Himmelhoch

Fotos und Texte von KLAUS DIETER BÄTZ

23.12.2017 · Der Zauber romanischer, gotischer und barocker Kirchen ist schwer zu erfassen. Unser Fotograf hat ihn gebannt. In seinen phantastischen vertikalen Panoramen sehen wir Gottes Häuser endlich ganz.

Freystadt, Kreis Neumarkt, Oberpfalz: Wallfahrtskirche Maria Hilf

V or dem nördlichen Stadttor steht die Wallfahrtskirche mit der mächtigen Kuppel, eingefasst von vier Türmen, gekrönt von einer goldenen Madonna. Den Grundstein dafür legte 1710 Ferdinand Lorenz Graf von Tilly. Geplant hat die Kirche Antonio Viscardi. Er brachte die Kunst des barocken Zentralbaus aus Italien nach Bayern und führte sie dort zu ihrer letzten großen Blüte. Acht Korinthische Säulen gliedern den kreisförmigen Zentralraum, lenken den Blick in die Kuppel mit den Fresken von Hans-Georg Asam. Der Stuckateur Pietro Francesco Appiani wirkte als „Dekorateur“. Viscardi, Appiani und Asam schufen noch weitere Kirchen, zum Beispiel in Fürstenfeldbruck und Regensburg. Freystadt aber soll sogar Vorbild gewesen sein für die Dresdner Frauenkirche.


Altenberg, Gemeinde Odenthal, Rheinisch-Bergischer Kreis: Altenberger Dom

W ie beim nahen Kölner Dom, so orientiert sich auch die Architektur des Altenberger Doms an der Kathedrale von Amiens. Aber wo Köln französische Entwicklungen zu übertreffen suchte, taten die Zisterzienser das Gegenteil: Sie übersetzten Amiens für ihre Klosterkirche in bescheidene Sprache: „Das Maßwerk ihres Doms ist einfacher“, schreibt Louis Grodecki im Band „Gotik“ der „Weltgeschichte der Architektur“. „Strebepfeiler und -bögen sind völlig schmucklos und auf ihre reine Funktion reduziert. Der Innenraum bietet sich als majestätische, klar durchlichtete Einheit, deren Helle von den Wänden und Pfeilern zurückgeworfen wird. Entsprechend der zisterziensischen Idee ist hier jeder Überschwang vermieden. Damit kehrt Altenberg die Gotik in eine Richtung um, die den großen französischen Kathedralen entgegengesetzt verläuft.“


Fritzlar, Schwalm-Eder-Kreis: Stadtpfarrkirche St. Peter

D ie ehemalige Kloster- und Stiftskirche ist auch als Fritzlarer Dom bekannt. Kirche und Kloster wurden um 732 von Bonifatius gegründet und bildeten die Keimzelle der Stadt. Die unteren Teile des heutigen Stiftschors sind von dem Bau erhalten, der 1078 durch Feuer zerstört wurde, und deuten auf eine einschiffige Kirche. Wie die Stilformen zeigen, stammen von der um 1100 errichteten Basilika weitgehend der heutige Grundriss, die Querschiffmauern, die Krypta und die vier unteren Turmgeschosse. Überwölbt wurde die zunächst flachgedeckte Kirche mit Kreuzrippengewölben im frühen 13. Jahrhundert. Seither wurde der Bau nicht grundlegend umgestaltet. Nach 1253 kam die Vorhalle im spätromanisch-frühgotischen Übergangsstil hinzu, und Ende des 13. Jahrhunderts wurde das südliche romanische Seitenschiff von einem doppelten gotischen ersetzt.


