Flache Hierarchie

Es war eine Tagung zu einem Jubiläum von Bischof Stephan László in Eisenstadt. Joseph Ratzinger war der Hauptreferent. Auch ich hatte ein Referat zu halten. Beim Mittagessen hatte ich das Vergnügen, neben dem Kardinal zu sitzen. Es war mir ein willkommener Anlass jene Frage zu stellen, die mich damals sehr beschäftigte.

Heils- und Weltdienst

Die Glaubenskongregation hatte gerade betont, dass zwischen Heilsdienst und Weltdienst der Kirche zu unterscheiden sei, wobei die Priorität für die Ordinierten beim Heilsdienst, für die „Laien“ beim Weltdienst sein sollten. Ich habe diese Unterscheidung und Zuordnung theologisch nie verstanden. Denn worin soll der Dienst der Kirche in der Welt bestehen, wenn nicht am Heil der Welt? Und wie sollte die Kirche diesen Weltdienst machen, wenn sie nicht selbst heil ist? Heils- und Weltdienst sind für mich nur die zwei Seiten der einen Medaille.

Ich erzählte also dem Kardinal von meinen theologischen Ratlosigkeiten mit seinem Dokument und nannte ihm meine Argumente. Darauf überraschte er mich mit einer unerwarteten Antwort: „Dann versuchen Sie einfach das Verhältnis von Heils- und Weltdienst auf Ihre Weise zu klären!“ Was ich bis heute getreulich mache – und bis heute bin ich dem damaligen Kardinal für seine Ermutigung zu eigener theologischer Deutung dankbar.

Es gibt freilich auch heute noch Neuauflagen dieser unhaltbaren Trennung. So heißt es Handbuch der Diözese St. Pölten über die Aufgabe des Laienapostolats, „das Evangelium verstärkt in die Gesellschaft zu bringen“ (S. 12). Unterschieden wird zugleich zwischen einem „Apostolat der Hierarchie, das durch in der Diözese angestellte Laien verwirklicht wird, und dem Apostolat der Laien, das einen davon unterschiedenen Auftrag hat“. Ein merkwürdiger Satz, als ob die apostolische Aufgabe der Getauften vom Apostolat der „Hierarchie“ und der mit dieser arbeitenden „Laien“ nichts gemein hätte. Steht auch hier wieder im Hintergrund: Die in die Hierarchie implementierten Laien arbeiten am Heilsdienst der Ordinierten mit, während sich das „ordinäre“ Laienapostolat um den Weltdienst kümmern soll?

Zweierlei Laienapostolat

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Bemerkenswert sind auch die organisatorischen Hinweise: Das in die Hierarchie implementierte Laienapostolat (vermutlich gehört dazu vor allem der Dienst von Pastoralassistent:innen und Angestellten im Ordinariat) wird natürlich von der Diözese finanziert. Das übrige Laienapostolat muss selbst zusehen, wie es sich (also Verein?) organisiert und finanziert. Es fällt auf, dass im aktuellen Organigramm der Diözese die Katholische Aktion nicht (mehr) vorkommt. Es ist ausgeschlossen, dass man auf sie einfach vergessen hat. So kann man eine Katholische Aktion abwerten und loswerden! Die Mittel des Kirchenbeitrags werde man künftig nicht mehr für die Katholische Aktion verwenden, so die unausgesprochene Botschaft. Wenn es dann doch zu einer Finanzierung durch die Diözese kommt, dann über Projekte. Diese muss die Katholische Aktion bei der Diözese beantragen. Der Bischof befindet dann über deren Bewilligung und damit das benötigte Geld. Ein stabiles Budget ist nicht mehr vorgesehen.

Innerkirchliche „Selbstreferentialität“

Höchst irritierend ist die Anmerkung zur Projektvergabe: Zunächst wird wiederholt, dass das „gestärkte Laienapostolat“ dazu diene, „das Evangelium verstärkt in die Gesellschaft zu bringen“. „Ausdrückliches Ziel ist die ermächtigende Sendung in die Welt, die sich nicht nur auf diakonisches Tun beschränkt.“ Dann aber kommt: „Erklärtes Nichtziel ist die finanzielle Unterstützung von rein innerkirchlicher Selbstreferenzialität“. Es ist anzunehmen, dass die Diözesanleitung darüber bestimmt, ob etwas „selbstreferentiell“ ist, da sie ja über das Geld verfügt. Wie kann die Kirche etwas tun, was nicht „selbstreferentiell“ ist, also mit dem zusammenhängt, was sie vorbildlich lebt. Oder soll dieser schwammige Begriff, der alles und nichts bedeutet, dazu dienen, ekklesiologischen Vorlieben Tür und Tor zu öffnen und Wünsche nach Kirchenreform von Haus aus abzublocken? Der Einsatz der KA z.B. für eine Geschlechtergerechtigkeit (auch) in der Kirche kann dann schnell unter „selbstreferentiell“ fallen und einschlägige Projekte werden wohl nicht finanziert werden. Die Botschaft an die Laien(organisationen) ist verheerend: ‚Kümmert euch um alles, nur nicht um Eure Kirche und ihren Zustand. Das macht die „Hierarchie“ für Euch!‘

