millionenbetrag. Die deutsche Entwicklungshilfe konzentriert sich bereits jetzt auf die Staaten, die Rücknahmevereinbarungen eingehen und den Grenzschutz verstärken. Das Geld geht nicht mehr zuerst dahin, wo es gebraucht wird, es geht dahin, wo man migrationspolitisch am meisten davon hat. Das widerspricht der ursprünglichen Idee von Entwicklungshilfe.

SPIEGEL ONLINE: Es gibt allerdings Studien, die zu dem Ergebnis gekommen sind, dass Entwicklungshilfe Migration nicht zwangsläufig eindämmt, sondern zumindest mittelfristig fördert. Wie schätzen Sie das ein?

Jakob: Das ist richtig. Wenn das Einkommen in einem Land steigt, steigt auch die Zahl der Menschen, die zur Arbeitssuche migrieren. Man sieht das auch daran, dass heute aus besonders armen Ländern wie etwa Niger kaum Menschen nach Europa gehen. Aus wirtschaftlich besser gestellten Staaten wie Senegal, Ghana oder Nigeria hingegen stammen viele der Ankommenden. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass mehr Hilfe für Afrika bedeutet, dass weniger Arbeitsuchende von dort nach Europa kommen.

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Christian Jakob, Simone Schlindwein

Diktatoren als Türsteher Europas: Wie die EU ihre Grenzen nach Afrika verlagert

Verlag: Ch. Links Verlag
Seitenzahl: 320
Für 18,00 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

20.04.2024 02.08 Uhr

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SPIEGEL ONLINE: Noch ein Satz Angela Merkels: Weniger Menschen aus Afrika bedeuten "mehr Sicherheit" in Deutschland. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Afrika-Initiativen der EU und dem Rechtsruck in Deutschland und Europa?

Jakob: Vieles von dem, was in Afrika läuft, ist europäische Innenpolitik. Die EU-Regierungen meinen, sie müssten zeigen, dass sie etwas gegen Migration tun. Dabei sind die Afrikaner eine vergleichsweise kleine Gruppe von Menschen, die nach Europa kommen. Trotzdem spielen sie in der Debatte eine herausgehobene Rolle, einfach weil die Angst vor afrikanischen Migranten seit jeher größer ist als beispielsweise vor osteuropäischen. Da spielen koloniale Wahrnehmungsmuster noch immer eine Rolle. Afrika wird als Gefahr gesehen, und die wird regelrecht beschworen. Entwicklungsminister Gerd Müller hat von 100 Millionen afrikanischen Flüchtlingen gesprochen, die in den Norden kommen würden. Das ist schlicht unseriös, damit erzeugt man Angst, und das ist auch genau so gedacht.

SPIEGEL ONLINE: Uganda hat in den vergangenen Jahren 1,3 Millionen Flüchtlinge aufgenommen und denkt offenbar nicht daran, die Grenzen zu schließen. Flüchtlinge bekommen umgehend Arbeitserlaubnisse. Eine Haltung, die auch für die EU und Deutschland zu empfehlen wäre?

Jakob: Vorneweg: Man kann die Aufnahmebedingungen nicht vergleichen. Uganda etwa kann es sich nicht leisten, den Leuten eine soziale Versorgung zu gewährleisten - die geben den Leuten ja einfach Land. Aber dennoch: Ja, es wird immer so getan, als seien Europa und Deutschland das Opfer der Flüchtlingskrise und der Arbeitsmigration. Davon kann keine Rede sein. Die afrikanischen Länder tragen die Hauptlast, und das tun sie ungleich weniger weinerlich als Europa.