Knechtsteden, Stadt Dormagen: Klosterbasilika St. Andreas

D ie Klosterkirche der 1130 gestifteten Prämonstratenserabtei wurde in zwei Bauabschnitten (1138-1151/1151-1181) im romanischen Stil als dreischiffige, doppelchörige Gewölbebasilika mit Säulen und Pfeilern im Rheinischen Stützenwechsel errichtet. Während der Ostchor den Mönchen vorbehalten blieb, diente der Westchor der Gemeinde. Im Verlauf der „Neusser Fehde“ (1474-1477) wurde die Ostapsis so schwer beschädigt, dass Abt Ludger einen neuen Ostchor im gotischen Stil errichten ließ. Der Westchor ist in seiner ursprünglichen Form erhalten – einschließlich des 1160 vollendeten Freskos; es zeigt Christus, umgeben von Evangelisten und Aposteln. Bemerkenswert sind die reich verzierten Würfelkapitelle im Ostteil der Kirche.


Saint-Germer-de-Fly, Departement Oise: Abbaye de Saint-Germer-de-Fly - Chapelle de la Vierge

I m Jahr 655 gründete der später heiliggesprochene Germer, ein Verwandter des Merowinger-Frankenkönigs Chlothar II., beim Flecken Fly – westlich der Bischofsstadt Beauvais – eine Benediktinerabtei. Die heutige Abteikirche entstand 1135 bis 1206 in spätromanisch-frühgotischem Übergangsstil. Hinzu kam zwischen 1259 und 1270 in Verlängerung der Chorachse die Marienkapelle in Hochgotik reinster Ausprägung (nach ihrem Vorbild in Paris „Sainte chapelle“ genannt). Das Mauerwerk ist aufs Minimum beschränkt, um die Flächen der maßwerkgeschmückten Spitzbogenfenster so groß wie möglich zu machen, die für gläubige Christenseelen gleichsam die durchlässige Membran sind zwischen irdischem Dasein und himmlischem Jerusalem. Das Emporstreben zum Gewölbe-Himmel soll nicht aufgehalten werden. Daher sind die Kapitelle der schlanken Bündelpfeiler sehr klein gehalten – ein „Crystal Palace“ in Stein mit überwältigendem Innenraum.


Sens, Departement Yonne: Cathédrale Saint-Étienne

D rei befreundete Kleriker brachten die Gotik auf den Spielplan der Kunstgeschichte: Bischof Heinrich von Sens, Bischof Gottfried von Chartres und Abt Suger von Saint-Denis setzten die ersten drei frühgotischen Kirchen ins Werk: die Kathedrale von Sens, den Vorgängerbau der Kathedrale von Chartres und die Abteikirche von Saint-Denis. In Sens ist die ganze Gotik vereint. Es ist die erste gotische Kathedrale überhaupt. Baubeginn war 1135, mit der Fertigstellung des Chors im Jahr 1163 wurde sie geweiht. Sens war ursprünglich eine dreischiffige Basilika ohne Querschiff. Das heutige Querhaus, vom frühen 14. bis zum frühen 16. Jahrhundert errichtet, schlägt den Bogen vom Anfang zum Ende der Gotik – als solch enorme Maßwerkfenster möglich geworden waren.


Bad Königshofen im Grabfeld, Unterfranken: Katholische Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt

N ach dem „Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler“ von Georg Dehio ist dieser 1442 bis 1502 errichtete Bau eine „Hallenkirche von bemerkenswert hoher Qualität“. Nach den Worten meines Kunstlehrers Hugo Hußla in unserer ersten Kunstgeschichtsstunde im Gymnasium (September 1963) hat sie „eines der schönsten gotischen Netzrippengewölbe überhaupt“. So ist es nur logisch, dass der erste 180-Grad-Über-Blick vor acht Jahren in dieser Kirche aufgenommen wurde. Versuchsaufnahmen mit neuem Equipment waren und sind immer willkommener Anlass, nach Bad Königshofen zu fahren. Eine Besonderheit der Kirche ist die um 1520 nachträglich eingebaute Orgelempore. Dehio nannte sie „ein Bravourstück spätgotischer Steinmetzkunst“.


