Die Regenbogenschlange schwimmt nicht mehr

Die McArthur River Mine von Glencore ist eine der grössten Zinkminen der Welt. Unter der lokalen Bevölkerung, fast alles Aborigines, ist sie sehr umstritten. Eine Reportage.

Patrick Zoll, Borroloola
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Mitglieder des Gudanji-Stammes leben im Weiler Devil Springs in Minennähe. Viele von ihnen sind Analphabeten. (Bild: Patrick Zoll)

Mitglieder des Gudanji-Stammes leben im Weiler Devil Springs in Minennähe. Viele von ihnen sind Analphabeten. (Bild: Patrick Zoll)

Auf einmal beginnt Jack Green zu singen. Für Aussenstehende ist sein wenig melodiöses Lied fremd und unergründlich. Jack zeigt dabei auf ein Tal, das sich durch die Hügellandschaft zieht. «Von dort kam er herunter, der Teufel», sagt Jack. Das traditionelle Lied seines Stammes, der Garrwa, erkläre die Landschaft und sei quasi eine akustische Landkarte. Jack biegt auf einen Feldweg ein und quält seinen lottrigen Geländewagen durch eine ausgetrocknete Furt. Dann erreicht er Devil Springs – die Quelle des Teufels. Der Weiler besteht aus ein paar ärmlichen Häusern. Autos stehen herum, nur die Hälfte davon in fahrbarem Zustand. Dazwischen liegt Abfall. Devil Springs ist jener Ortsteil der Aborigines-Gemeinde Borroloola, der am nächsten an der McArthur-River-Mine liegt. Die Mine beutet eines der grössten Zink-Vorkommen der Welt aus. Betrieben wird sie von McArthur River Mining (MRM), die zu 100 Prozent dem Schweizer Rohwarenkonzern Glencore gehört.

In Devil Springs sieht oder hört man die Mine nicht, sie liegt 30 Kilometer entfernt. Aber manchmal riecht man sie Vor allem in der Regenzeit weht ein schwefliger Geruch von Süden her. Eine Messstation, die die Minenbetreiber nach Reklamationen in Devil Springs aufgestellt haben, zeugt davon, dass immer mal wieder etwas in der Luft liegt. «Sie sagen uns, dass die Messwerte völlig unbedenklich seien», sagt Jack. Abschätzig schüttelt er den Kopf, dreht sich eine Zigarette: «Wer's glaubt!»

Gesungene Geschichte

Ursprung der üblen Gerüche ist die Abraumhalde der Mine. Ein grosser Teil des Materials reagiert mit Luft und Wasser. Dabei entsteht Schwefeldioxid, das beim Menschen Kopfschmerzen und Übelkeit auslösen und in hoher Konzentration Lungen und Bronchien schädigen kann. Lange hat McArthur River Mining den Anteil des reaktiven Materials unterschätzt. Umweltschützer unterstellen der Glencore-Tochter dabei Absicht, um die Bewilligung nicht zu gefährden. Auch Jack Green sieht das so. Er glaubt dem Konzern ohnehin nichts.

Auf dem Gelände der Mine war Jack noch nie; obwohl dort mehrere Kultstätten der australischen Ureinwohner liegen. Am Kontrollposten vorbei kommt nur, wer angemeldet ist und von MRM eine Erlaubnis hat. Darum zu bitten, kommt für den 63-Jährigen nicht infrage. Er zählt auf, wann die Mine trotz Einsprachen welche Bewilligung erhalten hat. Wie der Gerichtsprozess, den er mit Gleichgesinnten angestrebt hatte, ergebnislos verlief. Welche Versprechen Politiker und Minenbetreiber gebrochen hätten. Nie schaut er etwas nach, nie notiert er etwas. Jack kann weder schreiben noch lesen. Seine Geschichte ist, wie praktisch die ganze Geschichte der Aborigines, mündlich. Darum haben Lieder einen hohen Stellenwert: Mit ihnen können Geschichten über Generationen weitergegeben werden.

