Widerstand gegen das NS-Regime : „Ich weiß nicht, ob die heutige Generation so tapfer wäre“
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Klaus von Dohnanyi, geboren am 23. Juni 1928 in Hamburg, war von 1969 bis 1981 Mitglied des Deutschen Bundestags für die SPD, von 1972 bis 1974 Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und von 1981 bis 1988 Erster Bürgermeister von Hamburg. Das Foto zeigt ihn am Fenster seiner Wohnung, als der erste Herbststurm durch den Garten fegt. Bild: Henning Bode
Klaus von Dohnanyi im Interview über seinen Vater Hans, den Widerstand gegen das Nazi-Regime, politische Vorbilder und den Mut, sich gegen den Mainstream zu stellen.
Herr von Dohnanyi, welches sind die schönsten Erinnerungen, die Sie an Ihren Vater haben?
Das waren eigentlich immer die Ferien. Mein Vater war ein großer Bastler und konnte sehr gut zeichnen. Er hat uns dann wundervolle Dinge gemacht. Eine Burg, zum Beispiel, oder meiner Schwester eine Puppenküche, und wenn wir draußen waren und ein Bach war in der Nähe, haben wir zusammen Wassermühlen gebaut. Das waren die schönsten Stunden. Ich habe ihn ja eigentlich auch nur als Kind wirklich gekannt. Dann als Jugendlicher, im Krieg, hatte er wenig Zeit für uns. Später sah ich ihn nur noch bei kurzen Aufenthalten im Gefängnis. So fehlen die wichtigen Eindrücke, die ein Sohn von seinem Vater gewinnt, wenn er alt genug dafür ist. Wie gerne hätte ich später mit ihm auch als Erwachsener gesprochen! Das fehlt alles. So geht die Erinnerung immer zurück auf die Zeit der Kindheit.
Ihr Vater war im Widerstand gegen das NS-Regime aktiv, auch schon während er im Reichsjustizministerium, später im Widerstandszentrum im Amt Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht arbeitete. Wie drang die Politik in Ihr Leben ein als Junge im Berlin der dreißiger Jahre?
Wir haben als Kinder natürlich vom Widerstand nichts gewusst. Es wäre ja auch sehr leichtfertig gewesen, wenn Kinder so etwas erfahren hätten. Meine Mutter hingegen wusste alles, von Anfang an. Mein Vater hat dann schon kurz nach 1939 seinen Schwager Dietrich Bonhoeffer mit in die Abwehr gezogen und eng an den Planungen des Widerstands beteiligt. Sonst war er mit Verwandten sehr vorsichtig. Schließlich arbeitete er im Zentrum der Planungen des militärischen Widerstands. Wer Sprengstoff und den Zünder für eine Bombe organisiert, die dann getarnt in Hitlers Flugzeug gelangt, der kann darüber eigentlich mit niemandem reden. Außer mit seiner engsten Kameradin, seiner Frau, meiner Mutter.
Wie haben Sie sich als Kind ein Bild von dem gemacht, was um Sie herum passierte im Nazi-Deutschland?
Wir haben natürlich die Begeisterung über Hitlers Erfolge gespürt, aber nicht geteilt. Unsere Eltern haben immer versucht, uns um Jungvolk oder Hitlerjugend herumzumogeln. Jedes Mal, wenn wir umzogen, haben sie uns einfach nicht angemeldet. Irgendwann, Ende der dreißiger Jahre, war ich auch mal drin. Natürlich wussten wir, dass unsere Eltern nicht für die Partei waren und nicht für die Nazis. Meine Mutter hat meinen kleinen Bruder ja sogar auf den Arm genommen, auch als er schon viel zu schwer war, nur um den Hitlergruß zu vermeiden. Wenn andere Männer des Widerstands zu uns nach Hause kamen, waren sie für uns Kinder nur Gäste. Manchmal, bei Spaziergängen am Sonntag, sagte meine Mutter plötzlich: Kinder, geht mal vor! Das war dann vermutlich die Gelegenheit, im Wald sicherer reden zu können. Als mein Vater dann in Haft war, wussten wir natürlich, was das bedeutete.
Sie waren 14 Jahre alt, als Ihr Vater und zunächst auch Ihre Mutter verhaftet wurden. Wie haben Sie den Tag erlebt?
Ich hatte immer gerne im Garten gearbeitet, Gemüse angebaut und so weiter. Am 5. April 1943 kam ich aus einer benachbarten Gärtnerei und fuhr mit dem Fahrrad gerade in die Sackgasse, in der unser Haus lag. Da sah ich zwei große schwarze Limousinen vor der Wohnung und wie meine Mutter von Beamten der Gestapo in eines der Autos gebracht wurde. Mir war sofort klar, was da passiert war. Meine Geschwister waren zu Hause und hatten den Schock direkt miterlebt.