Zwischenbilanz : Der Gelegenheitsfaschist
- -Aktualisiert am
Ich habe mich dazu hinreißen lassen, den Präsidentschaftskandidaten Trump als einen „faschistischen Demagogen“ zu bezeichnen. In Wirklichkeit verhält Trump sich oft wie ein Faschist, ohne es tatsächlich zu sein. Einer der Hauptgründe für meine Neubewertung betrifft Trumps Einstellung gegenüber Minderheiten oder die „Angst vor Unterschieden“ – eines der 14 Elemente des „ewigen Faschismus“, wie der italienische Schriftsteller Umberto Eco ihn definiert hat.
Eines sei hier ganz klar gesagt: Trump ist ein Rassist und Fremdenhasser. Man spricht nicht so über Mexikaner und Muslime, wie Trump es getan hat, und man behauptet auch nicht fünf Jahre lang immer wieder, der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten sei nicht wirklich ein Amerikaner, sofern man nicht bereit ist, rassistische und nativistische Gefühle auszuschlachten und an die allerschlechtesten Aspekte im amerikanischen Charakter zu appellieren. Und man spricht auch nicht so über Frauen und verhält sich ihnen gegenüber nicht so, wie Trump es sein Leben lang getan hat, sofern man kein eingefleischter Frauenfeind ist.
Auch nach 100 Tagen : Trump-Land steht noch hinter seinem Präsidenten
Rassismus und Frauenfeindlichkeit gehören zu den elementaren menschlichen Vorurteilen, die ihren Ursprung in irrationalen Ängsten vor Menschen anderer Hautfarbe, anderer Nationalität oder anderen Geschlechts haben. Dazu braucht man nicht viel nachzudenken. Im Gegenteil, hier ist Ignoranz vollkommen ausreichend. Dasselbe gilt für Trumps angeblichen Antisemitismus. Der Antisemitismus bedarf allerdings etwas größerer Anstrengungen als Vorurteile hinsichtlich der Hautfarbe oder des Geschlechts. Man benötigt Theorien darüber, wie die Welt funktioniert und wie die Juden riesige komplexe Systeme manipulieren, um die Welt zu steuern. Wahrscheinlich spricht man eine Menge darüber (gewöhnlich in den Anruf-Sendungen bei C-SPAN) und schreibt langatmige Briefe an zufällig ausgewählte Journalisten und Politiker, in denen man ihnen diese Theorien erklärt. Nach meiner Erfahrung haben Antisemiten nahezu ausnahmslos eine zwanghafte Persönlichkeit, die unbedingt alles mit den Juden in Verbindung bringen muss. Außerdem sind Antisemiten oft sehr belesen, nur dass ihre Lektüre hauptsächlich aus unsinnigen Verschwörungstheorien besteht, die sie in ihren Überzeugungen nur bestärken.
Donald Trump dagegen denkt eindeutig über niemand anderen nach als über sich selbst. Er interessiert sich nicht hinreichend für Dinge, die über seine unmittelbaren Wünsche und Begierden hinausgehen, und erst recht nicht für das Schicksal der Juden. Seine Gleichgültigkeit gegenüber dem Antisemitismus hat denselben Grund wie seine Gleichgültigkeit gegenüber den Menschen, die er mit seiner Trump University täuschte oder die er in Atlantic City betrog: Er ist ein egoistisches Arschloch. Der Antisemitismus hat für ihn und sein Verhalten keine unmittelbare Bedeutung. So reagiert er denn, falls man ihn danach fragt, indem er sich mit seinem Wahlsieg brüstet oder indem er einen Reporter anschreit. Ich wette, für seine Einstellung gegenüber Schwulen gilt dasselbe.
Kaum etwas in Trumps Geschichte spricht für persönliche Animositäten gegenüber Lesben, Schwulen, Bisexuellen oder Transgender (LGBT), aber einiges spricht für das Gegenteil. Manche behaupten, Trump habe seinen Mentor, den McCarthy-Anwalt Roy Cohn, im Stich gelassen, als der, an Aids erkrankt, im Sterben lag, aber das war wohl weniger Ausdruck homophober Gefühle (Cohn war nicht offen homosexuell), sondern des bei Trump dominanten Charakterzugs, nämlich ein egoistisches Arschloch zu sein. Ein sterbender Roy Cohn war für Donald Trump ohne Nutzen, und deshalb trennte er sich von ihm. Er hätte genauso gehandelt, wenn Cohn heterosexuell gewesen und an Krebs gestorben wäre statt an einer Krankheit, die mit so viel sozialer Stigmatisierung und Scham verbunden war.