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Nobelpreisträger Pissarides "Trump nimmt den Armen und gibt den Reichen"

Donald Trump stellt sich gern als Anwalt der kleinen Leute dar. Doch seine Steuerreform erhöht die Ungleichheit, warnt Nobelpreisträger Pissarides in Davos. Für Deutschland hat er eine besondere Botschaft.
Obdachloser in U-Bahnstation in Washington (Archiv)

Obdachloser in U-Bahnstation in Washington (Archiv)

Foto: KEVIN LAMARQUE/ REUTERS

Wie sieht die Zukunft der Arbeit aus? Das ist seit Jahren eine der wichtigsten Fragen auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Christopher Pissarides hat dazu viel zu sagen, für seine Arbeit zu den Mechanismen auf Arbeitsmärkten erhielt der Ökonom 2010 zusammen mit zwei Kollegen den Wirtschaftsnobelpreis.

Auch die Zukunft Europas beschäftigt den 69-Jährigen. Als Zyprer kennt Pissarides einen der Schauplätze der Eurokrise, als langjähriger Professor an der London School of Economics warnte er vergeblich vor dem Brexit. Nach Davos reiste Pissarides als Vertreter des Europäischen Forschungsrats, über den die EU-Kommission Grundlagenforschung finanziert.

SPIEGEL ONLINE: Herr Pissarides, US-Präsident Donald Trump kommt nach Davos, und er hat eine große Steuerreform im Gepäck. Welche Auswirkungen wird sie haben?

Pissarides: Die Unternehmensteuern in den USA waren bislang hoch, gerade im Vergleich zu EU-Ländern wie Irland oder meiner Heimat Zypern. Das System musste überarbeitet werden. Aber wenn man solch eine Reform macht, muss man sichergehen, dass sie nicht die ärmeren Teile der Bevölkerung trifft und die Ungleichheit vergrößert. Ironischerweise hat Trump im Wahlkampf versprochen, Jobs für gering qualifizierte und arme Arbeiter zurückzuholen. Jetzt trifft er sie mit dieser Reform - weil sie auch durch die Kürzung von Sozialprogrammen finanziert werden dürfte. In gewisser Weise kann man sagen: Trump nimmt von den Armen und gibt den Reichen.

SPIEGEL ONLINE: Und sein Versprechen, Jobs zurückzuholen?

Pissarides: Das kann er nicht halten. Diese Arbeitsplätze sind nach China abgewandert, inzwischen gehen sie von dort weiter nach Indien. So etwas kann kein Politiker verhindern - es sei denn, er isoliert die heimische Wirtschaft vom Rest der Welt.

SPIEGEL ONLINE: Wird die Reform international einen neuen Steuerwettlauf auslösen?

Pissarides: Das bezweifle ich. Wir haben internationale Steuerstandards von Organisationen wie der OECD. Wenn es einen Wettlauf gibt, würde er in der EU ohnehin stattfinden, weil sie sich in Steuerfragen immer noch nicht organisiert hat. Aber vielleicht werden wegen der Reform noch ein paar weitere Konzerne beschließen, in den USA zu bleiben.

SPIEGEL ONLINE: In Davos sind viele Schlagworte zur Zukunft der Arbeit zu hören - von künstlicher Intelligenz bis zur Industrie 4.0. Welcher Trend ist aus ihrer Sicht am wichtigsten?

Pissarides: Ich denke, es wird Robotik sein. Roboter stehen seit 50 Jahren an Fließbändern, aber bislang sind sie am Boden fixiert und können nur ihre Arme bewegen. Mithilfe künstlicher Intelligenz können sie sich künftig frei bewegen - das wird der größte Wandel. Ich bin optimistisch, dass dabei die Vorteile überwiegen. Aber Regierungen müssen diese Entwicklung begleiten, damit dabei nicht Teile der Bevölkerung zurückfallen.

SPIEGEL ONLINE: Was halten Sie vom Konzept einer Robotersteuer, die Unternehmer auf ihre Maschinen zahlen müssten?

Pissarides: Das halte ich für albern. Zum einen würden Jobs dadurch einfach in andere Länder abwandern. Zum anderen ist es sehr schwer, die Leistung eines Menschen von der einer Maschine abzugrenzen. Man kann schwer sagen: Wenn etwas durch einen Ellbogen bewegt wird, ist es steuerfrei - aber nicht, wenn dieselbe Bewegung von einem mechanischen Gelenk kommt.

SPIEGEL ONLINE: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dürfte hier in Davos erneut für umfassende EU-Reformen werben, mit denen er die deutsche Regierung unter Druck setzt. Sie haben vor einiger Zeit kritisiert, Deutschlands Dominanz in Europa liege an Frankreichs Schwäche. Ändert sich das nun?

Pissarides: Ich habe nur die Dominanz der deutschen Wirtschaftspolitik kritisiert. Mit der Sparpolitik in der Eurokrise war ich nicht einverstanden - vor allem damit, wie die Entscheidungen dazu in der Eurogruppe getroffen wurden. Die hat nicht mal eine rechtliche Grundlage und wurde vom deutschen Finanzminister und ihrem niederländischen Vorsitzenden dominiert. Eine Gegenstimme wäre gut für Europa gewesen - und Frankreich ist dafür der offensichtlichste Kandidat.

SPIEGEL ONLINE: Was wäre aus Ihrer Sicht der wichtigste Reformschritt in der EU?

Pissarides: Der nächste ist zugleich der schwierigste: mehr Abstimmung in der Finanzpolitik. Nach heutigem Stand müsste Deutschland dadurch mehr bezahlen. Vielleicht ändert sich das ja in 20 Jahren - und Portugal überweist dann Geld nach Deutschland.

SPIEGEL ONLINE: Aber nach welchen Kriterien soll die Umverteilung stattfinden?

Pissarides: Eine Möglichkeit wäre eine gemeinsame europäische Arbeitslosenversicherung, die zumindest einen Teil der bisherigen Leistungen auf nationaler Ebene übernimmt. Eine andere Option wäre ein gemeinsamer Stabilitätsfonds, der in guten Zeiten mit Überschüssen gefüllt wird und mit dem EU-Länder in Krisenzeiten ihre Defizite finanzieren. Andere Länder haben so etwas schon - in Chile etwa gibt es einen Fonds, der mit Einnahmen aus dem Kupferexport geschaffen wurde.

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