Aktion der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) vor einer Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (AMS) in Wien, um auf das Schicksal Arbeitsloser aufmerksam zu machen.

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STANDARD: Die aktuelle Diskussion über Arbeitslosigkeit positioniert Erwerbsarbeit als Gütesiegel der gesellschaftlichen Brauchbarkeit ...

Beran: Ja, ein seltsamer Wert, der Arbeit damit zugeschrieben wird, fast schon religiös: Arbeitslose haben gefälligst zu leiden, wenn sie das nicht freiwillig tun, dann helfen wir ihnen dabei. Dasselbe machen wir übrigens mit den Alten. Der Trick: Entziehe ihnen in der öffentlichen Diskussion den Wert, dann sind sie wertlos. Ein extremes Gegeneinanderarbeiten – nur bringt das niemandem etwas, außer den gemeinsamen Untergang.

STANDARD: Sie haben Anfang der 1990er-Jahre die ersten Kurse für Langzeitarbeitslose am BFI konzipiert und durchgeführt. Wollten diese Menschen wieder ins Erwerbsarbeitsleben integriert werden?

Beran: Sicher! Diese Leute waren verzweifelt. Nur ein ganz kleiner Teil hat es sich gerichtet – das als Protestmaßnahme gegen eine Gesellschaft, die sie solcherart ausgespien hat. Es hat sich seither verschärft – wir sind an einer Spitze des Wettbewerbs angelangt, an der Werteverlust und Ichverlust in Arbeitslosigkeit nicht nur von Politikern und der Gesellschaft gemaßregelt werden, sondern auch vom Ich selbst. Uns wird nicht nur eingehämmert, dass, wer mehr arbeitet, wichtiger ist für die Gesellschaft, sondern wir sind durch die Digitalisierung auch einem Beschleunigungsimperativ ausgesetzt, durch den Optimierungswahn sollen wir am besten wandelnde Datensätze, eine Summe von Algorithmen auf zwei Beinen sein. Kein Wunder, wenn die Folge großflächig Erschöpfungssymptome aller Arten sind. Übrigens: Auch Arbeitslose haben Burnout – wer permanent so unter Druck ist, gerät fast automatisch in eine Erschöpfungsdepression, weil keine Änderung in Sicht ist. Zunehmende narzisstische Verhaltensweisen sind auch nur ein Symptom dieses Drucks: Bei anhaltender Gefahr schaltet das Gehirn auf Fokussierung, wir sehen also nur mehr einen kleinen Ausschnitt, verlieren so den Kontakt zueinander und empfinden andere als Störung. Das erlebe ich täglich in meiner Arbeit in Unternehmen.

STANDARD: Eigentlich meinen wir aber, wir hätten die Arbeitswelt "humaner" gestaltet ...

Beran: Wir haben die Versklavungsmethoden noch einmal verschärft. Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens brauche ich einen Wert – und den erhalte ich offensichtlich ausschließlich über die Brauchbarkeit am Arbeitsmarkt im absoluten Wettbewerb – da waren unsere Vorfahren in der Steinzeit humaner.

STANDARD: Na ja, wir gehen nicht mit Waffen aller Arten aufeinander los ...

Beran: Finden Sie? Statt echter Waffen sind heute eben alle Varianten psychischer Waffen im legalen Gebrauch. Das ist dem Hirn aber wurscht, es verrechnet Schmerz – ob physisch oder psychisch – gleich. Wir sind nur fieser geworden. Und: Blaue Flecken im Hirn sieht man ja nicht ...

STANDARD: Zurück zum Senken der Arbeitslosenquote: Umschulungen wären ja vielleicht ein Thema, an dem differenzierter gearbeitet werden könnte?

Beran: Klingt gut, halte ich aber für unrealistisch. Tatsache ist für mich, dass in den kommenden Jahren durch Automatisierung und Globalisierung noch wesentlich mehr Menschen ihre Jobs verlieren werden. Zu glauben, man könne alle auf Dienstleister, Berater oder Wissensarbeiter umschulen, ist schlicht eine Illusion. In Kombination mit der verfestigten Abwertung des Alters habe ich nicht sehr viel Optimismus für ein sich selbst verwirklichendes Paradies in dieser Gesellschaft, die sich in Schuldige und Unschuldige aufteilt, in der jeder gekränkt und mit ganz klaren Feindbildern ausgestattet ist.

STANDARD: Die Lösung?

Beran: Muss die Gesellschaft offenbar mühsam und schmerzvoll erarbeiten. Zweckdienlich wäre etwa die Frage: Was bleibt uns, wenn ich den Menschen herausschneide? (Karin Bauer, 22.1.2018)