Flache Hierarchie

Das Begriffspaar „Apostolat von Laien in der Hierarchie“ und „Laienapostolat in Welt“ reizt zu theologischen Randanmerkungen zum Begriff „Hierarchie“. Dieser wird offenkundig in der Ekklesiologie und in der Organisationsentwicklung höchst unterschiedlich definiert. Theologisch bedeutet „Hierarchie“ seiner griechischen Herkunft gemäß nichts anderes als „heiligen (ιερή)“ „Ursprungs (ἀρχή)“. Hierarchisch ist die Kirche nicht durch ihre Leitungsdienste, sondern durch ihren Ursprung in Gott selbst. Von Über- und Unterordnung und von Machtstrukturen ist ekklesiologisch keine Rede.

Dennoch taucht im Handbuch für die Neuordnung der St. Pöltner Diözesanstrukturen das Wort Hierarchie profaniert auf. Und das im Sinn der Organisationskultur. Bei der Strukturreform herrsche, so das Handbuch (S.6) durchgehend das „Prinzip der flachen Hierarchie“. Dieses werde bei der Substrukturierung „angewendet und mit der Verstärkung der Führungsspanne der Leitungsverantwortlichen kombiniert“. Kryptischer geht es kaum. Damit ja nur keine spirituellen oder gar ekklesiologischen Gedanken aufkommen, wird weiter erklärt: „Der Dienstweg ist einzuhalten. Eine klare Zuständigkeits- und damit Entscheidungshierarchie wird gebildet (!).“

Nun ist eine Vereinfachung der kirchlichen Strukturen immer sinnvoll, wenn diese zu komplex und zu teuer sind. Das macht vor allem dann Sinn, wenn die bisherigen Strukturen mit Blick auf das gesetzte Ziel der Ortskirche gründlich und solid evaluiert worden sind.

Geht es um kürzeres Durchgriffsrecht?

Man kann das verführerische Wort der „flachen Hierarchie“ aber auch anderes einsetzen und damit seinem ursprünglichen Sinn entfremden. Es könnte sein, dass sie das Durchgriffsrecht des Bischofs ausweiten soll. Er braucht sich dann nicht mit so vielen aufmüpfigen und abpuffernden Zwischenverantwortlichen abplagen und kann schneller und leichter „durchgreifen“. „Flache Hierarchie“ bedeutet dann mehr Unmittelbarkeit der einzelnen Dienststellen zur diözesanen Zentralmacht und damit auch Abhängigkeit von dieser. Diese Abhängigkeit wird übrigens solange bleiben, als es keine synodalen Vorgänge zur Vergabe der Finanzen gibt. Macht und Geld sind derzeit in einer Hand: jener der Bischöfe – was nicht so sein muss, wie das Beispiel der Schweiz zeigt. Zwar gibt es bei uns Kontrollgremien, die ein Bischof einberufen kann – oder eben auch nicht, wenn er meint, dafür gute Gründe oder etwas zu verbergen zu haben.

Mit „flacher Hierarchie“ kann man also Zeit einsparen, aber auch den Dialog. Die Diözese bleibt in modernisierter Weise weiterhin kryptoklerikal, wird aber dadurch nicht synodal.

Das Organisationskapital Vertrauen

Aber vielleicht geht es in St. Pölten um etwas ganz Anderes: also gar nicht um Macht, sondern um Vertrauen; also nicht um die Organisation, sondern um eine Person. Ein Persönlichkeitsmerkmal des Bischofs könnte nachhaltig eine unbemerkte Rolle spielen. Der Bischof betreibt die Strukturreform in erstaunlicher Weise – bei allen Lippenbekenntnissen zur Partizipation – gelinde ausgedrückt eher dialogarm. Er vertraut mehr externen Beratern denn den Erfahrungen derer, die schon lange die Arbeit machen.

Orten Menschen, die mit Alois Schwarz als Person lange zusammengearbeitet haben, die wahre Ursache? Bischof Alois Schwarz, so erzählen sie begeistert, habe viele vorzügliche Begabungen für pastorale Begegnungen, kenne die Bibel, könne anschaulich predigen, sei kommunikativ. Er habe aber auch eine folgenschwere Schwäche: er könne nicht vertrauen. Sein bischöfliches Handeln schon in Gurk-Klagenfurt sei von tiefem Misstrauen gegenüber den meisten Mitarbeitenden geprägt gewesen. Das ging so weit, dass er geheim Mitarbeitenden verdeckt aushorchen ließ und sich Personen in seiner Umgebung „hielt“, deren Aufgabe das „Zutragen“ war. Von hier aus gesehen könnte das Prinzip der flachen Hierarchie letztlich im Versuch gründen, den Mitarbeitenden in der Diözese „nahezurücken“ und durch ein verstärktes Durchgriffs- und Kontrollrecht das eigene Misstrauen zu zähmen. Es wäre für die Organisationskultur der Diözese St. Pölten fatal, wenn am Ende durch die neue Substrukturierung das organisatorisch so wichtige Vertrauen verloren ginge: Und das in einer Gemeinschaft, die allein vom Vertrauen auf Gott und zueinander lebt.

