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  3. Luther-Ausstellung Berlin DHM: Luthereffekt reichte bis Amerika

Kultur Der Luthereffekt

Wie fromme Deutsche Jesus zu den Indianern brachten

Feuilletonredakteur
Preffekt. 500 Jahre Protestantismus in der Welt". 12. April bis 5. November 2017, Deohann Valentin Haidt, Erstlingsbild, 1748 © Unitätsarchiv der Evangelischen Brüder-Unität, Herrnhut; Unitätsarchiv: GS 463 Preffekt. 500 Jahre Protestantismus in der Welt". 12. April bis 5. November 2017, Deohann Valentin Haidt, Erstlingsbild, 1748 © Unitätsarchiv der Evangelischen Brüder-Unität, Herrnhut; Unitätsarchiv: GS 463
Johann Valentin Haidts Bild von 1748 zeigt, wie sich die Herrnhuter die Mission vorstellten: In jedem Volk gab es von Gott ausgewählte "Erstlinge", die es zunächst zu bekehren galt
Quelle: © Unitätsarchiv der Evangelischen Brüder-Unität, Herrnhut; Unitätsarchiv: GS 463
Sie waren ein kleine Minderheit, die in Sachsen von der Amtskirche angefeindet wurde. Doch sie wollten die ganze Welt missionieren. Die seltsame Geschichte der Herrnhuter bei den Delaware-Indianern.

Bethlehem. Eine Stadt, in der ein neuer Glaube zur Welt kam. Also auch ein guter Name für eine Stadt, mit der ein Glaube in die Neue Welt kommt. Dachte sich Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, der geistliche Führer der Herrnhuter, einer in Sachsen gegründeten protestantischen Glaubensgemeinschaft, die in der ganzen Welt missionierte.

Deshalb taufte er den Flecken in der amerikanischen Wildnis des äußeren Pennsylvania am Weihnachtsabend 1741 auf den Namen des Geburtsorts Jesu Christi. Und weil die Herrnhuter eine Schwäche für sprechende Namen hatten – der Name ihres Gründungsorts setzt sich aus Herr und Hut zusammen –, nannten sie die Siedlung in der Nähe, in der sie die ersten zum christlichen Glauben bekehrten Indianer ansiedelten: Gnadenhütten.

In der Ausstellung „Der Luthereffekt“ über die internationale Wirkungsgeschichte des Protestantismus, die das Deutsche Historische Museum von der kommenden Woche an im Berliner Martin-Gropius-Bau zeigt, ist zu sehen, wie diese Mission in den Träumen und der Propaganda der Herrnhuter ablief. Ein Gemälde zeigt Zinzendorf und sein Gefolge, die von den Indianern etwas entgegennehmen, das wie ein Wampum aussieht. Ein Wampum war eine Kette aus Muschelperlen von spiritueller Bedeutung, die überreicht wurde, um Verträge zu beglaubigen – so wie man sie bei den Weißen besiegelte.

Herrnhuter bevorzugen das Wort Gemeine

Ein solches Wampum liegt nun in einer der Ausstellungsvitrinen. Es stammt aus dem Archiv in Herrnhut, in dem noch heute gesammelt wird, was die Missionare aus aller Welt nach Sachsen schickten, um zu bezeugen, wie gut ihre Bekehrungsarbeit nicht nur in Amerika, sondern auch in Afrika und Asien funktionierte. Vielleicht gehörte das Wampum tatsächlich Zinzendorf selbst, aber seine Herkunft ist nicht zu hundert Prozent sicher, wie der Kurator Philipp Steinkamp leicht bedauernd erklärt.

Die Herrnhuter, auch Brüdergemeine genannt (sie bevorzugen das altertümliche Wort Gemeine, statt Gemeinde), verbanden in ihrer Theologie Strömungen aus der böhmischen Reformation des Jan Hus, des Pietismus und des Calvinismus schweizerisch-französischer Prägung. Insofern sind sie ein programmatisches Beispiel in einer Ausstellung, die trotz ihres Titels zeigen soll, dass Luther die Reformationen (der Plural ist notwendig) eben nicht allein gemacht hat. Weltweit war er nicht einmal der wirkmächtigste Reformator. Das war Calvin, vom dem fast alle religiösen Bewegungen inspiriert waren, die die britischen Kolonien in Nordamerika prägten: Methodisten, Puritaner, Presbyterianer. Der deutsche Historiker Leopold von Ranke hat Calvin den eigentlichen Gründer der USA genannt. Andere Länder, an denen die globalen Wirkungen der Reformationen im Gropius-Bau exemplarisch gezeigt werden, sind Tansania, Schweden und Korea.

Drei Indianer werden von den Herrnhutern getauft. Bereits konvertierte Indianer sehen zu
Drei Indianer werden von den Herrnhutern getauft. Bereits konvertierte Indianer sehen zu
Quelle: © Deutsches Historisches Museum© Deutsches Historisches Museum

Zinzendorf war 1734 als lutherischer Theologe ordiniert worden. Seine religiöse Wiedergeburt außerhalb der evangelischen Orthodoxie verdankte er dem Pietismus, einer Erneuerungsbewegung, die auf Herzensglauben statt Buch- und Taufregisterglauben setzte. Doch während die Pietisten innerhalb des offiziellen Luthertums blieben, wurde Zinzendorf aus Sachsen verbannt, weil er in Widerspruch zur Amtskirche geriet. Das Gros seiner Gefolgsleute waren ohnehin aus Mähren vertriebene pazifistische Jünger des Reformators Jan Hus.