Arnstadt, Ilmkreis: Liebfrauenkirche

N ach dem Dom von Naumburg sei es der bedeutendste Bau Thüringens aus dem 13. Jahrhundert, schreibt Georg Dehio, „sehr lehrreich für das Eindringen des neuen, westlichen Formengeistes“. Die Kirche zerfällt in zwei Teile, nämlich das spätromanische Langhaus und das Querhaus mit dem ebenso breiten Chor, die rein gotische Formen aufweisen. Querschiff und Chor wurden laut Dehio etwa Ende des 13. Jahrhunderts geplant und begonnen. „Sie erstreben mächtigere Raumentwicklung, ohne jedoch zu den älteren Bauteilen (wie so oft!) in auffallende Disharmonie zu treten.“ Ihre großen gotischen Maßwerkfenster lassen mehr Tageslicht hinein, im Kontrast zum Hauptschiff. Zur Raumwirkung trägt die am südwestlichen Vierungspfeiler angebaute Renaissancekanzel („getragen“ von Moses) bei. Die Holzfigur der Muttergottes, um 1420, hält Dehio für die bedeutendste der „Schönen Madonnen" in Thüringen.


Vézelay, Departement Yonne: Basilique Sainte-Marie-Madeleine

D ie Abtei von Vézelay, 864 gegründet, wurde im elften Jahrhundert zum bedeutenden Wallfahrtsort. Das führte 1096 zum Baubeginn der Kirche St. Maria Magdalena. Im charakteristischen Langhaus mit zweigeschossiger Wandgliederung sowie in der großen Vorhalle finden sich mehr als 100 kunstvoll gearbeitete Figurenkapitelle; dafür ist die Kirche ebenso berühmt wie fürs figurenreiche Haupt-Westportal. Die wichtigste Veränderung erfuhr die Kirche nach dem Einsturz des ursprünglichen romanischen Chors: Von 1185 bis 1190 wurde ein Querschiff mit anschließendem Chor (samt Kapellenkranz) im frühgotischen Stil errichtet. Kloster und Kirche verfielen seit dem 13. Jahrhundert. 1840 begann Eugène Viollet-le-Duc mit der Restaurierung der Klosterkirche.


Saint-Florentin, Departement Yonne: Église Saint-Florentin

D iese Kirche ist ein beredtes Beispiel dafür, dass die gotische Ausdrucksweise in der französischen Sakralarchitektur viel langlebiger war als etwa in Italien, wo zur Entstehungszeit von Saint-Florentin im 16./17. Jahrhundert die Renaissance schon lange profane wie kirchliche Bauten prägte. Doch trotz der gotischen Formen ist etwa der – in französischen Pfarrkirchen seltene – Lettner ebenso ein Produkt der Renaissance wie der Hauptaltar mit seinen imposanten Reiterstatuen der Heiligen Florentin und Martin sowie viele weitere Bildhauerwerke des 16. Jahrhunderts. Wunderbar sind die 24 großen Buntglasfenster aus der Schule von Troyes, mit Themenfenstern unter anderem zur Schöpfungsgeschichte, zur Unbefleckten Empfängnis und zur Apokalypse.


Ebrach, Kreis Bamberg: Ehemalige Kloster-, heutige Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt

W er diese äußerlich frühgotische Kirche erstmals und unvorbereitet betritt, erlebt eine Art „Barock-Schock“. Die Kirche, die 1282 vollendet wurde, ist laut Dehio „trotz der langen Bauzeit völlig einheitlich im Plan und nahezu einheitlich in den Stilformen“. Erst Abt Wilhelm Roßhirt (1773-91) ließ durch Materno Bossi den ganzen Innenbau neu dekorieren, im Stil von Louis XVI. Dehio führte das zu dem Urteil, der großartigste frühgotische Bau, den Deutschland hervorgebracht habe, „wurde dadurch, wo nicht materiell, so doch ästhetisch vernichtet“. Immerhin sei Bossi zu danken, dass er nicht ganz so rücksichtslos verfuhr wie andere Barockmeister: „Er ließ das neue Gewand sich eng an den alten Gliederbau anschmiegen, so dass man den kühnen und strengen Rhythmus desselben noch immer herausfühlt.“