Sonst verlieren wir den Kampf erneut – Seite 1

Der mächtige Boss der amerikanischen Transportgewerkschaft, Walter Reuther, erhielt am 13. August des Jahres 1949 einen seltsamen Brief. Der Absender war der damals wohl nur Fachleuten bekannte Universitätsprofessor Norbert Wiener. Der hatte im Zweiten Weltkrieg für das US-Militär bahnbrechende Erkenntnisse im Bereich der Regelkreissteuerung erarbeitet und somit die Grundlagen für die Automatisierung und Steuerung von Abläufen durch Maschinen entwickelt.

In seinem Brief schrieb er: "Meine Arbeiten werden früher oder später zu menschenleeren Fabriken führen und soziale Konsequenzen haben, für die ich nicht persönlich verantwortlich sein möchte". Es gebe nur zwei Möglichkeiten dieses Dilemma aufzulösen:  Man könne versuchen, seine Forschungsergebnisse zu unterdrücken – was er selbst aber als aussichtslos erachtete. Oder aber die Gewerkschaften bemächtigten sich dieser Technologie und würden damit eigene Industrien aufbauen, die im Dienste der Arbeiter agieren und für diese Einkommen generieren würden.

Eine Reaktion der Gewerkschaften blieb aber aus, obwohl sich Reuther und Wiener wenig später tatsächlich trafen. In den Jahrzehnten danach versuchten Gewerkschaften zwar, die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Technologieeinsätze in Unternehmen zu regulieren und dosieren. Diese Versuche aber, bemerkte der amerikanische Sozialwissenschaftler David Noble, waren selbst in progressiven und arbeitnehmerfreundlichen skandinavischen Ländern vergeblich. In letzter Instanz wollten und konnten auch Gewerkschaften nicht den Fortschritt verhindern – und damit auch das Projekt der Moderne, dem man schließlich verpflichtet war, in Abrede stellen.

Neue Technologien zu entwickeln war somit nie Teil eines demokratischen oder wirklich partizipatorischen Prozesses. Es entstand keine eigene Ethik des technologischen Fortschrittes, in der die Unternehmen Diskussionen über Werte, Verteilung und Teilhabe aus dem Weg gehen konnten: Die Frage etwa der gerechten Verteilung von Gütern konnte also aufgeschoben werden, indem man viele Güter produzierte. Die Idee, dass Ethik und Werte nicht wichtig waren, machte die neue Werte der Technologieentwicklung aus, wie der Historiker Lewis Mumford bereits in den 1930er Jahren beobachten konnte.

Schwer zugängliche Geheimnisse von Patenten gesichert

In der Regel entstanden die Skizzen der heutigen Fabriken aus den Erkenntnissen und Anforderungen der Militärs, die überall gleichartige Teile und gleichbleibende Qualität forderten. Management war so gesehen eine "schlechte Angewohnheit, die man vom Militär und der Kirche geerbt hatte", schrieb David Noble darüber. Diese Maschinerie konnte nur mit einem entsprechenden Top-down-Managementansatz funktionieren, der mit Eigeninitiative oder gar Kreativität der beteiligten Arbeiter nichts anfangen konnte und schon gar nicht mit irgendwelchen Belangen der Öffentlichkeit. Den Kern vieler Unternehmen bildete oft ein schwer zugängliches Geheimnis, meist durch ein Patent abgesichert, welches vor Nachahmern schützen und so die Interessen der Erfinder oder vielmehr der Unternehmung wahren sollte.

Joseph Schumpeter, oft als Vater des betriebswirtschaftlichen Innovationsgedankens gepriesen, erkannte bezeichnender Weise auch nicht, dass Innovation eher ein sozialer Prozess ist, an dem viele Menschen beteiligt sind. Bei Schumpeter ist es allein der Unternehmer, der diese Neukombinationen fast schon schurkengleich – dies war Schumpeters eigentlich betörende Idee – ersinnt und das ökonomische Gleichgewicht immer wieder stört und so den Fortschritt ermöglicht.

Opposition gegen dieses maschinistische Modell war selten und meist nicht erfolgreich. Aktionen wie zuletzt in den 1970er Jahren, als der Deutsche Gewerkschaftsbund versuchte, im Zuge der gerade beschlossenen Mitbestimmung die Entscheidungsfindung in Unternehmen zu demokratisieren, wurden dann auch als "politisch" und damit dem Wesen der Betriebswirtschaftslehre widersprechend abqualifiziert und scheiterten.

Partizipation ohne wirkliche Teilhabe

Mit dem Einzug der Sozialen Medien gab es zunächst Anlass für etwas Hoffnung. Es zeigte sich immer klarer, dass Unternehmen nicht mehr in der Lage waren, die notwendigen Innovationen alleine zu finden. Sie mussten immer öfter auf Ideengeber und Produzenten außerhalb ihrer Grenzen zurückgreifen. In "Open Innovation"-Prozessen wurden diese externen Produzenten der Crowd wichtiger für die Unternehmung und die Grenzen poröser. Nun war diese Öffnung allerdings nicht dazu gedacht, Demokratie zu fördern, sondern es ging darum, die richtigen "Fähigkeiten" zu finden und die Crowd für die Wertschöpfung zu nutzen. Nicht die Massen sollten Einfluss auf das Design der neuen Produkte und Technologien haben, sondern die richtigen Talente der "Microelite" mussten zum richtigen Zeitpunkt in die Wertschöpfung integriert werden. Partizipation sollte so gesehen die Motivation zur Mitwirkung erhöhen und nicht wirkliche Teilhabe ermöglichen.

