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Superreiche 45 Deutsche besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung

Das Vermögen in Deutschland ist sehr ungleich verteilt, das sagen offizielle Statistiken. Nun hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung diese Statistiken ergänzt: Demnach ist die Ungleichheit weit extremer.

Das Treffen der globalen Staaten- und Konzernlenker in Davos ruft bei vielen Beobachtern eine Frage ins Bewusstsein: Wer profitiert auf lange Sicht von Wirtschaftswachstum und Unternehmensgewinnen - die ganze Gesellschaft oder nur einige wenige? Ein Teil der Antwort lässt sich daran ablesen, wie sich das gesamte Vermögen einer Gesellschaft auf die einzelnen Mitglieder verteilt.

Das Problem ist nur: So einfach lässt sich das nicht ermitteln. Es gibt zwar offizielle Daten, etwa vom Statistischen Bundesamt und seit ein paar Jahren auch von der Europäischen Zentralbank (EZB) für die Eurozone. Diese Daten weisen bereits eine extrem ungleiche Verteilung aus.

Aber in Wirklichkeit ist das Vermögen weit stärker konzentriert. Denn die Statistik hat einen blinden Fleck: Superreiche und ihr Vermögen werden systematisch unterschätzt. Einerseits, weil ihre Zahl so klein ist, dass sie in der Stichprobe nicht ausreichend erfasst werden. Andererseits, weil die Statistiken auf freiwilligen Befragungen basieren - und die Bereitschaft zur Teilnahme nachweislich sinkt, je reicher der Befragte ist.

Aber: Gerade für die Superreichen liegen relativ valide Schätzungen vor - in Form der sogenannten Reichenlisten, allen voran die des US-Magazins "Forbes". Zusätzlich gibt es für Deutschland die Reichenliste des manager magazin. Ein Team um den Steuerexperten Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat nun die Daten der EZB-Vermögenserhebung um die Angaben aus den Reichenlisten erweitert, und zwar für drei Eurostaaten: Deutschland, Frankreich und Spanien.

Das Ergebnis: In Deutschland besitzen die 45 reichsten Haushalte so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Beide Gruppen kamen im Jahr 2014 jeweils auf insgesamt 214 Milliarden Euro Vermögen. Folgende Grafik zeigt die Vermögensverteilung in Deutschland - blau eingefärbt sind die oberen zehn Prozent, rot eingefärbt die restlichen 90 Prozent.

Die jeweils am dunkelsten markierten Flächen stehen für die unteren 50 Prozent (rot) beziehungsweise die 45 reichsten Haushalte.

Die DIW-Forscher greifen auf einen Ansatz zurück, den die EZB selbst anregt, um ihre Vermögenserhebung zu korrigieren. (Eine ausführliche Beschreibung der Methodik und der Ergebnisse finden Sie in diesem DIW-Diskussionspapier in englischer Sprache .)

Im Vergleich zu den offiziellen EZB-Zahlen erhöht sich die Vermögensungleichheit in Deutschland dadurch drastisch: Die reichsten fünf Prozent besaßen demnach im Jahr 2014 mit 51,1 Prozent mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens - nach EZB-Zahlen besaß diese kleine Gruppe nur 31,5 Prozent.

Das oberste Prozent der deutschen Haushalte verfügt über ein Drittel des Vermögens (statt 23,6 Prozent), und das oberste Promille über 17,4 Prozent (statt 6,3 Prozent). Die reichsten 0,001 Prozent - das sind lediglich 400 Haushalte - besaßen demnach 4,7 Prozent, also doppelt so viel wie die etwa 20 Millionen Haushalte, die die ärmere Hälfte Deutschlands bilden. In der Grafik können Sie zusätzlich die absolute Höhe der jeweiligen Vermögen einblenden.

Damit ist das Vermögen in Deutschland auch im europäischen Vergleich besonders ungleich zugunsten der Superreichen verteilt. Das macht ein Blick auf Spanien und Frankreich deutlich. Die EZB-Daten weisen für beide Länder eine höhere Konzentration der Vermögen für die Superreichen aus. Doch nach der Erweiterung um die nationalen Reichenlisten ändert sich dieses Bild grundlegend: Zwar steigt wie in Deutschland der Anteil der Superreichen an den gesamten Vermögen des Landes - aber weit weniger stark als in Deutschland.

So besitzt den DIW-Berechnungen zufolge in Spanien die ärmere Hälfte der Bevölkerung immerhin knapp zwölf Prozent des Vermögens, in Frankreich noch mehr als sechs Prozent, in Deutschland sind es nur 2,3 Prozent. Die reichsten zehn Prozent der Haushalte besitzen dagegen in Frankreich und Spanien jeweils weniger als die Hälfte des Vermögens, während es in Deutschland annähernd zwei Drittel sind.

Die Vermögensverteilung in Deutschland ist also erheblich ungleicher, als die Statistiken ausweisen - und ungleicher als in großen europäischen Ländern. DIW-Forscher Bach weist allerdings darauf hin, dass die Auswirkungen dieser Ungleichheit in Deutschland womöglich weniger negativ sind als anderswo. Denn auf der Reichenliste des manager magazin finden sich vor allem Unternehmerfamilien, viele davon typische Vertreter des Mittelstands.

"Die gelten als Rückgrat der deutschen Wirtschaft, stärken den Wettbewerb mit den Großunternehmen, schaffen Arbeitsplätze in der Fläche und kümmern sich zumeist um ihre Leute und ihre Region", sagt Bach. Investitionen stemmen sie zudem oft nicht über Kredite, sondern aus eigenem Kapital. Das alles nutze unteren Einkommensgruppen - in Deutschland sei es also tatsächlich so, dass das Vermögen der Superreichen auch der Allgemeinheit zugute komme.

Und doch sieht auch Bach in der enormen Konzentration ein Problem: Gerade Unternehmerfamilien hätten in Deutschland großen Einfluss auf die Politik - durch direkten Zugang zur Kanzlerin und den Ministerpräsidenten und durch teure Anzeigenkampagnen. Die Folge: Nach wie vor sind die Privilegien für Reiche bei der Erbschaftsteuer riesig, eine Vermögensteuer gibt es nicht.

SPIEGEL TV: Deutsche und ihr Erbe - Reichtum verpflichtet

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