Was es also zunächst brauchen würde, wären nicht geschliffene Substrukturierungsorganigramme, sondern vertrauensbildende Maßnahmen von allen Seiten. Ein Team in Köln hat dazu die IID-Methode vorgeschlagen. I bedeutet Identifikation (Beziehung), D meint Dominanz (die Sache, aber auch Konflikt wie die Vorgabe von extern entwickelter Strukturpläne). Wer in der Sache vorankommen will, muss zweimal so viel Zeit und Herzblut in die Beziehung investieren. Also zweimal miteinander feiern und Abendessen, und dann kann man vielleicht über die Sache verhandeln.

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5 Antworten zu Flache Hierarchie

  1. Dr Martin Fischmeister schreibt:

    Sehr geehrter Herr Professor,
    im Wesentlichen geht es darum, wie in Organisationen mit neuer Information umgegangen wird.
    Ron Westrum hat über dieses Thema gearbeitet und ein drei Kulturen Modell erarbeitet:
    “How Organizations process information:
    Pathological: power oriented:
    Low cooperation, messengers shot, responsibilities shirked, bridging discouraged, failure – skapegoating, novelty crushed
    Bureaucratic: rule oriented:
    Modest cooperation, messengers neglected, narrow responsibilities, bridging tolerated, failure – justice, novelty – problems
    Generative: performance oriented:
    high cooperation, messengers trained, risks shared, failure inquiry, novelty implemented”.
    Wir alle wollen in einer generativen Organisation arbeiten, was wir jedoch vorfinden ist im besten Fall bürokratisch, im üblichen Fall pathologisch, id est punitiv autoritär. Je weiter sich die Kirche von den Realitäten des Lebens entfernt, umso unglaubwürdiger und inkurabler werden ihre Strukturen.
    Pace e bene
    MF

  2. Brand, Hildegard schreibt:

    Ist das Ganze zynische Methode – das x-fache Überspringen von notwendigen Regeln für eine Logik in Plausibilitätskommunikationssituationen,
    der letzte akrobatische Versuch zur Rettung einer „Heiligen Herrschaft“ , wenn „arche“ auch mit „Herrschaft“ übersetzt werden kann? – damit um so besser ( „hilflos“ ? ) weiter geherrscht werden kann, weil kein Mensch mehr was versteht – wer , was wie….darf…, was möglich sein könnte…

    dann vielleicht auch „pathologisches Festhalten“ an irgendeiner Art von Herrschaft gegen alle zu beobachtenden vernünftigen Zeittendenzen mit ihren Emanzipationsbestrebungen von unten?
    Jedenfalls dreht sich wieder einmal beim Lesen dieses Beitrags mein Gehirn….

  3. Joseph schreibt:

    auf gewöhnlich deutsch heißt das:
    <>
    bedeutet das nun eine neue Heilslehre der Kirche ?
    oder eine Neu-Ausrichtung der „religiösen Informationsverarbeitung“ ?
    Oder nur eine neue „theoretische Herangehensweise an ein für die Kirche unlösbares Problem??

    Ein echter vorbildlicher Praktikant seines Glaubens, der Karl G. (er ruhe in Frieden) meinte immer, so wie er das in der damaligen KLJ gelernt hat: „mehr Beten miass ma, und den Leuten in oin a guats Beispü gebn“ ……
    Es warat oiso gaunz oanfoch — oba i muass zugebn, es ist in Wohrheit ganz schee schwa“.

  4. Ulrike Brustmann-Sieber schreibt:

    ……so wie ich Lumen Gentium verstanden habe: sind die Laien dem „Weltcharakter“ zwar meist näher (weil ihr Alltag meist eher in der Welt stattfindet), sie können aber sowohl in der Kirche als auch in der Welt tätig sein und darüber hinaus auch kirchlich angestellt (in die Hierarchie berufen) sein – die Amtspriester sind dem kirchlichen näher (weil ihr Alltag meist eher in der Kirche stattfindet). Die Amtspriester (eigentlich ein Dienstamt) bilden und leiten das Volk etc…- ein bisschen ein anderer Schwerpunkt halt, aber keine strenge Trennung von Welt und Kirche – Beide: allgemeines Priestertum (Laien) – Amtspriestertum sind aufeinander verwiesen. Die Laien sind durchaus selbstständig und KEINE Befehlsempfänger – also Aufgaben unterschiedlich, aber nicht hierarchisch gewertet. Laien sind also selbstständig, idealerweise handeln sie im Einklang mit der Leitung in einer Pfarre z.B……soweit so gut, wenn dieser Idealfall nur immer gelingen würde…………………Tja………..

  5. Ulrike Brustmann-Sieber schreibt:

    PS Zur Katholischen Aktion: Die Kath. ArbeitnehmerInnen Bewegung Österreich (ein Teil der Katholischen Aktion) habe ich sehr geschätzt. Schade, dass das die Diözese nicht auch so sieht,,,,,,,,,,,

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