Wenn nun die sozialen Medien zunächst die Selbstorganisation der Arbeitnehmer stärkten und diese "freien Produzenten" eigene Organisationen (Open Source) und Produkte (Linux, Wikipedia) außerhalb der kapitalistischen Verwertungslogik schufen, so spitzt sich jetzt die Machtfrage zusehends zu. Dies deshalb, weil die Automatisierung durch an riesige "Datenseen" angeschlossene lernende Maschinen zunimmt und sich Unternehmen zu Plattformen transformieren, in denen wir von Algorithmen gesteuerte Produzenten von Leistungen werden. Diese Plattformen und digitalen Technologien sind zudem kapitalintensiv und dies verhindert zunächst die Einflussnahme breiterer Kreise. Uber konnte nicht als Genossenschaft gegründet werden, weil diese kein Geld von Venture Capitalists bekommen hätte.

Gleichzeitig nahm und nimmt die Mächtigkeit dieser Erfindungen bzw. Technologien immer mehr zu, ohne dass wir noch Einblicke darin haben, wie die Algorithmen aussehen und welche Grundsätze beispielsweise in Robotern eingebaut werden. Erstaunlich ist aber vor allem, dass trotz der Artikulationsmöglichkeiten der Sozialen Medien die Idee, die Digitalisierungstechnologie einem gesellschaftlichen Diskurs oder gar  einer Teilhabe zu unterziehen, so abwegig zu sein scheint wie eh und je. Mumfords Beobachtung sind nach wie vor gültig. Daran haben auch Habermas' Ausführungen zur Deliberation, die Diskussionsprozesse in der Gesellschaft umschrieben, nichts geändert und die Vorstöße und Erkenntnisse von zuständigen nationalen Technikfolgeabschätzungsorganisationen sind oft nicht verzahnt mit den politischen Institutionen und führen so keine breitere Diskussion an.

Neue Technologien werden von traditionellen Unternehmen adaptiert und von emanzipatorischen Ansprüchen entsorgt

Daran hat auch die Möglichkeit, nun abseits der traditionellen Lernpfade Fähigkeiten aufzubauen, erst wenig geändert: Digitales Lernen wurde bislang zumeist nicht als eine Strategie betrachtet, Macht und Einfluss auf neue Technologien zu erlangen und diese auch selbst zu entwickeln, sondern gilt eher als eine Möglichkeit, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen, was die Kontroverse um den Begriff Edupunk gut darstellt: Emanzipiert sich das Individuum (der Edupunk nutzt frei verfügbares, digital abrufbares Wissen, um gemeinsam mit anderen Werte und Projekte zu schaffen), oder ist dies nur eine Strategie, um auf die immer erratischeren Karrierewege zu reagieren?

Auch neue Technologien wie etwa Blockchain, die zunächst entwickelt wurden, um sich dem Einfluss von Staat und Nationalbanken zu entziehen, werden nun wieder von traditionellen Unternehmen übernommen (Banken, Versicherungen), adaptiert und von emanzipatorischen Ansprüchen entsorgt.

Die Politik hält sich noch seltsam aus dieser Diskussion heraus. Allein auf der Ebene der EU beginnt man die Notwendigkeit von verbindlichen Regeln etwa zum Bau von Robotern zu erkennen, was aber noch nicht zu einer Art Partizipation oder Teilhabe an deren Entwicklung führen muss. Die Schaffung eines eigenen Sektors aber, so wie ihn Norbert Wiener vorschlug, der etwa Plattformen und Roboter auf Basis ethischer und arbeitnehmerfreundlicher Grundsätze als Designprinzipien entwickeln würde, scheint so fern wie in den 1950er Jahren.

Es braucht endlich staatliche Unterstützung

Ideen gäbe es ja: Wenn nun etwa Automobilhersteller – einige mit Staatsbeteiligungen und alle mit Gewerkschaften im Co-Management Modus – beabsichtigten, Mobilitätsplattformen zu bauen, die etwa auch die Autokäufer zu Produzenten bzw. Anbietern von Fahrleistungen machten, dann könnte man diese Uber-ähnlichen Dienstleiter ja auch partizipativer und demokratischer bauen. Die steuernden Algorithmen könnten offengelegt werden (oder zumindest durch Gewerkschaften zertifiziert werden). Es gibt hier bereits internationale Initiativen, die derartige demokratische Plattformmodelle entwickeln, sie werden aber noch zu wenig von staatliche Stellen unterstützt.

Was die Machtasymmetrien betrifft, könnte man auch neue Investitionsmöglichkeiten prüfen. Hier zeigt das Beispiel der Initial Coin Offerings, welche eine Kombination aus Börsengang und Crowdfunding darstellen und auf der Blockchain ablaufen, vielleicht neue Potenziale zur einer solchen Demokratisierung der Unternehmen auf.

Was die Maschinen und Roboter betrifft: Diese sind in der nächsten Zeit noch abhängig vom Menschen, der sie anleiten, trainieren, und bei Unsicherheit die Kontrolle übernehmen muss. Konzepte wie etwa Human in the Loop, welche die Einschränkungen der Künstlichen Intelligenz durch menschliche Interaktion kompensieren wollen, wären eine gute Möglichkeit, diese Intelligenzen gemäß ethischer und internationaler Standards zu beeinflussen. Zumindest noch in den nächsten Jahren, bis der Lernmechanismus die Maschinen ausgereift hat.

Möglichkeiten wären also vorhanden, die traditionellen politischen Akteure scheinen aber noch abzuwarten, da diese Strategie und Maßnahmen oft noch zu neu und deshalb risikoreich erscheinen. Bedenken, die die großen Technikkonzerne kaum haben werden.