Die Koalitionsgespräche schreiten voran: Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache bei einer Verhandlungsrunde.

Foto: Matthias Cremer

In der Ersten Republik standen sich das bürgerliche und linke Lager unversöhnlich gegenüber. Lachende Dritte waren die Nazis, die von den Austrofaschisten zwar in die Illegalität gedrängt wurden, mit denen sie gleichzeitig aber über eine "Befriedung" verhandelten – führend daran beteiligt: der illegale Nationalsozialist Anton Reinthaller, der spätere erste FPÖ-Obmann. Auch nach 1945 gab es immer wieder Kooperationen zwischen der konservativen ÖVP und dem dritten Lager, die bis heute nicht aufgearbeitet sind.

Viel ist die Rede von den "braunen Flecken" in der SPÖ, die es zweifelsohne gab. Über die Integration von Ex-Nazis in der ÖVP liegt hingegen bis heute keine Untersuchung vor, und – was am absurdesten ist – die FPÖ und ihre Vorläuferpartei, der VdU, geraten dabei völlig aus dem Blick. Dabei kann man in ihrem Fall nicht mehr nur von "braunen Flecken" sprechen, sondern sie waren das politische Sammel- und Auffangbecken für "Ehemalige" schlechthin. Und zwar für diejenigen unter ihnen, die sich nicht anpassen und integrieren wollten, sondern im Gegenteil ihrer Gesinnung auch nach 1945 mehr oder weniger treu geblieben sind.

Zwischen ÖVP und "Ehemaligen" gab es Trennendes (Antiklerikalismus, Deutschnationalismus), aber auch ideologische Gemeinsamkeiten. Man übertraf sich im Einsatz für "entrechtete" Nazis und buhlte um deren Stimmen. Bei einigen durchaus mit Erfolg: So kam es 1949 zu einem Wahlaufruf von "100 Nazis für die ÖVP" – initiiert vom steirischen NS-Bauernführer Sepp Hainzl. Als gemeinsamer ideologischer Nenner diente der auf beiden Seiten tief verwurzelte Antimarxismus. Wie nachhaltig dieser "Sozi"-Hass bis heute zu sein scheint, illustrierte der frenetische Jubel im ÖVP-Zelt am Wahlabend, als in der Prognose kurzzeitig FPÖ vor SPÖ stand.

FPÖ war eine deutschnationale Kleinpartei

Es gab viele persönliche Kontakte und Kooperationen der ÖVP mit "Ehemaligen", nur einige Beispiele dafür: das Treffen von Oberweis 1949, bei dem ÖVP-Granden und "Ehemalige" heimlich über eine mögliche Zusammenarbeit verhandelten; beim Volksgerichtsprozess gegen den schwer belasteten ehemaligen NS-Minister Reinthaller traten zahlreiche ÖVP-Politiker als Entlastungszeugen auf; 1953 wäre es beinahe zu einer Koalition zwischen ÖVP und VdU gekommen, die letztendlich an Bundespräsident Körner scheiterte; 1957 stellten ÖVP und FPÖ einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten auf.

Die FPÖ war seit ihrer Gründung eine deutschnationale Kleinpartei, die sich immer am Rande des Rechtsextremismus bewegte. Versuche einer liberalen Öffnung waren nach der putschartigen Machtübernahme durch Jörg Haider 1986 endgültig gescheitert. Die FPÖ mutierte zur Österreich-zuerst-Partei und zu einer breiter ausgerichteten Protestpartei – entsprechend hat sich auch die Wählerschaft verändert, nicht aber ihre Führungs- und Funktionärsschicht. An der Spitze steht ein ehemaliger Neonazi-Aktivist, und regelmäßige antisemitische und rechtsextreme Entgleisungen lassen die wahre Gesinnung in der Partei erahnen. Die "stille Machtergreifung" der deutschnationalen Burschenschafter (Hans-Henning Scharsach) ist Ausdruck der Reideologisierung der aktuellen FPÖ.

Und mit dieser FPÖ will die "bürgerliche" ÖVP koalieren. Wo sind heute die liberalen "Bürgerlichen" in der ÖVP, die sich vom rechten Rand abgrenzen und gegen diese Koalition auftreten? Sind Geschichtsvergessenheit und Machtbesessenheit, ist der "Sozi"-Hass in der ÖVP so groß und umfassend, dass es keine Gegenstimmen mehr dazu gibt?

Ideologische Nähe

Oder gibt es doch mehr ideologische Gemeinsamkeiten mit der extremen Rechten, als man bisher wahrzunehmen bereit war? In fast allen Bereichen stehen sich ÖVP und FPÖ ideologisch näher als je zuvor, insofern ist eine Koalition fast eine logische Konsequenz. Sogar im Österreich-Patriotismus (über)trifft man sich, mit dem Ziel der Ausgrenzung und Hetze gegen Ausländer, Muslime und Flüchtlinge. Es gibt bestenfalls Nuancen in der Rhetorik, aber offenbar wenig fundamental Trennendes – nicht einmal den Antisemitismus.

Zu erinnern ist hier an die antisemitischen "Witze" geschmacklosester Art von ÖVP-Studentenfunktionären am Juridicum, wie man sie sonst nur bei schlagenden Burschenschaftern und Rechtsextremen antrifft. Es gab zwar rhetorische Abgrenzungen und einige Rücktritte, aber keine Anzeigen, und einige Täter sollen nach wie vor in der ÖVP aktiv sein. Ist das die neue türkise "Buberlpartie" von Kurz, Blümel und Konsorten, die zukünftige "Elite" in der Justiz und auch in der "neuen" ÖVP?

Von einer derart geschichts- und prinzipienlosen ÖVP ist kein "mäßigender" Einfluss zu erwarten. So bleibt es künftig wohl einer kritischen Gegenöffentlichkeit inner- und außerhalb des Parlaments, in den Medien und in der Wissenschaft überlassen, dieses kritische Korrektiv zu sein. (Margit Reiter, 6.11.2017)