Frühlingserwachen 2021
19. – 23. April
Eine Freundin hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass durch das extrem kalte Wetter heuer alles viel länger blüht. Forsytien, Tulpen, Magnolien. Aber leider kann man all die Frühlingspracht nur durch Fensterscheiben genießen, es ist wirklich deprimierend kalt. Aber im Haus blühen bereits die Kakteen und noch immer der Weihnachtsstern. Noch nie habe ich die Natur als so heilsam erlebt, wie heuer. Es tut so gut zu sehen – das Leben ist stärker!
Unsere Regierung beschäftigt sich auch schon mit der Nach-Corona-Zeit und hat einen „Comeback“ Plan entwickelt. Genaueres weiß man davon noch nicht, weil ja unser Bundeskanzler die PR-Strategie hat, gute Nachrichten voranzukündigen, dann anzukündigen, dann ein wenig auf genauere Informationen zu vertrösten und dann …. Nix genaues weiß man nicht. Das ergibt immerhin vier Pressekonferenzen.
Ich finde auch die Bezeichnung „Comeback-Plan“ ziemlich unglücklich gewählt. Es darf eben kein „Come-back“ geben, wenn wir die Zukunft der nächsten Generationen nicht verspielen wollen. Es braucht eine neue Herangehensweise an alte Probleme. Denn was man bis jetzt aus dem geheimnisumwitterten Comeback-Plan weiß, all jene, deren Bedeutung uns durch die Krise sehr deutlich bewusst gemacht wurden, gehen ziemlich leer aus. Die Handelsangestellten, das Pflegepersonal, die vielfach belasteten Frauen, die Pädagoginnen und Pädagogen – vom Kindergarten bis zur Erwachsenenbildung, Mit der Heranschaffung von mehr Computern wird es da nicht getan sein. Auch die Kultur wird nur in ihrer elitären Form wie Konzertsälen und großen Theatern wahrgenommen. All jene, die vorher schon in prekären Verhältnissen lebten, sind auch jetzt keine Aufmerksamkeit wert: Kleinstunternehmende, freischaffende Künstler und Künstlerinnen, auf soziale Unterstützung Angewiesene. Hat da nicht mal ein Vizekanzler gesagt, es würde niemand zurückgelassen werden? Momentan sind es aber sehr viele, die nicht mehr mitkönnen. Kinder ohne psychische Betreuung, Alte in prekären Pflegesituationen, Arbeitslose ohne Jobaussichten, Künstler und Künstlerinnen ohne jede soziale Absicherung.
Nein, die unsichtbare Hand des Marktes regelt nicht alles – damit unser Leben funktioniert, braucht es viele sichtbare Hände, die allerdings fälschlicher Weise nicht der Wirtschaft zugeordnet werden. Ich denke, dass viel von dem, was jetzt von den politisch Verantwortlichen nicht gesehen wird, mit diesem verengten Wirtschaftsbegriff zusammenhängt. Die Ökonomin Luise Gubitzer hat deshalb das 5-Sektoren-Modell der Ökonomie entwickelt. In diesem Modell spielt das, was landläufig immer als Wirtschaft gesehen wird, realistischer Weise nur eine beschränkte Rolle. Denn gewirtschaftet wird auch im Haushalt, im öffentlichen Bereich, bei nicht Gewinn orientierten Betrieben und auch im illegalen bis kriminellen Bereich.
Die Krise sollte uns das deutlich vor Augen geführt haben. Ohne das, was Haushalte in dieser Zeit wirtschaftlich geleistet haben, wäre das Gemeinwohl kollabiert. Die öffentliche Hand ist der größte Arbeitgeber im Land. Sie ist verantwortlich für den Ausbau und die Zurverfügungstellung von Infrastruktur, für das solidarische Gesundheitswesen, für die – leider oft dysfunktionale – Versorgung mit Impfstoff, für die sozialstaatliche Umverteilung, für die vielen Menschen, die von der öffentlichen Hand ihren Lohn beziehen, einkaufen und das Werkel am Laufen halten können.
Auch die Bedeutung der Nicht-Gewinn-orientierte Wirtschaft von Rotem Kreuz, Caritas, Volkshilfe usw. hat sich in der Krise gezeigt. Sie beschäftigt mehr Personen als die Industrie. Dort wird all das organisiert, was wir Menschen brauchen, wenn wir in schwierige Lebenssituationen kommen – und in die kommen wir alle mal. Dort wird auch ehrenamtlich gearbeitet und soziale Verantwortung übernommen.
In den illegalen bis kriminellen Sektor wurden in der Krise viele gedrängt – sei es die erzwungene Vortäuschung von Kurzarbeit, um öffentliche Mittel zu lukrieren, sei es die zunehmende Schwarzarbeit aus einer Notsituation heraus, sei es die in die Illegalität gedrängte Prostitution usw.
Wenn wir also die Wirtschaft in ihrer ganzen Breite anschauen, so würde die von der Regierung in die Wege geleitete Ankurbelung anders aussehen. Die Fixierung auf die Industriearbeitsplätze ist „Comeback“ einer verflossenen Zeit. Wir sind längst in der Dienstleistungsgesellschaft angekommen. Wann wenn nicht jetzt sollte der Wandel zur Zukunftsfähigkeit geschehen. Ich bin nicht so naiv zu glauben, das wäre einfach und schmerzlos. Es muss auf all die geschaut werden, die im nicht zukunftsfähigen Wirtschaftssektor arbeiten, deshalb kann nichts über’s Knie gebrochen werden, aber eine breite Idee davon, in welcher Gesellschaft wir zukünftig leben wollen und wie der Weg dorthin aussehen könnte, sollte man in einem „Zukunftsplan“ schon haben. Da ist „Comeback“ wahrscheinlich der falsche Ansatz.
