Corona – und kein Ende
7. – 10. April
Es ist wie im Vorjahr – die Marillen blühen und es friert. Das Wetter schlägt sich auf’s Gemüt, noch dazu leidet mein Mann massiv unter diesen Wetterschwankungen – und er hat noch immer keinen Impftermin.
Das groteske Trauerspiel um das leitende Personal in unserer Regierung nimmt immer absurdere Formen an. Nicht für möglich gehaltene kindische chats mit seltsamer emotionaler Grundierung untergraben die Seriositätsansprüche dieser Leute. Die zu deren Verteidigung ausgesandten Herolde von Hanger bis Khol entblöden sich nicht, mit abwegigsten Beispielen andere Parteien „anzupatzen“, um die eigenen Ungeheuerlichkeiten zu relativieren. Der als Sauberbub angetretene Hoffnungsträger einer ermatteten bürgerlichen Politikertruppe straft unseren Bundespräsidenten der Lüge, wenn dieser behauptet „so sind wir nicht“, denn seine Rechtfertigungen vermitteln das Gegenteil – so sind wir alle – und so waren wir immer. Sprach da nicht mal ein juveniler Regierungschef von einem anderen Stil, der mit ihm Einzug halten werde, ohne Streit und „Anpatzerei“? Jetzt flüchtet er sich in die Floskel, dass das alles immer so war und dass das alle so machen würden – stimmt nicht, war nicht immer so und das machen auch nicht alle so.
Ich muss jetzt öfters an den leider zu früh verstorbenen engsten Freund meines Sohnes denken. Sie kannten einander schon, bevor sie noch in den Kindergarten gegangen sind und er war ein guter Freund der ganzen Familie. Nach dem Jusstudium trat er eine Stelle im Wirtschaftsministerium an und wurde zu einem Beamten, der die lange Tradition der guten österreichischen Verwaltung fortschrieb. Umfassend kulturell und weltanschaulich gebildet, konservativ im besten Sinn, übte er sein Amt unbestechlich und ohne Scheu Vorgesetzten zu widersprechen, aus. Er sah es so, dass er ja ohne großes Risiko mutig sein konnte, ihm konnte ja nichts Gravierendes passieren, er war ja pragmatisiert. Diese „Unkündbarkeit“ hat ihren Sinn darin, dass Beamte ohne Angst vor Sanktionen durch häufig wechselnde Minister ihr Amt nach bestem Wissen und Gewissen ausüben können. So sah er die Minister kommen und gehen, aber der alte Spruch galt auch für ihn „ihm war egal, wer unter ihm Minister war“, denn er kannte sich aus und seine jeweiligen Chefs konnten sich darauf verlassen, dass er seine Arbeit gut machte und die Leute, die mit ihm arbeiteten darauf, dass er mit ihnen und für sie sein bestes gab. Er hielt mit anderen seiner Art das Werkel am Laufen, wenig fähige Minister konnten da nicht allzu viel anstellen.
Allerdings hatte sich da in den letzten Jahrzehnten, vorerst unbemerkt, einiges gravierend geändert. Der „schlanke Staat“ war angesagt. Neoliberales Denken hielt auch in den Verwaltungsbehörden Einzug. Es gab Aufnahmestopps in den Ministerien, gleichzeitig wurden wichtige staatliche Funktionen in Agenturen ausgelagert. Das bedeutete, dass diese nicht mehr der öffentlichen Kontrolle unterlagen und die Angestellten dieser Agenturen nicht mehr als Personalkosten des Ministeriums, sondern als dessen Sachkosten aufschienen. So konnte man sich der Täuschung von Einsparungen hingeben.
Gleichzeitig wurden die sogenannten „Stäbe“ der jeweiligen Minister und Ministerinnen enorm aufgebläht. Wenn man weiß, dass im Bundeskanzleramt 60 Leute nur daran arbeiten, das mediale Bild ihres Chefs aufzupolieren, wundert einen nichts mehr. So viel schreibendes Personal können sich viele Zeitungsredaktionen nicht leisten.
Die Folge ist, dass die Beamtenschaft, die zumindest die Chance hat, selbstverantwortlich zu handeln, immer weniger wird und die von den jeweiligen Ministern und deren Wohlwollen total abhängigen gut bezahlten Stäbe immer größer werden.