Solche Absolutheitsansprüche wie den der offiziellen Staatskirche in Sachsen gab es in Pennsylvania nicht. Die Kolonie hatte der reiche englische Quäker William Penn als Ort der Toleranz (zumindest unter allen christlichen Fraktionen) und als Zufluchtsstätte für religiöse Flüchtlinge aus Europa gegründet. Die Quäker wurden in England verfolgt, weil sie den Wehrdienst verweigerten. Zum Glück hatte König Karl II. von England Schulden bei Penns Vater. Als Ausgleich überließ er dem Sohn 1681 das Land an der noch kaum besiedelten amerikanischen Ostküste. Penn selbst nannte seine Quäkerkolonie „The Holy Experiment“.

Die dortige Atmosphäre religiösen Laissez-faires lockte auch die Herrnhuter nach Pennsylvania. Mit den Quäkern verband sie ohnehin vieles, beispielsweise die relative Gleichberechtigung der Frauen: In der Ausstellung ist Anna Nitschmann, die Geliebte und spätere Frau Zinzendorfs, im Gespräch mit Quäkerinnen zu sehen. Bei den Quäkern konnten Frauen sogar in religiösen Zusammenkünften das Wort erheben.

In Bethlehem, dessen spätere Geschichte von der Stahlindustrie geprägt wurde, zeugen von den Herrnhutern heute noch ein paar Bauten aus dem 18. Jahrhundert und ein minimalistischer Friedhof, der „God’s Acre“, auf dem kein Grab durch besonderen Prunk auffällt. Weiße, Schwarze und Indianer liegen hier beieinander – im Tode so gleich wie im lebendigen Glauben der Herrnhuter. Die Häuser der Herrnhuter waren mehrstöckige Holz- und Steinbauten. Kurator Steinkamp spricht von einer Art „Trabantenstadt“ im Urwald. Die Bauweise entsprach der gesellschaftlichen Praxis in Bethlehem: Man lebte in Gütergemeinschaft, nicht einem christlich-kommunistischen Ideal zuliebe, sondern weil sich so das Überleben abseits der europäischen Zivilisation am besten gewährleisten ließ.

David Zeisberger, der Apostel der Indianer

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Ums Überleben ging es auch den Indianern, die sich dem neuen Glauben aus Europa anschlossen. Alkoholismus, Krankheiten und Verdrängung durch weiße Siedler hatten die indigenen Delaware rund um Bethlehem zu Beginn des 18. Jahrhunderts in eine verzweifelte Situation gebracht. Von den Herrnhutern erhofften sie sich Schutz, und sie erhielten von ihnen Ackerland. Dafür wurde ihnen einiges abverlangt: Die Herrnhuter gaben sich nämlich nicht mit einer Taufe und einem gemurmelten Glaubensbekenntnis zufrieden, bei ihnen wurden Konvertiten oft lange theologisch betreut, bevor sie endlich am Abendmahl teilnehmen durften.

Gerade diese Intensität ist aber auch ein Grund für die Erfolge der Herrnhuter. Ein weiterer war die Fähigkeit, sich auf Sprache und Kultur der Indigenen einzulassen: David Zeisberger, den man mit einigem Recht „Apostel der Indianer“ nennt, weil er 62 Jahre lang bei ihnen missionierte, hat grundlegende Werke zu den Sprachen der Delaware und Ondonaga verfasst und religiöse Texte für sie übersetzt.

Auf diesem zeitgenössischen Gemälde tauscht Zinzendorf mit den Indianern ein Wampun aus
Auf diesem zeitgenössischen Gemälde tauscht Zinzendorf mit den Indianern ein Wampun aus
Quelle: © Deutsches Historisches Museum© Deutsches Historisches Museum

Hilfreich bei der Mission war natürlich auch die Tatsache, dass die Indianer wirklich als seelisch Ebenbürtige behandelt wurden. Das brachte die Gemeine allerdings in Konflikte mit anderen Weißen. Im vom Ottawa-Häuptling Pontiac angeführten Aufstand gegen die Briten 1763-66 war das westliche Pennsylvania einer der Hauptkampfplätze. Die Weißen rächten sich auch an friedlichen Indianern. Es kam zu regelrechten Pogromen. Das endete auch nicht, als Pennsylvania ein Staat der neugegründeten USA geworden war. 1782 wurden im sogenannten Gnadenhütten-Massaker 96 christliche Indianer von amerikanischen Soldaten der Pennsylvania-Miliz getötet.

Die Moravian Indians („mährische Indianer“ – nach der Urheimat der Brüdergemeine) und ihr spiritueller Führer Zeisberger flohen daraufhin immer weiter nach Westen. 574 ihrer Nachfahren leben noch heute in der dreizehn Quadratkilometer großen Reservation Moraviantown in Kanada. Es ist die letzte der Indianersiedlungen, die von den Herrnhutern gegründet wurden. Ein sehr ferner Luthereffekt am nördlichen Ufer des Erie-Sees.

„Der Luthereffekt“. Deutsches Historisches Museum im Martin-Gropius-Bau Berlin. Ab 9. April

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