Borroloola liegt flussabwärts der McArthur River Mine

Zum Beispiel die Legende von der Regenbogenschlange. Sie ist eine zentrale Figur der Mythologie der Aborigines, denn sie spendet das Leben. In der Erzählung lebt das Tier in den Flüssen, denn Flüsse sind die Lebensadern im trockenen Landesinnern Australiens. In der Trockenzeit führen sie zwar kaum Wasser; doch die Wasserlöcher in ihren ausgetrockneten Läufen sichern Tier und Mensch das Überleben.

Darum beging die Glencore-Tochter MRM in den Augen vieler Aborigines ein Sakrileg, als sie den McArthur-River umleitete. Um die Kapazität zu erhöhen, wechselte die Mine vor zehn Jahren vom Untertag- zu Tagbau. Die geplante Minengrube lag genau im Flussbett. In jeder Regenzeit hätte der McArthur-River diese geflutet. Was die Aborigines als ein Symbol ihrer Kultur betrachten, war für die Ingenieure eine technische Herausforderung. Diese habe man mit Bravour gemeistert, sagt Sam Strohmayr, der Chef von MRM. Er zeigt Besuchern den 5,5 Kilometer langen Kanal, der den Fluss um die Mine herumführt, mit Stolz. 300 000 Büsche und Bäume habe man am und im Kanal gepflanzt, aufgezogen in der hauseigenen Baumschule. Sowohl was die Artenvielfalt als auch die Anzahl von Tieren und Pflanzen angehe, sei man wieder bei 95 Prozent dessen angelangt, was man vor der Umleitung gehabt habe.

Auch die Schwefeldioxid-Emissionen der Abräumhalde werde man in den Griff bekommen, sagt Strohmayr. Er zeigt auf mehrere Bagger, die das reaktive Gestein mit Lehm zudecken. Das genüge, um es vor den anstehenden Monsunregen zu schützen. Dass der Anteil an reaktivem Material am gesamten Abraum deutlich höher sei als bisher angenommen, habe ihn überrascht, sagt der Minenchef. Das Unternehmen muss deshalb eine neue Umweltverträglichkeitsprüfung vorlegen. Er ist optimistisch: «Wir haben hier schon vieles geschafft, was für unmöglich gehalten wurde.»

Zerstrittene Aborigines

Mit den Pflanzen am neuen Kanal ist noch nicht Gras über die Sache gewachsen. Knapp 1000 Menschen, vorwiegend Aborigines, wohnen in Borroloola, dem Ort rund 60 Kilometer flussabwärts von der Mine. Die Mine beschäftigt alle – aber einig sind sie sich nicht. Auf der einen Seite stehen jene wie Jack, die die Mine vor allem als Zerstörer der Umwelt und Kultur sehen. Sie kritisieren, dass vom Reichtum, den Glencore aus dem Boden holt, kaum etwas in der Gemeinde bleibt. Auf der anderen Seite sind jene, die direkt oder indirekt von der Mine profitieren, etwa weil sie dort arbeiten. Zum Beispiel Ronnie Raggat. Der 67-Jährige sitzt in einem Campingstuhl in seinem Garten und raucht. Der Rasen ist frisch gemäht und leuchtet saftig grün. Das Haus ist für lokale Verhältnisse stattlich.

Jack Green63-jähriger Aborigine(Bild: PD)

Jack Green
63-jähriger Aborigine
(Bild: PD)

Der Minenbetreiber mache alles, um die Umwelt zu schonen, sagt Raggat. Und dass der McArthur-River umgeleitet wurde? Mit einer Handbewegung wischt Ronnie die Frage weg. Er ist ein Traditional Owner, ein «TO» wie die Leute hier sagen. Einer, der die Landrechte seines Stamms vertritt. Minenunternehmen müssen mit den Aborigines, die traditionell das Land einer Mine besiedelt haben, Rücksprache halten. Das Gelände der McArthur-River-Mine gehört zu den traditionellen Jagdgebieten des Gudanji-Stammes. Als dessen Vertreter sind Raggat und zwei weitere Gudanji-Elder anerkannt. «Was immer sie in der Mine vorhaben, sie holen unser Einverständnis ein», sagt Raggat.