24. – 30. April
Im Fernsehen lief eine Dokumentation über Tschernobyl. Obwohl ich auch damals schon politisch sehr interessiert war, habe ich vieles nicht mitbekommen. Was die Menschen in der Sowjetunion erleiden mussten und wie diese oft unfreiwilligen Einsatzkräfte mit der Inkaufnahme ihres Todes uns allen das Weiterleben ermöglicht haben, war mir nicht bewusst. Wurde diesen Märtyrern je ein Denkmal gesetzt? Sie wurden in der Sowjetunion, aber auch bei uns im Westen eher verschwiegen, denn die Atomkraft durfte nicht sterben. Die Rolle der Atombehörde der UNO wirkt in diesem Zusammenhang auch ziemlich suspekt.
Dass es eines weiteren schweren Unfalls bedurfte, damit diese Form der Energiegewinnung zumindest in vielen Ländern als ein Irrweg gesehen wird, führe ich auf die Unbelehrbarkeit vieler Verantwortungsträger zurück. Ich bin all jenen ungeheuer dankbar, die über die Jahre hinweg dran geblieben sind und gegen Atomkraft mobilisiert haben, wie z.B. die Frauen gegen Atomkraft, denn wenn die Staatenlenker nicht ständig den Gegenwind der Zivilgesellschaft gespürt hätten, schaute alles anders aus. Dass jetzt angesichts der CO2-Krise eine Rückkehr zur Atomenergie auch nur angedacht werden kann, finde ich bestürzend.
Ich kann nicht mehr mitspielen! Wieder einmal bin ich dabei gescheitert, mich für die Gurgeltests zu registrieren. Einmal zu wenig auf die Enter-Taste gedrückt und schon wird mein Eintrag abgelehnt. Irgendwo einen Punkt vergessen und das System mag mich nicht. Meine optische Schwäche und mein Hang zur Legasthenie lassen mich bei vielen digitalen Formularen scheitern. Ich komme aus einer Zeit, wo es genaue Anleitungen gab, wie man ein Formular auszufüllen hat und wenn dann irgendwo ein Beistrich oder Punkt vergessen wurde, spielte das keine Rolle. Mit dem System Versuch – Irrtum – noch ein Versuch – wieder Irrtum – usw. komme ich nicht zurande. Ich muss zugeben, dabei raste ich aus, mein Blutdruck steigt, meine Extrasystolen hämmern – ich bin heillos überfordert. Vielleicht wären Meditationsangebote für digital geschädigte Nutzer ein Zukunftsmarkt – aber wahrscheinlich trifft das nur uns Alte – die Jüngeren haben mit dem System zu leben gelernt. Ich denke aber, dass es auch Auswirkungen darauf hat, wie man denkt. Die Logik mit der wir groß geworden sind „wenn so - dann so“, gilt nicht mehr. Heute heißt es „wenn ein Weg nicht geht – dann vielleicht ein anderer“. Richtig und Falsch ist mehrdimensional geworden.
Mehr als 50 Künstler haben jetzt die Unduldsamkeit der momentanen allgemeinen Stimmungslage zu spüren bekommen. Sie haben unter „#alles Dicht machen“ kurze Sketches zu ihrer Sicht der Krisenlage ins Netz gestellt. Vielen von ihnen geht es so, wie auch mein Umfeld sich fühlt. „Mütend“ heißt die neue Bezeichnung dafür - müde und hilflos wütend. Müde, weil auch Eintönigkeit erschöpft und diffus wütend, weil der Adressat dieser Wut nicht greifbar ist. Und so sucht man sich halt Objekte für die Wut und da haben auch viele der Künstler ordentlich daneben gegriffen. In Zukunft werden sie sicher besser darauf achten, wem sie mit ihrer künstlerischen Überhöhung der Lage in die Hände spielen und mit wem sie sich da auf eine Plattform begeben. Die Gefahr, sich mit Querschlägern (Querdenker finde ich als Bezeichnung unpassend, denn meiner Meinung mangelt es den meisten am Denken) einzulassen und ihnen geistiges Unterfutter zu bieten, ist zu groß. Andererseits lässt die gehässige Auseinandersetzung im Netz für die Zukunft Böses ahnen. Es haben sich manche Meinungsmachende so festgefahren, dass ein seriöser Austausch der Argumente nicht mehr möglich ist. Anscheinend haben viele Menschen Angst, auch noch in ihrer Weltsicht verunsichert zu werden. Ihnen bieten sichtlich starre fundamentalistische Haltegriffe den einzigen Schutz in der Ausgesetztheit unseres derzeitigen Lebens. Aber Freiheit und Sicherheit sind keine Gegensätze. Möglichst große Freiheitsräume kann es nur im Zusammenhang mit möglichst sicheren Lebensumständen geben. An beiden werden wir in Zukunft arbeiten müssen. Aber eines ist klar „Leben ist immer lebensgefährlich“, daran wird das Leugnen von Gefahren nichts ändern und auch nicht das vage Versprechen des „Lichts am Ende des Tunnels“. Es gibt keine Rückkehr zur Normalität, denn es gibt keine Normalität. Da gefällt mir die Vision eines „guten Lebens für alle“ an der wir gemeinsam arbeiten, schon viel besser.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.