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"Die Welt ist durch Trump gefährlicher geworden"

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Wilhelminismus im Weißen Haus: Trump zeigt sich gerne zusammen mit seinen Beratern, im Kreis seiner Kamarilla.
Wilhelminismus im Weißen Haus: Trump zeigt sich gerne zusammen mit seinen Beratern, im Kreis seiner Kamarilla. © rtr

Der Historiker Richard J. Evans spricht im Interview über die Konflikte der Supermächte vor 1914, über die "Kamarilla-Politik" eines Donald Trump sowie unsinnige historische Vergleiche.

Professor Evans, Sie haben ein Buch über die große Zeit Europas im 19. Jahrhundert geschrieben. Man kann allerdings nicht sagen, dass dieses Europa unbedingt ein großes Vorbild gewesen ist, oder?
Das 19. Jahrhundert war die Epoche der europäischen Herrschaft über die Welt. Vorher und nachher, also vor 1815 und nach 1914, gab es diese Hegemonie nicht. Es war das Zeitalter des Imperialismus, was mit Genozid und viel Gewalt in Afrika und Asien verbunden war. Auf der anderen Seite hatten die europäischen Mächte in den zehn, fünfzehn Jahren vor dem Ersten Weltkrieg begonnen, die Wirtschaft und Politik der kolonialen Gebiete zu entwickeln. Die Zeit Mitte der 1880er Jahre bis etwa zur Jahrhundertwende war eine Phase der Eroberungen. Auch die Jahre bis 1905/06 mit dem Herero-Aufstand in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika waren eine Zeit der Gewalt. Darauf folgte eine kurze Phase der Entwicklung, die durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen wurde.

Wurde Amerika schon als Konkurrent in Europa wahrgenommen?
Ja, um die Jahrhundertwende schon. Man muss hier nur an die technologischen Entwicklungen denken, etwa Aufzüge in den großen Hotels, Nähmaschinen, Flugzeuge, das kann man beliebig fortsetzen.

Aber die Supermacht dieser Zeit hieß Großbritannien.
Ja, Großbritannien war die Supermacht dieses Jahrhunderts. Das lag vor allem daran, dass es die Herrschaft über die Ozeane hatte. Es hatte die größte Kriegsflotte der Welt, was sogar gesetzlich vom Parlament vorgeschrieben war: Englands Flotte musste mehr als zweimal so groß sein wie die nächsten zwei Kriegsflotten in der Welt. Dadurch beherrschte Großbritannien den Welthandel. Und es hatte lange Zeit einen großen Vorsprung durch die Industrialisierung, es konnte mehr industrielle Güter produzieren und das schneller und billiger als andere Länder. Das hatte einen großen Einfluss auf die Entwicklung des Kontinents mit der Krise der Handwerker in Deutschland oder Frankreich in den 30er und 40er Jahren.

Gewalt spielte für Großbritannien als Kolonialherren eine entscheidende Rolle.
Im 19. Jahrhundert war es anders als im    18. oder 20., als die außereuropäischen Konflikte eine Rolle spielten. Im 19. Jahrhundert war es deshalb anders, weil Großbritannien keinen Konkurrenten hatte. Die Erfahrung der langjährigen Konflikte wie zum Beispiel die Napoleonischen Kriege führten dazu, dass alle europäischen Staaten daran mitwirkten, den Frieden zu erhalten, vor allem durch das Kongresssystem, das Europäische Konzert, die Konferenzen. Mit Ausnahme der Jahre 1848 bis 1871 gab es einen großen Willen, internationale Probleme durch Kooperationen der Staaten untereinander friedlich zu lösen. Das brach kurz vor dem Ersten Weltkrieg zusammen.

Kann man das System mit der heutigen Zeit vergleichen? Beide Zeitalter eint die Angst vor Terrorismus?
Terrorismus gab es im 19. Jahrhundert in der Tat, vor allem in Russland. Dann auch in den 90er Jahren bis zur Jahrhundertwende wurden viele europäische Staatsmänner durch Anarchisten ermordet. Es gab Versuche seitens der europäischen Regierungen, diesen Fällen des Terrorismus durch polizeiliche Kooperationen entgegenzuwirken. In den 20er und 30er Jahren des 19. Jahrhunderts war es mehr Angst als Realität, etwa vor Volksaufständen, die es auch gab. Die europäischen Mächte schickten Armeen nach Spanien oder Norditalien.

Angst führt oft zu staatlicher Repression.
Im späten 19. Jahrhundert gebrauchten die konservativen Regierungen die Angst vor den Anarchisten als Anlass, gegen die Sozialdemokraten, die an sich friedlich waren und auf Gewalt verzichteten, zu unterdrücken. In den 20er und 30er Jahren bis 1848 waren es Repressionsregimes, vor allem von Metternich in Wien gesteuert, um die demokratisch-revolutionären Bewegungen zu unterdrücken. Der Vorwand lautete, dass sie einen gewaltsamen Umsturzversuch planen würden. Es wurde im Laufe der Jahre eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Auch wir leben in der Gegenwart in einem Zeitalter der Unsicherheit. Wie stark verunsicherte die Doppelrevolution die Menschen?
Die Doppelrevolution war erstens die Industrielle Revolution und zweitens die Französische Revolution. Mit Hinblick auf Industrialisierung sollte man allerdings wissen, dass im 19. Jahrhundert die überwiegende Mehrheit der Bewohner auf dem Land lebte. Das war auch am Ende des Jahrhunderts nicht viel anders. Die Industrialisierung hat die sozialen Revolutionen erst in der zweiten Hälfte verwirklicht. Die Aristokratie verlor an sozialer und ökonomischer Macht und musste mit den Bürgern die Herrschaft teilen. Der Aufstieg der Industriearbeiter spielte eine zunehmend wichtigere Rolle bis zum Ersten Weltkrieg. Das waren sehr starke soziale und politische Änderungen, mehr in West- als in Mitteleuropa.