So einfach ist es nicht. Unter den Gudanji herrscht Streit, ob die drei die richtigen Vertreter sind. Andere Mitglieder werfen den anerkannten TO vor, dass sich diese vom Minenunternehmen kaufen lassen. Raggat widerspricht vehement den Gerüchten, dass er von MRM Geld erhalte. Es gebe höchstens einmal ein Flugticket nach Darwin, die 1000 Autokilometer entfernte Hauptstadt des Northern Territory. Aber, so gesteht er offen ein, Mitglieder seiner Familie finden immer wieder Arbeit in der Mine. Da sich nach deren Schliessung die Rehabilitierung über Jahrzehnte hinziehen werde, sei auch die Zukunft seiner Grosskinder gesichert sagt Raggat.

Zufrieden steckt er sich eine weitere Zigarette an. «Kein Aussenstehender kann entscheiden, wer der richtige TO ist», sagt ein Anthropologe, der Borroloola seit Jahrzehnten kennt. Da müsse sich die Gemeinde einig werden. Neben Raggats Gudanji leben drei weitere Aborigine-Stämme in Borroloola; ihre traditionellen Gebiete liegen allerdings in der weiteren Umgebung. Das Minenunternehmen ist nicht verpflichtet, sie zu konsultieren, obwohl die Mine ihr Leben genauso beeinflusst.

Mit Schwermetall belastet

An einem heissen Vormittag suchen die Minenbetreiber das Gespräch – wie sie das schon mehrmals versucht haben. Im Tamarind-Park von Borroloola stehen Plasticstühle, zwei Zeltdächer spenden Schatten. MRM hat zu einer Informationsveranstaltung geladen, Mitarbeiter offerieren «Snags», gebratene Würste mit Zwiebeln auf einem Stück Weissbrot. Broschüren werden herumgereicht.

Rund 50 Personen sind gekommen. Als Nancy McDinny das Mikrofon erhält, kommt sie in Fahrt. Die 59-Jährige ist wie Jack Green eine prominente Kritikerin der Mine und deren Führungsebene bekannt. Sie wendet sich an den Minenchef: «Wir müssen wissen, ob der Fluss und das Meer sauber sind», sagt sie anklagend: «Können wir die Fische und Dugong essen?» Dugong – damit meint sie Gabelschwanzseekühe. Barfuss und in einem abgewetzten Rock steht McDinny vor den Vertretern des Weltkonzerns, die in Polohemden mit Firmenlogo Einheit demonstrieren. «Es geht um unser Leben. Es geht um das Leben unserer Kinder», ruft sie empört, als sie aufgefordert wird, das Mikrofon zurückzugeben.

«Wir glauben niemandem», sagt McDinny später. Seit Jahren isst sie nichts mehr aus Fluss und Meer. «Früher sah man überall im Fluss springende Fische», erzählt sie, das sei nicht mehr der Fall. «Das ist doch verdächtig, nicht?» Verdächtig finden viele Aborigines auch Untersuchungen von staatlichen Behörden. Als vor ein paar Jahren in der Mine in einem Bach erhöhte Schwermetallbelastungen festgestellt wurden, untersuchte das Gesundheitsdepartement des Northern Territory, ob Fische, welche die Bevölkerung ausserhalb des Geländes fängt und isst, gesundheitlich bedenklich sind. Fazit: Wer massvoll Fische esse, gehe keine Gesundheitsrisiko ein. Einzig Schwangere sollten auf Muscheln verzichten. Für die meisten Aborigines, war der Umstand, dass überhaupt Schwermetalle in der Umgebung vorkommen, Zeichen genug, dass die Mine die Umwelt verschmutzt. Die «weissen» Behörden, so glauben sie, decken die weissen Unternehmer.

