Corona - annus horribilis
9. – 14. März
Als ich am 5. März 2020 mit meinen Tagebuchaufzeichnungen begann, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass dieses Virus uns im März 2021 noch immer und mehr als damals in Atem hält.
Ich hatte den Plan, nach einem Jahr damit aufzuhören, darüber öffentlich zu reflektieren – aber es ist definitiv kein guter Zeitpunkt dafür. Denn derzeit zehrt alles drum herum besonders an den Nerven und ich spüre eine ganz ungewohnte Dünnhäutigkeit. Da ist es gut, mit ein wenig Abstand die Dinge Revue passieren zu lassen und mit anderen zu teilen.
Es ist eben so, dass es vor einem Jahr unvorstellbar war, wie sich unsere Welt durch dieses Virus verändern wird. Es klingt zwar lächerlich, aber als ich heute mit der Schnellbahn am Prater vorbeigefahren bin und das stillstehende Riesenrad und die statisch wie Baukräne in den Himmel ragenden Belustigungsattraktionen drum herum sah, war das für mich ein symbolisches Zeichen für die Freudlosigkeit unserer derzeitigen Lebenswelt. Es ist schon bezeichnend, wenn zu den wenigen positiven Dingen, die man so erlebt, ein negativer Corona-Test gehört.
Dennoch, trotz derzeit ungewöhnlicher Kälte, der Frühling und Ostern sind nicht mehr fern. Ich hoffe, unser Bundeskanzler hat heuer so viel Feingefühl, nicht wieder von der „Auferstehung“ zu sprechen, wenn er Lockerungen für unser soziales Leben ankündigt. Es schaut aber derzeit eh nicht danach aus, die Corona-Infektionen steigen und wir Alte warten noch immer auf die Impfung.
Spannend ist es schon, dass rund um den Weltfrauentag die Debatte um die gendergerechte Sprache angeheizt wird. Ja, man kann es nicht schön finden, mitten im Wort etwas groß zu schreiben – allerdings bei WhatsApp stört das niemanden. Sternchen, Doppelpunkt usw. sind ungewöhnliche Zeichen in einem Wort, aber weshalb die enorme Aufregung drum herum? Ist es doch nicht zu leugnen, dass man, wenn das sogenannte „generische Maskulinum“, also die männliche Bezeichnung für alle Geschlechter verwendet wird, männliche Assoziationen aufsteigen – bitte ausprobieren. Wer denkt beim Wort Manager an eine Frau? Oder wenn man von Politikern spricht? Also Frauen zu nennen hat schon einen gleichstellungsrelevanten Sinn. Seltsam ist auch, dass Armin Wolf einbekannte, dass er bei den Abendnachrichten am 8. März nur weibliche Formen benutzt hat – es ist niemandem aufgefallen. Sprache schafft Bewusstsein, aber Sprache ist nicht alles. Ich bin für einen entspannteren Umgang beim sprachlichen Gendern, aber für das gnadenlose Aufzeigen von geschlechterrelevanten Ungerechtigkeiten in allen Lebensbereichen.