Laufen solche Prozesse mit Notwendigkeit ab oder sind sie zufällig?
Das ist die Frage, die alle Historiker beantworten müssen. Das ist sehr schwer zu sagen. Eine Mischung, würde ich sagen. In meinem Buch versuche ich, die großen Entwicklungslinien darzulegen, aber an einzelnen Beispielen, anhand normaler Männer und Frauen zu konkretisieren. Es ist ein Zwischenspiel zwischen Zufall und Notwendigkeit. Das ist für mich das Faszinierende an der Geschichtsschreibung.

Es gab ein System der Interventionen, es gab Stabilität, aber warum endete das alles in der Katastrophe von 1914?
Es gab wieder das Spiel zwischen Zufall und großen Linien. Wichtig war der Niedergang der britischen Herrschaft, der Aufstieg Deutschlands mit vagem aber vehementem Verlangen nach Weltgeltung. Der Niedergang des Osmanischen Reiches spielte auch ein entscheidende Rolle: Die Balkannationen suchten die Gelegenheit auszunutzen, mehr Land vom Osmanischen Reich zu erobern, was 1912 zu den Balkankriegen führte. Ich glaube, wenn der Erste Weltkrieg nicht durch den Mord an dem habsburgischen Erzherzog Franz Ferdinand entfesselt worden wäre, hätte es wahrscheinlich einen anderen Anlass gegeben. Man hatte eine unverantwortliche Gelassenheit gegenüber der Idee des Krieges. Es folgten die mechanisierten Massenermordungen des Ersten Weltkrieges, was ein Schock für die europäische Kultur bedeutete.

Die große Macht des 19. Jahrhundert, Großbritannien, war im Zerfall begriffen. Erinnert Sie das an die Gegenwart, die USA werden schwächer, andere steigen auf wie etwa China?
Man kann Vergleiche ziehen, natürlich. Wir sind gegenüber dem Krieg aber sehr viel vorsichtiger geworden. Sowohl wegen der Massentötungen des Ersten und Zweiten Weltkrieges, auch wegen der Atomwaffen. Ein großer Krieg heutzutage ist viel gefährlicher als früher. Wir fürchten den Krieg mit Recht. Es gibt nur wenige Politiker, die den Krieg als etwas Positives ansehen. Vor dem Ersten Weltkrieg war das jedoch der Fall. „Der Krieg, den wir alle wünschen“, sagte einer der Politiker von damals vor 1914.

Gibt es ein Vorbild für Donald Trump im 19. Jahrhundert? Bei Putin wurde immer der russische Zar Nikolaus II. genannt.
Als Parallelfigur ist an Kaiser Wilhelm II. zu denken. Pathologisch sehr instabil, mit der Gewohnheit, sich zu allem zu äußern, ohne vorher darüber nachzudenken, was er sagen soll. Er hatte eine feindliche Haltung gegenüber der Demokratie und der Presse. Er machte Politik nicht über die verfassungsmäßigen Institutionen, sondern mit einer kleinen Gruppe, einer Kamarilla. Trump scheint mit einer kleinen Gruppe von Verwandten und Freunden regieren zu wollen. Es gibt Parallelen.

Im Fall von Kaiser Wilhelm II. ging das nicht gut aus.
Nein. Und ich bin sehr besorgt über die Zukunft. Der Weltfrieden, das Pariser Abkommen über Klimaschutz, den Welthandel. Die Welt ist durch Trump gefährlicher geworden.

Ein Zufall, dass er das geschafft hat?
Nein, das kann man erklären. Das ist ein Aufstand der weißen Wähler in den USA, die glauben, dass sie vernachlässigt wurden und durch die Globalisierung nur Nachteile haben.

Sie haben wichtige Publikationen zum Dritten Reich veröffentlicht. Wenn sie Leute wie Steve Bannon sehen, erkennen Sie darin einen Typus des Nazis?
Es gibt große Unterschiede. Vor allen Dingen ist der Nationalsozialismus durch den Ersten Weltkrieg bedingt. Eine Erscheinung wie der Massenauftritt der bewaffneten Sturmabteilungen der NS auf der Straße wurde durch die auf den Ersten Weltkrieg zurückgehende Brutalisierung der Politik bedingt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird das nicht mehr toleriert. Das ist ein großer Unterschied. Auf der anderen Seite kann man sehen, dass die Gewalt des Staates zur Verfügung steht, wenn eine Regierung wie die von Trump und Bannon die Opposition unterdrücken will. Das kann sehr gefährlich werden.

Steht Trump für eine neue Form des Faschismus?
Es ist nicht sehr hilfreich, Begriffe wie Faschismus anzuwenden. Man sollte versuchen, die Dinge zu verstehen, wie sie sind, und nicht auf alte Begriffe zurückgreifen. Die Debatte, ob Trump und die Seinen Faschisten sind, ist reine Ablenkung, so etwas nützt nicht viel.

Interview: Michael Hesse

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