Das tiefe Misstrauen, das viele Aborigines in Borroloola gegenüber Behörden, Minenvertretern und «White Fellas» im Allgemeinen hegen, erklärt sich vor allem aus der Geschichte. Die Ankunft der Weissen hier in der Region war viel einschneidender als anderswo. Die Polizei, obwohl eigentlich mit dem Schutz der Ureinwohner betraut, ging brutal gegen die «Black Fella» vor. Ein weiteres Trauma kam im zwanzigsten Jahrhundert dazu, als viele Kinder ihren Aborigine-Eltern weggenommen und in Erziehungsanstalten verfrachtet wurden. Sie sind die sogenannte «gestohlene Generation». Dass viele Entscheide über den Köpfen der Bevölkerung in Darwin oder Canberra beziehungsweise in den Büros von Glencore gefällt werden, verstärkt das Gefühl der Hilflosigkeit.

Fischen als Geschäft

Während der «Black Fella» den weissen Experten misstraut, glauben die wenigen Weissen im Dorf der Entwarnung. «Haben sie erzählt, dass alle Fische vergiftet sein sollen?», fragt die Betreiberin des Campingplatzes im Dorf spöttisch. Sie schüttelt den Kopf und zieht Grafiken hervor, auf denen das Logo von MRM prangt. «Siehst du? Selbst ein Fleischkuchen enthält mehr Blei als die Fische hier», sagt sie überzeugt. Die meisten Touristen, die auf ihrem Campingplatz haltmachen, kommen zum Fischen. Sie und ihr Mann organisieren Bootstouren. An der Tür ihres Büros hängen Fotos von Gästen, die stolz ihre prächtigen Barramundi, Riesenbarsche, präsentieren.

Bei MRM ist man sich des Vertrauensproblems bewusst. Der Minenchef Strohmayr sieht mit der Konsultation «unserer Traditional Owner» – wie er sie nennt – dem Gesetz eigentlich genüge getan. Dass die Gemeinde zerstritten sei, bedaure er. Dennoch arbeite man daran, den Kontakt zur Gemeinde zu intensivieren. Das sei nicht einfach. So habe man Kritiker eingeladen, die Mine zu besuchen, niemand habe das Angebot angenommen. Auch als man vor ein paar Wochen auswärtige Experten für eine Informationsveranstaltung eingeflogen habe, sei niemand erschienen.

Auch an diesem Vormittag im Dorfpark von Borroloola kommt der Manager, der sich umgänglich und jovial gibt, nicht an die Gegenseite heran. Als Strohmayr sagt, dass er selber Fische aus dem Fluss esse, sorgt das für mehr Erheiterung als Beruhigung. «Und die Dugong, was ist mit denen?», ruft jemand. Man habe das Seegras untersucht, das die Seekühe frässen. Dieses sei unbedenklich. «Na und?», raunt einer, «wir essen doch kein Seegras!»

Der Umweltverantwortliche ergreift das Wort und erklärt, dass die Gabelschwanzseekühe unter Schutz stünden. Nur Aborigines dürften sie jagen. Die Wissenschafter untersuchten nun, wie sich das Blei in der Nahrungskette verbreite. Dieses Vorgehen lehnen die meisten in Borroloola ab. Wie Jack Green haben viele weder lesen noch schreiben gelernt, geschweige denn eine höhere Schulbildung erhalten. Und selbst wenn sie die Erläuterungen verstehen, steht am Ende das Misstrauen. «Hört endlich auf zu erzählen, dass alles okay ist», ruft ein jüngerer Aborigine in die Runde. Für ihn gibt es nur eine Lösung: «Bildet unsere Jungs aus, damit wir die Untersuchungen selber machen können.»

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