Durch die Fixierung auf die Sprache wird der gesamtgesellschaftliche Backlash leicht aus den Augen verloren. Da tun sich in den digitalen Medien frauenverachtende Abgründe auf, die man sich vor kurzem noch nicht vorstellen konnte. In EU-Ländern wie z.B. Polen werden Errungenschaften, für die Frauen Jahrzehnte gekämpft haben, rückgängig gemacht, ohne dass es gröbere Reaktionen der anderen Länder gäbe. Die Türkei sistiert die UN- Istanbul-Konvention, die die Gewalt an Frauen verurteilt, das ist keine Reaktion unseres Außenministers wert. Mehr backlash geht nicht. Andererseits scheint es so zu sein, dass die diversen sprachlichen Sichtbarmachungen von Frauen nicht nur eingefleischte Machos empören, sondern auch Menschen, egal welchen Geschlechts, irritieren, die sich mit Veränderungen prinzipiell schwertun. Da nützt es nichts, ihnen zu sagen, dass wir schon lange nicht mehr die Schreibweise Goethes und Schillers verwenden, auf die sich Kulturtraditionalisten immer wieder beziehen, wenn sie frauengerechte Veränderungen ablehnen – wir können deren Sprache und Schrift wahrscheinlich kaum mehr lesen. Sprache ist lebendig und alles Lebendige verändert sich. Aber es schadet nicht, rücksichtsvoll mit all jenen umzugehen, die Frauen zwar nicht prinzipiell im öffentlichen Leben unsichtbar machen wollen, sich aber an überkommene Formen anhalten müssen, weil sie sonst leicht den Halt verlieren. Den Dogmatismus, der von der Einlösung einer gendergerechten Sprache das Heil erwartet, finde ich wenig hilfreich, wenn man Dinge grundsätzlich ändern möchte. Dabei läuft man Gefahr in individuellen Grabenkämpfen die Solidarität gerade jener zu verlieren, für die man sich besonders einsetzt. Denn Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt sind, fühlen sich brüskiert, wenn man sie auf Bildungsdefizite anspricht - und gender-sensible sprachliche Ausdrucksweise ist auch eine Frage des Zugangs zu Bildung. Ich habe dazu als Ergänzung zu Rassismus und Sexismus den Ausdruck „Klassismus“ gehört, also die Diskriminierung auf Grund der Klassenzugehörigkeit. Aber lassen wir doch die Kirche im Dorf. Ein achtsamer sprachlicher Umgang miteinander und vor allem mit Menschen, die eine lange Geschichte der Diskriminierung haben, ist Voraussetzung unserer Zivilisation, aber die Fixierung allein darauf, verlagert die Debatte um den gesamtgesellschaftlichen Wandel auf eine individuelle Betroffenheitsebene.
Zufällig schaltete ich am 12. März den Fernseher ein und erlebte einen skurrilen Auftritt unseres Bundeskanzlers. Er schwadronierte davon, dass Bulgarien weniger Impfstoff bekommen hätte und Malta so viel mehr und dass es da einen EU-Basar für Impfstoff gäbe, bei dem auch Österreich zu kurz gekommen sei. Er wolle aber weder die EU beschuldigen, noch den Gesundheitsminister, der sich außerdem gerade im Spital befindet – er wolle nur Transparenz. Die hätte er sich allerdings leicht besorgen können, wenn er die zuständigen Beamten kontaktiert hätte. Zurück bleibt: Kurz belastet das Gesundheitsministerium zu dem Zeitpunkt, wo der zuständige Minister krank und im Spital ist, er bläst eine unerfreuliche, aber unbedeutende Geschichte zu einem riesigen Ballon auf und schürt zusätzlich Unsicherheit der Bevölkerung und Vertrauensverlust in die politischen Akteure. Nur um die Relationen herzustellen, auch wenn Malta viel mehr Impfstoff bekommen hat, als ihm zusteht, so muss doch festgehalten werden, dass Malta gerade die Einwohnerzahl der drei Wiener Bezirke Favoriten, Floridsdorf und Donaustadt hat, das Mehr, das sie sich besorgt haben, also EU weit keinerlei Rolle spielt. Da macht uns unser Kanzler in Europa zur Lachnummer, nur um von den wirklichen Schwächen bei der Impfstrategie und vielleicht auch vom in seinem Umfeld sich abspielenden Skandal um die Maskenhersteller Hygiene Austria abzulenken. Hat da nicht ein Regierungschef mal die Impfungen zur „Chefsache“ erklärt? Chefsein schaut anders aus – von der Verantwortung eines Bundeskanzlers will ich da gar nicht reden.
15. – 20.3.
