"Islamischer Staat":Ein deutscher Dschihadist packt aus

"Islamischer Staat": Schwarze Fahnen der Gewalt: IS-Terroristen posieren auf dem Wrack eines abgestürzten Kampfjets der syrischen Luftwaffe nahe Raqqa (Aufnahme von 2014).

Schwarze Fahnen der Gewalt: IS-Terroristen posieren auf dem Wrack eines abgestürzten Kampfjets der syrischen Luftwaffe nahe Raqqa (Aufnahme von 2014).

(Foto: AP)
  • Nils D. war Teil des sogenannten Sturmtrupps, der Abteilung innere Sicherheit des Islamischen Staats.
  • In rund 40 Vernehmungen hat D. ausgepackt über die Deutschen im Dschihad.
  • D. sagt, er sei auf Empfehlung seines Cousins zum sogenannten Sturmtrupp des IS gekommen. Deutsche Ermittler nennen sie inoffiziell die "Gestapo des IS".

Von Lena Kampf, Hamburg

Wenn es nach Nils D. geht, dann klingt der Krieg in Syrien nicht viel interessanter als ein Schulausflug. "Halt so rumgefahren" sei er zunächst. Dann allerdings habe er Leute festgenommen und ins Foltergefängnis gebracht. "Die haben die Leute da an Stangen aufgehangen", fällt dem Rückkehrer ein.


 Sichtlich distanziert schilderte der 25-Jährige im vergangenen Dezember seine Version des furchtbaren Alltags im selbsternannten "Islamischen Staat". Er saß im Zeugenstand des Oberlandesgerichts in Düsseldorf.

Ein Konvertit aus Dinslaken ist D., Teil der berüchtigten "Lohberger Brigade", groß und kräftig, mit runder Brille und rötlichen Haaren. Er ist keiner von den Posterboys des Dschihad, sein Bild wurde nicht durch die Medien gereicht.

Kriegsparteien in Syrien und Irak

Doch als Zeuge tourte er schon durch die Republik, lange bevor ihm von kommender Woche an selbst der Prozess gemacht wird. Im November war er in Celle als Zeuge in einem IS-Prozess gegen Wolfsburger Islamisten geladen. In Düsseldorf sagt er gegen zwei Syrien-Rückkehrer aus. Die beiden Angeklagten schweigen. Anders als Nils D.

D. sagte zunächst die Unwahrheit

In rund 40 Vernehmungen hat D. ausgepackt über die Deutschen im Dschihad. Für die Sicherheitsbehörden ist er in den vergangenen Monaten zu einer überaus wichtigen Quelle geworden.

Die Ermittler tun sich oft schwer damit zu erfahren, was die Ausgereisten in Syrien und im Irak treiben, trotz belastender Bilder auf Facebook, trotz zahlreicher Whatsapp-Nachrichten an Freunde und Verwandte. In den Kriegsgebieten konkrete Straftaten aufzuklären ist bisweilen unmöglich, musste die bei Terrorismusverfahren zuständige Bundesanwaltschaft einräumen. Da ist einer wie D. für die Beamten ein Glücksfall.

Dabei sagte D., ausgereist im Oktober 2013, zunächst die Unwahrheit: Nach seiner Rückkehr im November 2014 behauptet er gegenüber der Polizei, lediglich in Istanbul gewesen zu sein, und bleibt auf freiem Fuß. Die Ermittler lauschen jedoch, als er einem Freund in seinem Auto von seiner Zeit beim Islamischen Staat berichtet, er prahlt, "direkt für den Emir" gearbeitet zu haben.

Foto mit Sprengstoffgürtel

Als er daraufhin im Januar 2015 festgenommen wird, verweigert er die Aussage. Nils D. schweigt, bis Ermittler Fotos von ihm finden. Auf einem trägt D. einen Sprengstoffgürtel. Auf einem anderen hält er einem gefesselten Gefangenen eine Pistole an den Hinterkopf.

