Wie wollen wir leben?
Die Wirtschaft boomt, die Gastronomiepreise steigen, die Arbeitslosigkeit sinkt, schön langsam heben sich die pandemischen Schleier und wir sehen, wie es weitergehen könnte. Jetzt werden die Pflöcke für eine zukünftige Wirtschafts- Sozial- und Umweltpolitik eingeschlagen. Kein Wunder, dass sich die Mächtigen im Staat bemühen, die ersten zu sein, die die Richtung vorgeben.
Da kam ein durchaus vernünftiger Vorschlag der Arbeiterkammer, wie das Leben von jungen Familien verbessert und die Einkommensschere zwischen Frauen und Männern verkleinert werden könnte. Eine 32 Stunden-Woche für Mütter und Väter von Kindern bis zu deren 4. Lebensjahr mit einem finanziellen Ausgleich von jeweils € 250,00. Das würde erstens ein entspannteres Familienleben ermöglichen, zweitens die Chance bieten, dass sich Frauen und Männer die Betreuungsarbeit besser teilen können und drittens der pensionsminimierenden Kurzarbeit von Frauen entgegenwirken. Klingt doch überaus vernünftig. Außerdem könnte es ein erster Schritt in eine generelle Arbeitszeitverkürzung sein. Die ja über kurz oder lang sowieso kommen wird müssen.
Genau das wittern aber die Vertreterinnen der Wirtschaftskammer und stellen sich gegen dieses Modell. Eine Abgeordnete der Familienpartei ÖVP plädiert deshalb für einen massiven Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen mit verlängerten Öffnungszeiten, sodass Mütter auch zeitig Früh und spät abends ihre Kinder dort betreuen lassen können. Die Wirtschaft brauche Arbeitskräfte wird argumentiert.
Außerdem wird davon gesprochen, dass sich Frauen ja mit dem Kinderbetreuungsgeld Haushaltshilfen leisten könnten. Also eine Umverteilung der Betreuungsarbeit erfolgreicher berufstätiger Frauen hin zu den – meist illegal arbeitenden – Haushalts- und Kinderbetreuungshilfen, oft migrantischer Herkunft. Die Umverteilung der unbezahlten Care-Arbeit Richtung Männer wird nicht einmal angedacht. Ganz abgesehen davon, dass die Bedürfnisse der Kinder nach mehr Zeit mit den Eltern und weniger Stress keinerlei Bedeutung zu haben scheinen.
Wie sieht das Weltbild dieser leitenden Frauen in den Arbeitgeber-Vertretungen aus? Sie sehen es aus ihrer privilegierten Stellung, wo man sich eben jegliche Care-Arbeit zukaufen kann und sich alles den Bedürfnissen des verengten Wirtschaftsbegriffes, dem sie anhängen, unterzuordnen hat. Der Zugang zur Lebenswelt von Menschen, die im Handel und in der Care-Arbeit schlecht bezahlt tätig sind, ist ihnen anscheinend verschlossen. Da kann man sich nämlich keine Haushaltshilfen zukaufen.
Solange auch Frauen in der Ökonomie nur den engen Bereich der For-Profit Wirtschaft sehen, blenden sie deren Gesamtheit und die Wechselwirkung der verschiedenen Bereiche aus. Wirtschaft ist mehr! gewirtschaftet wird im Haushalt, in staatlichen Institutionen und im nicht profit-orientierten Sektor. Nicht zu vergessen ist dabei aber auch der illegale bis kriminelle Sektor, von Schwarzunternehmertum bis Schwarzarbeit und mafiösen Strukturen.
Nur das Zusammenwirken dieser Bereiche – ausgenommen des kriminellen Sektors - ermöglicht ein gutes Leben der Bürgerinnen und Bürger in dem sinnvoll gewirtschaftet wird. Solange aber die profitorientierte Ökonomie die Regeln für das Familienleben, für die Fürsorge und Versorgung, für den Bildungsbereich, das Gesundheitswesen usw. vorgibt, schreitet die Enthumanisierung unserer Gesellschaft fort – dem sollten wir schnellstens Einhalt gebieten.
„Der Markt entscheidet, dass es irgendwann keine Verbrennungsmotoren mehr gibt“ – das sind seltsame Worte aus dem Mund des Staatssekretärs Magnus Brunner aus dem Klimaschutzministerium. Trotz des Super GAUs dieser pseudoreligiösen Markt-Mythologie in der Finanzkrise und jetzt in der COVID-Krise, halten leider noch immer maßgebliche Menschen am Glauben an das unfehlbare Wirken dieser unsichtbare Hand fest. Hätte nicht der Staat durch massive Stützung, bezahlt und unbezahlt arbeitende Menschen im Care-Bereich und solidarische Menschen in personenbezogenen Arbeitsfeldern das Werkel am Laufen gehalten, das „segensreiche“ Wirken des „Marktes“ hätte uns möglicherweise 2008 und 2020 jene „Steinzeit“ beschert, von der der Bundeskanzler schwadroniert.
Aber was ist der „Markt“? Er ist der fiktive Ort der Versorgung, an dem Menschen ihre Bedürfnisse befriedigen. Der Markt ist keine ungreifbare und unangreifbare Größe, sondern von Menschen gestalteter Austausch. Da die Bedürfnisse, die wir durch Kauf und Verkauf von Waren und Dienstleistungen befriedigen wollen, aber durch psychische Verfasstheit, gefinkelte Werbung, Medien und Opinion Leader manipuliert werden, kann die Grundlage politischen Handelns nicht sein, sich ausschließlich danach zu richten, was angeboten wird und sich verkaufen lässt. Es kann nicht sein, dass in einer Welt mannigfacher Beschränkungen einzig der Konsum der Ort der Freiheit sein soll, der noch dazu vielen aus Mangel an Ressourcen nicht zugänglich ist. Eingriffe in das „Marktgeschehen“ sind politisch dringend notwendig und unerlässlich, um uns Freiheiten außerhalb der Konsumwelt zu ermöglichen.
Staatssekretär Brunner hat ganz recht, wenn er dafür ist, die Klimakrise pragmatisch anzugehen. Dazu gehört allerdings, dass die Dringlichkeit angesichts des heurigen Sommers von niemandem mehr geleugnet wird. Es wäre deshalb sinnvoll, nicht nur 20 – 30 Jahre alte Straßenbauprojekte auf ihre Zukunftsfähigkeit hin zu evaluieren, sondern auch alle anderen Investitionen in Ländern, Städten und Gemeinden auf ihre Zukunftstauglichkeit zu prüfen. Da wird man vielleicht wieder in das „Marktgeschehen“ eingreifen müssen!
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.