Hurra, ich habe einen Impftermin. Allerdings mit einem Wermutstropfen. Denn ich werde mit Astra Zeneca geimpft und dieser Impfstoff wird soeben in halb Europa wegen ev. Thrombosegefahr verboten. Ich finde es schade, dass gerade der Impfstoff, der an der Universität Oxford mit öffentlichen Geldern entwickelt wurde und nicht von einem Pharmariesen vertrieben wird, so in Verruf gerät. Irgendwann werden sich vielleicht die Schleier heben und wir werden erfahren, was da wirklich läuft. Eines steht allerdings fest, er kostet nur einen Bruchteil der anderen Impfstoffe.
Interessant war auch, dass ich zu meiner Überraschung einen Termin für die zweite Impfung im Juni per SMS zugesandt bekam, ohne einen ersten Termin zu haben. Später kam dann allerdings auch die Information über den 1. Impftermin im März. Im Gespräch mit Freunden stellte sich heraus, dass es bei ihnen auch so war – da dürfte wiedermal der digitale Fehlerteufel zugeschlagen haben.
Ich hoffe, dass mit den letzten nicht sehr vertrauenserweckenden Erfahrungen, der Wunderglaube in die Digitalisierung ein wenig realistischer geworden ist. Es hängt immer noch von den Menschen ab, wie und was programmiert wird. Manchmal, wenn ich mir öffentliche homepages anschaue, habe ich das Gefühl, das gestalten ein paar Nerds, die wenig Kontakt dazu haben, wie Menschen, die vorwiegend in der realen Welt leben, einen Computer nutzen und was sie brauchen, um damit gut kommunizieren zu können.
Es wäre so schön gewesen, wenn ich bei der vielen Zeit, die ich in der Leitung von 1450 gehangen bin, weil mein Mann eine Impfung zu Hause braucht und die homepage des Impfservices diesbezüglich nicht klar war, mit kompetenten Menschen hätte sprechen können und nicht mit überforderten Call-Center-Bediensteten, die sich selber nicht auskannten. Woher auch? In dieser Zeit ist meine Gastritis, die ich jahrzehntelang nicht mehr gespürt habe, wieder zum Leben erwacht. Kollateralschaden der schönen neuen digitalen Welt.
Trotz der Horrormeldungen bezüglich Thrombosen eventuell ausgelöst durch die Impfung mit Astra Zeneca und obwohl halb Europa panikartig die Impfungen damit ausgesetzt hat, habe ich mich am Dienstag den 16.3. impfen lassen. Allerdings war ich dabei fast nur von jüngeren Impfwilligen umgeben. Aber ich vertraue da erstens auf meinen guten Allgemeinzustand und darauf, dass es eigentlich nichts ohne eventuelle Nebenwirkungen gibt.
Ärgerlich ist nur, dass mit Hilfe der Ärztekammer alle Ärzte mit dem Biontec Impfstoff geimpft wurden, das ihnen untergeordnete Gesundheitspersonal allerdings mit Astra Zeneca – ein schönes Bild der Hierarchisierung des Gesundheitswesens.
21. – 25. März
Es ist ein wirklich erleichtertes Gefühl, geimpft zu sein. Die Gefährdung, der wir ausgesetzt waren, weil Fawad ja bei uns wohnt und als Angestellter von Penny mit so vielen Leuten zusammenkommt, habe ich mir jetzt im Nachhinein erst einzugestehen getraut.
Aber die gemeinsamen Tage mit Fawad gehen sowieso zu Ende. Nach einem Jahr vergeblichen Bemühungen, ist es jetzt überraschend doch so weit – seine Frau hat eine Ausreiseerlaubnis bekommen. Sie werden gemeinsam in eine kleine Wohnung ziehen, die eben frei wurde, weil der Mietvertrag mit unserem zweiten Schützling, einem junger Syrer, gerade ausläuft. Dieser junge Mann, eigentlich Informatiker ohne gültigen Abschluss, hat sich vom Pizza-Fahrer zum Geschäftsführer seiner Firma hinaufgearbeitet.
Damit geht wieder ein wichtiger Lebensabschnitt zu Ende. Wir werden Fawads Fröhlichkeit und Hilfsbereitschaft vermissen. Ich glaube, wir haben viel voneinander gelernt. Andererseits freue ich mich darauf, wieder mal am Sonntag ein Schweinsschnitzel essen zu können.