In den Vernehmungsprotokollen, die der Süddeutschen Zeitung, WDR und NDR vorliegen, zeichnet Nils D. ein detailliertes Bild der Abläufe in den Gebieten der Terrororganisation. Hunderte Fotos legen ihm die Beamten des Bundeskriminalamts vor, er kreist IS-Lager auf Satellitenbildern ein, beschreibt den Treueschwur auf den Kalifen Al-Baghdadi, umreißt Regeln und Alltag der Islamisten.

D. belastet unter anderem Reda Seyam als wichtigsten deutschsprachigen Mann des IS: Der Deutsch-Ägypter sei der logistische Anführer. Auch die engen persönlichen Verflechtungen der deutschen und europäischen Dschihadisten-Szene schildert er: Mit einigen der späteren Paris-Attentäter haben Deutsche in der Kleinstadt Kafr Hamra in einer Villa zusammengelebt, sagt er. Einige der deutschen Dschihadisten haben laut D. in belgisch geführten Einheiten gekämpft. Damit wäre die Verbindung zwischen Belgiern und Deutschen deutlich enger als bisher bekannt. Als Belgier haben Ermittler in Frankreich inzwischen auch einen mutmaßlichen Komplizen der Attentäter von Paris identifiziert. Bei dem Terroristen, der sich in der am 18. November von der Polizei gestürmten Wohnung in Saint Denis in die Luft sprengte, handele es sich um Chakib Akrouh, 25, teilte die Staatsanwaltschaft am Donnerstag mit.

Über sich selbst erzählt Nils D. den Ermittlern die Geschichte einer klassischen Radikalisierung: Über seinen Cousin, den bekannten Islamisten Philipp Bergner, ist D., vorbestraft und Vater einer Tochter, nach Drogenproblemen und einer abgebrochenen Ausbildung zum Mechaniker zur "Lohberger Brigade" gekommen, einer Gruppe Islamisten, die sich im Dinslakener Stadtteil Lohberg radikalisiert hatten.

Er sei für die Betreuung zuständig gewesen

Von seinen deutschen Freunden trifft er viele in Syrien wieder, nicht zuletzt seinen Cousin Bergner, der in Propagandavideos deutsche Muslime zur Ausreise aufgefordert hatte und sich später im Irak bei einem Selbstmordattentat in die Luft sprengte. D. selbst will sich die ersten Monate "nur umgeschaut" haben, wie er im Prozess sagte, und sei dann zum sogenannten Sturmtrupp des IS gekommen, zuständig für das Aufspüren von Abweichlern. Deutsche Ermittler nennen sie inoffiziell die "Gestapo des IS".

Doch bei den etwa fünfzehn Festnahmen, an denen Nils D. nach eigener Aussage teilgenommen hat, will er immer im Auto gesessen haben. Er sei für die Betreuung der Verhafteten zuständig gewesen. In der Kleinstadt Mandbidsch arbeitete er mit seinen deutschen Freunden Mustafa K., Eniz A. und Marcel B. in einem IS-Gefängnis, habe dort geputzt und gekocht.

So "gering wie möglich" solle die Strafe ausfallen

Obwohl die Bundesanwaltschaft festhält, D. habe sich "über bereits bekannte Tathandlungen hinaus belastet", werten sie Teile seiner Aussage auch als Schutzbehauptungen. Aus Ermittlerkreisen heißt es, D. belaste kaum Leute aus der Szene in Deutschland, sondern überwiegend Dschihadisten in Syrien. Die Rolle von Schlüsselfiguren der nordrhein-westfälischen Islamistenszene, etwa Mustafa T., spiele er in seinen Aussagen herunter.

Als er im Gerichtssaal, im Dezember, gefragt wird, ob die Ermittlungsbehörden ihm im Gegenzug für seine Aussagen ein strafmilderndes Angebot gemacht hätten, verneint D. So "gering wie möglich", solle die Strafe ausfallen, sagt er und grinst.

Einen der Angeklagten im Düsseldorfer Prozess will er in Syrien gesehen haben. "Es war der Rechte", sagt D. und zeigt auf den Angeklagten Mustafa C., hinter der Hochsicherheitsscheibe, wo D. kommende Woche selbst Platz nehmen wird. Nils D.s eigenes Verfahren wird am 20. Januar eröffnet, ebenfalls vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf. Die Anklage lautet auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat.

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