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Die Zukunft von ARD und ZDF im Blick: Die Wissenschaftler wünschen sich eine Debatte über die Entwicklung der öffentlich-rechtlichen Medien, die nicht allein von Sparüberlegungen bestimmt wird.

© dpa

Pro Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Erst kommt der Auftrag, dann der Beitrag

In zehn Thesen setzt sich eine Gruppe Wissenschaftler für einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein. Eine zentrale Forderung: Die nötigen Reformen dürfen nicht in erster Linie von Einsparüberlegungen geprägt sein.

Gäbe es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht, man müsste ihn gerade jetzt erfinden. Mit dieser steilen These beginnt ein Offener Brief, den eine Gruppe von weit über 40 Wissenschaftlern vor allem aus den Bereichen Kommunikation, Medien und Politik und Vertreter der Zivilgesellschaft verfasst haben, um der Debatte über die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien eine neue Richtung zu geben. „Wir stehen für einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk – auch in der Zukunft. Auch wir sehen einen deutlichen Reformbedarf. Der Ausgangspunkt der Reformüberlegungen dürfe allerdings „nicht in erster Linie von finanziellen und Einsparüberlegungen getrieben werden“, heißt es in dem Offenen Brief. Gerade erst hatte der Privatfunkerverband VPRT eine deutliche Verschlankung der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz gefordert.

Insgesamt umfasst das Diskussionspapier zehn Thesen. Gefordert wird darin unter anderem, den Online-Auftrag weiter zu fassen und die Löschfristen für bestimmte öffentlich-rechtliche Sendungen in den Mediatheken abzuschaffen. In diesem Zug solle auch die Beschränkung für presseähnliche Angebote entfallen. In einer weiteren These sprechen sich die Wissenschaftler dafür aus, die Sender zu einer Plattform „als leicht erkennbare Anlaufstelle für öffentlich-rechtliche Angebote“ auszubauen, eventuell sogar als gemeinsame offene und nichtkommerzielle Plattform öffentlicher Institutionen. Dort könnten auch Inhalte von Museen, der Bundeszentrale für politische Bildung und Wikipedia stehen.

Die Unterzeichner des Offenen Briefes wollen zudem das Verbot der flächendeckenden lokalen Berichterstattung für Telemedien zumindest teilweise aufheben. „An eine Lockerung des Verbots kann aber gedacht werden, soweit für bestimmte Gebiete eine lokale Berichterstattung nicht mehr existiert beziehungsweise Meinungsmonopole der publizistischen Konkurrenz bedürfen.“

"Der Auftrag bestimmt den Beitrag - nicht umgekehrt"

In dem Brief wird zudem auf die Finanzierung eingegangen: „Der Auftrag bestimmt den Beitrag – nicht umgekehrt“, lautet die Forderung. Die Beitragszahler hätten einen Anspruch, dass die Sender mit den Beiträgen wirtschaftlich und sparsam umgehen. „Aber zunächst muss unabhängig von finanziellen Überlegungen die Diskussion geführt werden, welches der zeitgemäße Auftrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der digitalen Welt ist“, und es wird für eine „Demokratieabgabe“ geworben. In den weiteren Thesen geht es um Punkte wie die Ausweitung der Transparenzpflicht, die Bedeutung der Quote als Ausweis des Erfolgs, die Intensivierung der Europa-Berichterstattung und darum, dass es neben dem Internet auch langfristig einen weiteren Verbreitungsweg geben müsse.

Eine andere Frage ist allerdings zunächst, was die Wissenschaftler zu ihrer Aktion bewogen hat. Der Ursprung dafür liegt gut zwei Jahre zurück. Mit Unbehagen haben die Initiatoren die Diskussion über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verfolgt. „Von allen Seiten prasselte die Kritik auf ARD und ZDF ein, wegen der Berichterstattung über Griechenland und noch stärker über den Krieg in der Ukraine“, sagt der Berliner Mediensoziologe Volker Grassmuck. Auch die positive Haltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zur Willkommenskultur habe viele Beitragszahler gegen die Sendeanstalten aufgebracht. Es wurde populär, sich für die Abschaffung des Rundfunkbeitrages auszusprechen, auf diesen Ressentiments habe die AfD aufgebaut.