Zum Frühlingsbeginn ist es richtig kalt geworden – es liegt Schnee. Ich schneide die Knospenzweige im Garten für den Osterbaum, damit es wenigstens indoor blüht.
Meine täglichen ergebnislosen Versuche, für meinen Mann eine Impfung zu Hause zu bekommen, sind in einem Wutanfall gegenüber einem völlig ahnungslosen und an der Materie auch schuldlosen Call-Center Mitarbeiter von 1450 gemündet. Daraus habe ich die Konsequenzen gezogen und die Patienten-Anwaltschaft informiert. Für die sind unsere Probleme allerdings alltägliche Erfahrung. Aber es ist wenig tröstlich, dass mein Mann als über 80 jähriger Risikopatient nicht das einzige Opfer eines völlig desolaten Impfservices der Gemeinde Wien ist. Verschärft wird die Situation noch dadurch, dass unsere beiden 24-Stunden-Betreuerinnen aus Ländern kommen, wo die Pandemie noch mehr wütet, als bei uns und wo die öffentliche Versorgung noch schlechter organisiert ist. Lt. Auskunft haben sie allerdings noch keinen Anspruch auf Impfung. Ich frage mich, was das Gesundheitspersonal in einem Krankenhaus von ebendiesem in privaten Haushalten unterscheidet – dass sie nicht öffentlich, sondern von uns privat bezahlt werden? Die Frauen werden zwar bevor sie kommen, zu Hause getestet – aber das ist ja, wie wir alle wissen, nur eine Momentaufnahme. Sie kommen dann mit Chauffeur und anderen Frauen stundenlang in Kleinbussen sitzend, hier bei uns an. An der Grenze werden sie nicht kontrolliert. Da schaut man sichtlich lieber weg, sonst würde das Betreuungssystem kollabieren. Uns bleibt nur über, sie zu bitten, sich in den ersten Tagen hier bei uns zumindest mit Schnelltests abzusichern.
In unserem Haus wird die Wasserzufuhr erneuert. Mir ist gar nicht gleich aufgefallen, dass Bauaufsicht und Arbeiter ohne Masken ins Haus kamen und nicht nur uns gegenüber, sondern auch untereinander sichtlich keinerlei Schutzmaßnahmen üblich sind. Ich habe dann gebeten, eine Maske zu nehmen, das hat der Vorarbeiter dann getan, aber seine Leute haben nicht reagiert und ich hab mich dann eben entfernt. Ich bin schon lange der Überzeugung, dass im Bereich der Arbeitswelt die meisten Ansteckungen passieren, aber das will sich niemand anschauen – Wirtschaftskammer nicht und anscheinend auch nicht die Gewerkschaft.
Wer hätte das gedacht? Von Kirchtürmen wehen Regenbogenfahnen! Das päpstliche Schreiben, das die Segnung homosexueller Paare verbietet, hat zu einem Aufstand sogar bei vielen Klerikern geführt. Da ist schon was in Bewegung gekommen. Aber haben die Herren in Rom in diesen verseuchten Zeiten keine anderen Sorgen, als sich in das Sexualleben der Menschen einzumischen? Sie haben die Macht über deren Seelen und Körper Gott sei Dank schon lange verloren und kaum jemand tanzt mehr nach ihrer Sexualmoral-Pfeife, aber sie können es nicht lassen, ihre verkorksten Ansichten anderen aufdrängen zu wollen. Glücklich sind in diesen ermüdenden Tagen alle, die in guten Beziehungen leben und gute Freundinnen und Freunde haben, egal wie ihre sexuelle Orientierung ist. Das sollten auch die Herren in der Kirche verstehen, sonst ist ihre Spiritualität nichts anderes als eine leblose Floskel. Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit, dass sich Seelsorger den wirklichen Sorgen und Ängsten, Freuden und Hoffnungen der Menschen widmen?
Trotz allem – das Leben ist stärker - bald ist Ostern!
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.