Natürlich war auch früher nicht alles gut. Eine Verwaltungsreform, die allerdings nicht nur die Zahlen, sondern auch den Inhalt im Blick hat, wäre schon sinnvoll gewesen, denn seit dem Krieg ist auch die Beamtenschaft geprägt von der speziellen österreichischen Form der Parteibuchwirtschaft und der Föderalismus verschuldet viel Doppelgleisigkeit. Jeder Minister und jede Ministerin versuchte immer schon, ihrem Ministerium die eigene Farbgebung zu verpassen. Typisch dafür, die Einschwärzung des Innenministeriums unter Minister Strasser. Aber Beamte können sich dank ihrer sicheren Stellung immer und überall freispielen, wenn sie das nötige Format haben, dem Minister total hörige Stäbe und die als Aufpasser in den Ministerien installierten Generalsekretäre können das nicht. Die quasi „Kindesweglegung“ die da die türkise ÖVP mit Clemens Martin Auer betrieb, ist dafür beispielhaft, der war zwar durch die Partei nach oben gekommen, auf seine spezielle Weise aber eben nicht „steuerbar“.
Das Fatale dieser Entwicklung zeigt sich in der Krise. Man versucht zeitgemäß zu sein, das äußert sich darin, dass man meint, eine englische Bezeichnung modernisiert automatisch den Inhalt. Aber eine Sektionschefin, die jetzt „Chief Medical Officer“ heißt, ist deshalb noch kein Garant für sinnvolles Arbeiten. Wenn man die Stelle, die für die Impfung von immobilen Hochrisikopatienten über 80 Jahre zuständig ist, „Outbound Service“ nennt, heißt das nicht, dass diese Stelle auch funktioniert. Hier wird überall „getan als ob“. Als ob Dinge englisch zu benennen, schon qualitätsvoller Fortschritt wären, als ob digitale Anmeldesysteme schon Garant für deren Funktionieren wären, als ob Thinktanks schon ein Zeichen für Objektivität wären und als ob Public Relations Inhalte ersetzen könnte.
Zukunft braucht Vergangenheit und Innovation braucht Erfahrung. Für diese Mischung stand lange Zeit die österreichische Verwaltung, bevor sie schlechtgeredet und krank gespart wurde. Eine bodenlose Innovation kann enormen Schaden anrichten. Für mich ist das schlechte Funktionieren der Impfstrategie in ganz Europa dafür ein Symptom. Digitale Nerds organisieren ohne Bezug zu den Menschen unpraktikable Formen der Kommunikation. Uns wurden dadurch Nerven und viele Stunden unserer Lebenszeit geraubt.
Jetzt hat mir doch am Freitag tatsächlich der Ärztefunkdienst auf meine mailbox gesprochen. Mein Mann hätte am Montag einen Impftermin, aber leider, leider, ich hab das Telefon nicht gehört – Pech gehabt! Ich solle am Montag dort anrufen, wegen eines neuen Termins. Ist das die Form mit der man mit über 80jährigen Hochrisikopatienten kommuniziert?
Ein schöner Frühlingssamstag. Fawads Frau Salma hat ihre 10 tägige Quarantäne beendet. Ich habe sie gleich in das österreichische kulinarische Brauchtum eingeführt und wir waren am Bisamberg Bärlauch pflücken. Sie wirkt auf mich sehr liebenswürdig und aufgeschlossen – das kann gut gehen!
11. – 18. April
Am Montag hatte Salma einen Termin bei der Asylbehörde. Aus unerfindlichen bürokratischen Gründen muss sie, obwohl sie eine Einreisegenehmigung im Zuge der Familienzusammenführung hat, um Asyl ansuchen, und bekommt dann ihren Status zugewiesen – sollte reine Formsache sein, war es aber nicht.
Ihr wurde der Pass abgenommen, die einzige Grundlage, die sie braucht, um sich in Fawads Wohnung anmelden zu können und es wurde ihr beschieden, dass sie sofort mit anderen in einem Taxi in das Erstaufnahmezentrum nach Bergheim transferiert würde, weil das jetzt alle, die aus den prekären Ländern nach Österreich kommen, so machen müssen. Fawad konnte noch in aller Eile ein paar Kleidungsstücke aus der Wohnung holen und dann wurde sie mit anderen nach Salzburg transportiert. Mein Schwiegersohn, der Anwalt ist, hat sofort alle Papiere besorgt, damit sie dort so schnell wie möglich wieder entlassen wird, aber da hat er die Rechnung ohne die Bürokratie des österreichischen Innenministeriums gemacht. Sie sitzt jetzt ohne Sprachkenntnisse und Kontaktmöglichkeit im Erstaufnahmezentrum in Quarantäne in einer kleinen Zelle. Wie es weiter geht, weiß niemand.