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Die Politik drängte ebenfalls dazu, den Wirkungskreis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kleiner zu fassen. Es wurde sogar gefordert, ARD, ZDF und Deutschlandradio sollten sich auf die Bereiche beschränken, die von den Privatsendern nicht abgedeckt werden können. „In dieser aufgeheizten Debatte wollten wir die Stimme der Vernunft wieder klingen lassen“, sagt Grassmuck, der zusammen mit der medienpolitischen Sprecherin der Grünen, Tabea Rößner, zum ursprünglichen Kern der Wissenschaftsgruppe gehört. „Dieses Papier soll auch ein Signal an die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten sowie an die Rundfunkkommission senden, dass es in der Gesellschaft weitaus mehr Befürworter eines starken öffentlich-rechtlichen Angebots gibt als dessen Kritiker. Die Erfahrungen aus der Causa Brender und der Gebührenumstellung zeigen, dass es einer öffentlichen und fruchtbaren Debatte bedarf, die wir mit diesem Thesenpapier gerne befördern wollen“, erklärt Rößner ihr Engagement.

Ähnliche Diskussionen gibt es freilich nicht nur in Deutschland, auch in Großbritannien wird seit Jahren über die Rolle der BBC diskutiert. „Doch anders als hierzulande leben die Briten viel stärker in dem Bewusstsein, dass sie alle Eigentümer der BBC sind. Eine solche Haltung wünschen wir uns auch für Deutschland“, sagt Grassmuck.

"Verlässliche Quelle von Informationen"

Zu den Unterzeichnern des Briefes gehört auch die Kommunikationswissenschaftlerin und Mitgründerin der Initiative Publikumsrat, Christine Horz. Für sie sind die öffentlich-rechtlichen Medien wichtig, „weil sie im Digitalzeitalter den Auftrag haben, eine verlässliche Quelle von Informationen bereitzustellen und dadurch den Meinungspluralismus sichern helfen, und weil Bürger ein Anrecht darauf haben, von ihnen mit verlässlichen Informationen versorgt zu werden – auch im Digitalzeitalter.“

Der Zeitpunkt zur Veröffentlichung des Briefes hängt mit den Beratungen für die neuen Rundfunkstaatsverträge zusammen. Für die Medienpolitik sind in Deutschland die Bundesländer zuständig. Sie haben eine Strukturkommission eingerichtet, die die Weichen für die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stellen soll. Das erklärte Ziel dabei heißt Beitragsstabilität. Aber: „Öffentlich-rechtliche Medien sind wichtig, weil sie mit der vom Staat gewährten umfangreichen Finanzausstattung demokratie- und gemeinwohlförderliche Inhalte bereitstellen können, die sich für kommerzielle Anbieter nicht rechnen“, sagt der renommierte Medienökonom und frühere Geschäftsführer des Instituts für Rundfunkökonomie an der Universität Köln, Manfred Kops.

Die Intention der Wissenschaftler geht über die Debatte zur Ausgestaltung der künftigen Rundfunkstaatsverträge hinaus. Vergleichbar mit der Internet-Enquete-Kommission können sie sich eine Einrichtung im Bundestag vorstellen, in der über die künftige Rolle der öffentlich-rechtlichen Medien diskutiert wird – möglichst mit den Mitteln des Internets wie zum Beispiel Adhocracy.

Die Thesen wurden während mehrerer Treffen in diesem und dem zurückliegenden Jahr entwickelt. An den Treffen nahmen auch Vertreter der Sender teil, an der Formulierung der Vorschläge waren diese jedoch nicht beteiligt.

Weitere Informationen zum Offenen Brief werden veröffentlicht auf der Webseite http://zukunft-öffentlich-rechtliche.de/

Der offene Brief mit der Liste der Unterzeichner als Download.

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