Umgang mit Mexiko : Wie die „Gringos“ sich mal schwer verrechnet haben
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Vor der Vertreibung: Mexikanische Landarbeiter 1963 in den Vereinigten Staaten Bild: Picture-Alliance
Wenn man mexikanische Arbeiter aus dem Land wirft, kann alles Mögliche geschehen. Das muss nicht immer das sein, was die Amerikaner eigentlich beabsichtigen, wie ein Blick in die Geschichte zeigt.
In der folgenden Geschichte geht es um die Ausweisung mexikanischer Arbeiter, um internationale Wertschöpfungsketten und um die Frage, warum Tomaten eigentlich so eine zähe, harte Haut haben. Im Kern aber ist sie ein Lehrstück über nicht erfüllte Hoffnungen und unbeabsichtigte Folgewirkungen der Abschiebung ausländischer Arbeiter. Man könnte es flapsig betiteln: Wie die Gringos sich mit „America first“ schon einmal selbst ins Knie geschossen haben.
Vor gut 50 Jahren hatte die Regierung der Vereinigten Staaten erfolgreich den Versuch unternommen, rund 500 000 mexikanische Arbeiter aus dem Land zu werfen. Und weil Präsident Donald Trump aktuell rund sechs Millionen illegale Mexikaner in den Vereinigten Staaten loswerden will, könnte er von den damaligen Erfahrungen profitieren. Wenn er wollte. Am letzten Tag des Jahres 1964 beendete der demokratische Präsident Lyndon B. Johnson das „Bracero“-Programm. Das war ein Abkommen, das jedes Jahr Hunderttausenden Arbeitern aus Mexiko die zeitlich befristete Arbeit in den Vereinigten Staaten erlaubte. Nach dem Zweiten Weltkrieg halfen Jahr für Jahr knapp eine halbe Million Mexikaner vor allem den amerikanischen Farmern, ihre Ernte einzubringen. „Bracero“ ist der spanische Begriff für Erntehelfer.
Schon unter Johnsons Vorgänger John F. Kennedy hatte die Regierung Zweifel am „Bracero“-Programm formuliert und erste Verordnungen erlassen, die die Beschäftigung mexikanischer Saisonkräfte weniger attraktiv machen sollten: Die Farmer wurden verpflichtet, den Mexikanern höhere Löhne zu zahlen. Johnson beendete das Programm dann komplett. Das wichtigste Motiv dafür lässt sich auf die Formel „America first“ (Amerika zuerst) verdichten. Die Mexikaner standen im Verdacht, die Löhne zu drücken und braven amerikanischen Landarbeitern die Arbeit zu stehlen. Die Entscheidung der amerikanischen Regierung hatte außergewöhnlich weit reichende Konsequenzen. Sie veränderte die Wirtschaftsstruktur Mexikos und die Landwirtschaft der Vereinigten Staaten. Nur: Das eigentliche Ziel des Programms, die Anhebung der Erntearbeiterlöhne für Amerikaner durch Verdrängung der mexikanischen Konkurrenz, wurde nicht erreicht. In dieser Hinsicht war das Programm ein kompletter Fehlschlag, zeigen Wissenschaftler um den Ökonomen Michael Clemens von der Denkfabrik IZA.
Fast alle stiegen auf Erntemaschinen um
„Wir fanden heraus, dass der Ausschluss der Braceros nur einen kleinen messbaren Effekt auf den Arbeitsmarkt für heimische Landarbeiter hatte“, sagt Clemens. Manche Bundesstaaten verloren zwar ein Drittel ihrer Erntehelfer. Und doch stiegen die Löhne in diesen Bundesstaaten danach nicht schneller als in jenen Bundesstaaten, die von der Ausweisung der Mexikaner gar nicht betroffen waren.
Seltsamerweise wurden die „Braceros“ gar nicht ersetzt, weder durch Illegale noch durch Amerikaner oder legale Immigranten. Die Landwirte reagierten auf zwei Arten auf den Ausschluss ihres Personals: Sie bauten weniger personalintensive Ackerfrüchte an, und sie setzten, wo die Ackertechnik es zuließ, Pflückmaschinen ein. Das eklatanteste Beispiel lieferten Kaliforniens Tomatenfarmer. Für keine Frucht wurden mehr „Braceros“ eingesetzt als für die Tomatenernte. Und in keinem Bundesstaat wurden mehr Tomaten geerntet als in Kalifornien. Im Jahr 1963 lasen mexikanische Erntehelfer und wenige Einheimische die Tomaten komplett mit der Hand, fünf Jahre später setzten fast alle Farmer in Kalifornien Erntemaschinen ein, wie der Landwirtschaftsprofessor Bruce Hartsough berichtet.