So werden Menschen mutwillig kaputt gemacht. Aber abgesehen davon, da wird eine junge Frau, deren Ehemann eine Wohnung und ein Einkommen hat und die dem Staat ganz sicher in keiner Weise zur Last fällt, aus schikanösen Gründen mit Steuergeld nach Salzburg gekarrt und dort auf Steuerzahlerkosten untergebracht, weil alle Asylwerbenden in staatliche Quarantäne müssen – dass es sich in dem Fall um Familienzusammenführung handelt, ist dafür irrelevant. Diese bösartige Behandlung auf Staatskosten können wir uns leisten, Flüchtlinge von den griechischen Inseln zu holen aber angeblich nicht. In welchem Land leben wir mittlerweile?
Nach mühsamen Telefonaten habe ich in der Ärztefunkzentrale jemanden erreicht und mein Mann konnte am Dienstag zu Hause geimpft werden. Allerdings hat es nicht so weit gereicht, dass unsere zwei Häuser weiter wohnende, ebenfalls nicht mobile und schon längst zur Impfung angemeldete Nachbarin gleich auch geimpft worden wäre, sie muss weiter warten – soviel zum Thema Impfkoordination.
Gesundheitsminister Anschober ist zurückgetreten. Sein Körper hat ihm Signale geschickt, dass er bei dieser Selbstausbeutung nicht mehr mitmachen will. Rudi Anschober ist so vornehm und anständig gegangen, wie er eben ist. Seine Abschiedsrede war berührend, weil offen und ehrlich. Das sind wir von Politikern nicht gewöhnt. Es zeigt auch von seiner Haltung, dass er sich als einzigen beim Regierungspartner nicht bedankt hat – wofür auch. Neben viel medialer Anerkennung erntete Anschober aber auch seltsame Kommentare. Da vermissten einige einen „Killerinstinkt“ der in der Politik angeblich nötig ist. Wo sind wir denn? In der Steinzeit? Ich will nicht von Menschen regiert werden, die diesen Instinkt beherrschen und ausleben. Was dem scheidenden Gesundheitsminister möglicherweise gefehlt hat, war eine gut aufgestellte und verlässliche Beamtenschaft. Aber woher nehmen in einem Ministerium, das seit Jahrzehnten krankgespart wurde. Der durchaus positive Hang, alle einzubeziehen und auf alle Rücksicht zu nehmen, geht nur dann, wenn die anderen auch das Allgemeinwohl im Blick haben und nicht vorwiegend die eigene Karriere und die Meinungsumfragen. Mit dieser mangelnden persönlichen und sozialen Kompetenz seiner politischen Partner konnte Rudi Anschober nicht entsprechend umgehen. Und da ihm sichtlich alles nahe ging, im Unterschied zu den anderen, die sich nur abbeuteln, hat er das Handtuch werfen müssen – ich finde das sehr traurig.
Sein Nachfolger wird es nicht leicht haben, obwohl ich denke, dass er gute Voraussetzungen mitbringt – wir werden sehen.
Salma ist weiterhin in Bergheim auf Staatskosten in Quarantäne. Das Lager wird, wie alle anderen auch nicht mehr von Caritas und Diakonie betreut, die man dafür zahlen müsste, sondern von einer willfährigeren staatlichen Agentur, die ist zwar nicht billiger, aber die Kosten dafür fallen nicht so auf.
Laut einer Erhebung des Migrationsministeriums ist die Ablehnung von Migranten durch die österreichische Bevölkerung in der Corona-Krise gestiegen. Ich hätte mir gedacht, dass wir jetzt alle andere Sorgen haben, aber Sündenböcke sind sichtlich in jeder Lebenslage nötig.
Wieder muss ich zu einem Begräbnis einer Freundin. Es sind im letzten Jahr so viele aus unserem Freundeskreis verstorben und wir konnten nicht wirklich Abschied nehmen. Teilweise durften wir garnicht zum Begräbnis. Coronabedingt gab es keine Gestaltungsmöglichkeiten des gemeinsamen Abschieds. Das was zur Heilung beiträgt, das Zusammenkommen nach der Verabschiedung, das gemeinsame Erinnern und miteinander Essen, ist nicht möglich. Und so heilen die Wunden schlecht und die seelische Haut wird immer dünner.
Wir haben uns die Verabschiedung von Prinz Philipp im Fernsehen angesehen und dabei festgestellt, wie wichtig Rituale an den Wendepunkten des Lebens sind. Das Gerüst, das uns dazu die Religionsgemeinschaften anbieten, ist unverzichtbar, auch kirchenferne Menschen stützen sich auf diesen erprobten spirituellen Rahmen. Denn es handelt sich dabei um in kulturelle Form gebrachte Menschheitserfahrung. Egal wo wir weltanschaulich stehen, Freude und Hoffnung, Trauer und Angst brauchen ihre Einbettung in der Gemeinschaft. Das wird gerade in Zeiten wie diesen besonders deutlich.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.