Ein Kollege von ihm, der in Fachkreisen legendäre Wissenschaftler Gordie „Jack“ Hanna von der Universität UC Davis, hatte nicht nur den Tomatenernter mitentwickelt, sondern das größte Problem des jungen Agrargeräts beseitigt. Die Geräte pflegten nämlich trotz permanenter Optimierungen die Tomaten gnadenlos zu zermanschen. Hanna gelang gerade rechtzeitig die Züchtung von Tomaten mit deutlich zäherer Haut und einer weniger runden Form. Sie überlebten den Erntevorgang und kullerten dank der neuen Form auch nicht mehr die kleinen Förderbänder der Erntemaschinen hinunter. Hanna trägt somit ein gerüttelt Maß an Verantwortung dafür, dass Tomaten schlechter schmecken und besser zu ernten sind.
Zehntausende Amerikaner verloren ihre Arbeitsplätze
Die Geschichte ist damit noch nicht zu Ende: Die an der UC Davis entwickelte Erntemaschine ersetzte nicht nur mexikanische Erntehelfer, sie verdrängte kleine Farmen, berichtet Ildi Carlisle-Cummins von der UC Davis. Denn die Maschinen waren teuer und brauchten große Felder, um profitabel zu bleiben. Die Folge war, dass binnen fünf Jahren nach ihrer Einführung sage und schreibe 4400 der 5000 kalifornischen Tomatenfarmer aufgaben, ihre Felder den großen Konkurrenten überließen oder sich auf andere Ackerfrüchte konzentrierten. Zudem verloren laut Carlisle-Cummins 32.000 amerikanische Landarbeiter ihren Job und komplettierten damit den Fehlschlag der „America first“-Politik.
Die Geschichte wird aber noch besser. Dafür muss man den Blick ins Mexiko des Jahres 1964 lenken. Dort war die Regierung in schwerer Sorge. Was würde aus den rund vier Millionen „Braceros“ werden, die nun keine legale Perspektive mehr in Norden hatten? Die meisten hatten sich in Mexikos nördlichen Provinzen entlang der Grenze niedergelassen. Nun drohte dort Massenarbeitslosigkeit, in einigen Grenzstädten war jeder Zweite ohne legale Beschäftigung. Auf starken Druck von Gewerkschaften startete die Regierung in großer Hast ein Industrialisierungsprogramm in den Grenzstädten, schreibt der Historiker Lawrence Douglas Taylor Hansen. Es bildete die Grundlage für die vielen hundert Fabriken, die in den mexikanischen Grenzstädten entstanden: die „Maquiladoras“. Die Idee dafür war vor allem durch bereits zollfreie Produktionszonen in Asien inspiriert. Schon in den sechziger Jahren hatten internationale Konzerne begonnen, erste Produktionen nach Taiwan, HongKong und Malaysia auszulagern, um von geringen Löhnen zu profitieren. Hansen berichtet, amerikanische Industrielle hätten den mexikanischen Wirtschaftsminister zu einer Asienreise eingeladen und ihn damit auf die Idee gebracht, privilegierte Freihandelszonen an der Grenze zuzulassen.
Ganz anders als geplant
Im Jahr 1965 folgte die Geburtsstunde der „Maquiladoras“, die einige Privilegien genossen. Sie durften Rohmaterialien, halbfertige Produkte und Maschinen zollfrei einführen. Ferner konnten für die Fabriken ausländische Manager und Techniker eingesetzt werden, um die Produktion in Schwung zu bringen. Die Bedingung war, dass die Erzeugnisse der Fabrik komplett exportiert wurden. Damit hatte die amerikanische Industrie plötzlich eine nach Mexiko verlängerte Werkbank, die die Produktionskosten senkte. Denn mexikanische Arbeiter erhielten ein Viertel bis ein Drittel des Lohns, den die Leute nördlich der Grenze verdienten, schreibt Hansen. Dank der „Maquiladoras“ konnte Mexiko vom globalen Outsourcing-Trend und von Nafta, dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen, profitieren. Heute arbeiten mehr als eine Million Menschen in den rund 3000 Fabriken, die Konzernen aus der ganzen Welt gehören. Wichtigster Abnehmer der Erzeugnisse sind die Vereinigten Staaten.
Die Lehre aus der Geschichte ist, dass es oft anders kommt als gedacht. Ohne die Beendigung des „Bracero“-Programms hätte sich Amerikas Landwirtschaft längst nicht so schnell restrukturiert und technisiert. Mexiko hätte keinen unmittelbaren Anlass gehabt, seine Nordprovinzen schnell zu industrialisieren.
Unterm Strich ist das Ergebnis noch nicht einmal schlecht, weder für Mexiko noch für die Vereinigten Staaten. Nur eben ganz anders als geplant.